Ku­ra­to­r:in­nen des Festivals „Pop-Kultur“: „Pop ohne Humor ist Politik“​

In Berlin beginnt das Festival „Pop-Kultur“. Seine Ku­ra­to­r:In­nen sprechen über die Herausforderungen von Diversität, Bekenntniszwang und Humor.

Sie haben das Programm des Festivals zusammengestellt: Von links nach rechts Yeşim Duman, Christian Morin und Pamela Owusu-Brenyah Foto: To­ni Petraschk

taz: Neben der Nachwuchsförderung hat sich das „Pop-Kultur“-Festival die allerorten bemühte Diversität auf die Fahnen geschrieben. Wie setzen Sie das kuratorisch um?

Christian Morin: Wie wir unser Programm gestalten, ist ziemlich einzigartig – allein dadurch, das wir unterschiedliche Perspektiven mitbringen. Die werfen wir in einen Topf und rühren um. So kommt eine Mischung aus Debatten, Konzerten, Auftragsarbeiten, Lesungen und Ausstellung zustande, die es so anderswo nicht gibt.

taz: Zuletzt sind Teile des Kulturbetriebs zur Kampfzone geworden. Auch in der Popszene lassen sich nie da gewesene Verwerfungen beobachten, ausgelöst durch aktivistische Boykottkampagnen. Nun gehört Weltverbesserung zwar von jeher zur DNA der Popkultur, doch vor allem die sozialen Medien befördern inhaltliche Verkürzung. Wie geht Ihr Festival damit um?

Yesim Duman: Angesichts der politischen Entwicklungen hierzulande finde ich zumindest eine Positionierung gegen rechts sehr wichtig. Letztlich ist ja vieles, was in der Kunst passiert, eine Reaktion darauf, wie die Politik gerade agiert.

Pamela Owusu-Brenyah, 42, setzt sich als Beraterin für eine größere Sichtbarkeit afrikanischer Kultur in Deutschland und den Brückenbau zwischen Künstler:innen des Kontinents und der Diaspora ein. 2018 gründete sie das Festival „Afro x Pop“ mit Fokus auf die afrodeutsche Szene und ist Vorstandsmitglied des Netzwerks Music Women* Germany.

Yeşim Duman, 42, gestaltet kulturelle und musikalische Formate mit Fokus auf postmigrantische und queere Themen, etwa die Çay­stube auf der Pop-Kultur und das „Queer Ping Pong“. Duman ist Mitglied im Musikbeirat des Goethe-Instituts.

Christian Morin, 56, arbeitet seit den Neunzigern als Veranstalter, zunächst mit dem Kollektiv “Im Eimer”. Von 2009 bis 2021 war er für das Musikprogramm der Volksbühne in Berlin zuständig. Er entwickelte das Konzept von Pop Kultur mit und ist dort auch als Festivaldramaturg tätig.

Das Festival „Pop-Kultur“ findet von heute bis zum 30. August in der Kulturbrauerei Berlin statt, weitere Infos: www.pop-kultur.berlin

Morin: Kunst eröffnet ja auch Möglichkeiten für Mehrdeutigkeit und zur Dekonstruktion: Dinge in einen absurden Zusammenhang zu stellen, um neue Sichtweisen zu produzieren. Fragen nicht nur mit Ja oder Nein zu beantworten, sondern weitere Fragen zu stellen. Aber ich sehe durchaus, dass aktivistische Rollenmodelle gerade jungen Leute auch Kraft geben können, weil sie vermitteln „Man kann seine Stimme hörbar machen.“ Das ist wichtig.

Pamela Owusu-Brenvah: Auf jeden Fall ist es krass, wie sich Leute bisweilen positionieren müssen. Manche möchten nur Musik machen und werden dadurch automatisch in Diskurse reingezogen, weil sie sich nicht zu etwas äußern. Wenn das in anderen Jobs auch so wäre – da hätte wirklich niemand Lust drauf.

taz: Seit dem Massaker der Hamas in Israel am 7. Oktober haben sich in der Clubkultur und auch im Pop die Fronten verhärtet. Mit dem Konflikt im Nahen Osten hatte das Pop-Kultur-Festival schon früher zu tun, weil es mehrmals Boykottaufrufe der israelkritischen BDS-Lobby gab. Nun sind Akteure wie „Strike Germany“ dazugekommen, die Kulturschaffende auffordern, Institutionen zu boykottieren, die Förderung vom deutschen Staat erhalten. Was ist da zu erwarten?

Morin: Wir kommunizieren klar, dass wir ein gefördertes Festival sind. Außerdem kennt man uns inzwischen ein bisschen. Wir bieten allen an, mit uns vorab über Zoom zu sprechen und dann zu entscheiden, ob sie auftreten möchten. Uns geht es auch bei dieser Thematik darum, Austausch zu ermöglichen. Dieses Jahr wird etwa die israelische Rapperin Eden Derso auftreten, und der queere palästinensische Singer-Songwriter Bashar Murad.

taz: Bei der Vorstellung Ihres Programms fiel der Satz „Pop ohne Humor ist Politik.“

Duman: Den habe ich mir vom Meme-Künstler Daniel Wiegärtner und dem Kollektiv „Galerie Arschgeweih“ geborgt. Er wird mit der bildenden Künstlerin Sveamaus über die digitale Kulturpraxis von Humor reden. Wenn man sich gesellschaftspolitischen Themen nähert – und die tauchen im Pop ja oft auf –, kann man Konfliktlinien vielleicht aufweichen. Letztlich geht es bei uns auch um Wohlfühlformate, etwa bei der Karaoke in der Çaystube, in dem auch ohne Ticket zugänglichen Hof der Kulturbrauerei. Es geht darum, Begegnungen möglich zu machen, die sonst nicht stattfinden würden.

taz: Wo sehen Sie sich konzeptionell am stärksten gefordert?

Morin: Nach wie vor beim Thema Inklusion. Damit verbundene Herausforderungen sind kompliziert. Was bedeuten körperliche Einschränkungen im Detail? Wie kann man allen Teilhabe ermöglichen? Wir sind nicht aus der Community und müssen uns dieses Wissen erst aneignen und Leute mit Handicap mit ins Boot holen. Es ist eine Laboratoriumssituation, immer wieder mischen wir Neues rein und müssen experimentieren. Und manches funktioniert eben nicht. Das ist der Freiraum, den wir dank der Förderung haben, dass wir mit einer Idee auch mal scheitern dürfen.

taz: 2024 betrug die Förderung aus verschiedenen Töpfen noch mal 1,3 Millionen Euro. Allerdings ist angesichts der Haushaltslöcher abzusehen, dass es nächstes Jahr deutlich weniger wird – im Moment ist mit etwa zehn Prozent Kürzungen zu rechnen.

Morin: Das Geld ist bereits weniger geworden, weil Kosten für Gagen, Reisen, die ganzen Gewerke, die am Festival hängen, explodiert sind. Damit sind alle konfrontiert, die in dem Bereich arbeiten. Wir müssen umdenken und schauen, wo noch Geld herkommen kann. Wo wir etwa mit anderen Festivals kooperieren können, um Reisekosten zu teilen. Wir werden jedenfalls weiterhin ein buntes Programm machen.

taz: Das ist dieses Jahr auch abzulesen daran, wie wichtig afrikanische Musik für die globale Popkultur geworden ist – was sich hierzulande in den Line-ups anderer großer Festivals aber kaum niederschlägt.

Owusu-Brenya: Da sind wir ganz vorn. Mit der nigerianischen Sängerin Yemi Alade und dem ghanaischen Shootingstar Black Sherif haben wir Künst­le­r:in­nen im Programm, deren Konzerte etwa in England binnen Sekunden ausverkauft sind, aber in Deutschland noch kaum in Erscheinung treten. Das hängt damit zusammen, dass es in dem Bereich nicht die üblichen Strukturen gibt. Auch wenn viele Ma­na­ge­r:In­nen von afrikanischen Künst­le­r:In­nen mittlerweile in London sitzen. Man muss erst mal herausfinden, wer zuständig ist. Fast alle Kontakte laufen über Whatsapp, mit E-Mails kommt man nicht weit. Einige sind, durch den Anklang, den sie in Europa finden, erst zu Stars in ihrer afrikanischen Heimat gewonnen – gerade, wenn sie abseits gesellschaftlicher Normen unterwegs sind. Viele Gesellschaften auf dem afrikanischen Kontinent sind sehr konservativ, allein durch den Einfluss der Kirchen. Deswegen ist jemand wie Lady Donli, die in Nigeria als alternative gilt, sehr interessiert daran, bei uns aufzutreten.

Morin: Wie wirtschaftliche und soziale Wege organisiert sind, das ist eine immer wieder spannende Frage, sie nachzuverfolgen. Wer definiert überhaupt, wo das Zentrum aufhört und wann die Peripherie beginnt? Warum ist eine Kellerband aus London sofort mit einer Logistik ausgestattet und kann durch Europa touren, während die Band aus Warschau, die ein ähnliches künstlerisches Konzept verfolgt, niemand kennt – einfach, weil es dort noch keine ähnlich professionellen Strukturen gibt.

taz: Also schafft Ihr Festival auch alternative Netzwerke?

Morin: Man muss das gar nicht paternalistisch sehen – im Sinne von „Wir geben Starthilfe“. Am Ende ist die Entscheidung immer eine künstlerische. Wir wollen Künst­le­r:in­nen prä­sentieren, die überzeugen. Wenn man mit offenen Ohren durch die Welt geht, sich an anderen Orten neue Sachen anguckt und online recherchiert, findet man tatsächlich überall Spannendes.

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