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Zirkus der Ermächtigung

Die Musiktheatergruppe glanz&krawall lässt im Zirkuszelt von Cabuwazi eine dreiköpfige Frauenband als Dreifach-Lulu Revanche an männlichen Bühnenfiguren und ebensolchen Bühnenschöpfern üben

Revanche mit Maske: Das Trio von glanz&krawall bei der Aufführung von „Lulu“ Foto: Peter van Heesen

Von Tom Mustroph

Das Ambiente ist schon mal besonders. Am Containerdorf der Geflüchtetenunterkunft auf dem Tempelhofer Feld und an der künstlerisch gestalteten Minigolfanlage Nuture Art vorbei gelangt man zum bunten 3-Zelte-Universum von Cabuwazi. Dort hat sich in dieser Woche die Musiktheatergruppe glanz&krawall eingenistet mit ihrer Produktion „Lulu – Revanche im Zirkuszelt“.

Die Gruppe ist bekannt als Genre-Flüchter, versuchte sich bereits an Oper, Musical und Operette und verfügt auch über einschlägige Zirkuserfahrung. Mit dem Zossener Familienzirkus Circus Magic wurde vor zwei Jahren der „Wendecircus“ als zirzensische Scheiternsmetapher für die Wiedervereinigung entwickelt. Angesichts des nicht zu leugnenden Rachepotenzials der jüngsten Landtagswahlen darf man glanz&krawall also durchaus politisches Gespür attestieren.

Jetzt nimmt sich die Gruppe um Regisseurin Marielle Sterra und Dramaturg Dennis Depta eines noch älteren Ungleichheitsphänomens an: des Deutungsdrangs der Männer gegenüber dem gesellschaftlich auf untere Stufen gestellten Objekt „Frau“. Sich dazu Frank Wedekinds „Lulu“ vorzunehmen – also die Zusammenführung der Dramen „Erdgeist“ und „Die Büchse der Pandora“ –, verblüfft einerseits. Denn Wedekinds Lulu darf man durchaus als Frau auf Selbstbestimmungstrip sehen. Andererseits zeigen Wedekind und auch der Komponist Alban Berg, der den Stoff als Oper umsetzte, ihre Lulus im Beziehungs- und vor allem Wahrnehmungsgeflecht der Männer gefangen.

Das wird jetzt umgedreht. Die famose Frauenband mit der exzellenten Multiinstrumentalistin und Arrangeurin Nolundi Tschudi, der omnipräsenten Schauspielerin, Drummerin und Keyboarderin Lisa Heinrici und der mit einer begeisternden Sopranstimme ausgestatteten und sich neben dem Bespielen diverser Instrumente auch an Trapez und Ringen hoch in die Manege schwingenden Marieke Wikesjo lässt jetzt nämlich die Männer tanzen, die sonst die Projektionsfigur Lulu manipulieren.

Die Männer werden zu „Schmollis“ erklärt. Der Begriff geht aufs saufende Verbrüdern in Burschenschaften zurück und übt jetzt feine Resonanz mit dem Schmollverhalten von in – gegengeschlechtlichen – Liebesbeziehungen zurückgewiesenen Kerlen. Oberschmollis sind natürlich die Ehemänner aus dem Stück wie Dr. Schön und der Maler Schwarz. Schön wird von Heinrici als Mischung aus Zirkusdirektor und Dompteur in die Manege geführt, Schwarz von Tschudi als mäßig erfolgreicher Actionpainter gespielt, der erst durch Lulu-Porträts zum Star wird. Aber auch Wedekind und Berg tauchen als Pappkopf-Figuren in der Schmolli-Parade auf wie ebenfalls der schrille Philosoph Otto Weininger. Der wurde durch seine als misogyn rezipierte Schrift „Geschlecht und Charakter“ berühmt, mehr noch durch seinen Selbstmord, den der bekennende Wagner-Fan ausgerechnet im Sterbehaus von Beethoven durch einen Schuss ins eigene Herz vollzog.

Besser als der inzwischen wieder vergessene Weininger wäre ein anderer Lulu-Bearbeiter als Schmolli gewesen: Lou Reed. Der arbeitete sich in seiner gleichnamigen Doppel-CD am Gruselfilm-Image des Berlins der 1920er mit Nosferatu & Co ab und unterstellt seiner weiblichen Hauptfigur Unterwerfungsfantasien vielerlei Art. Das Lou-Denkmal stürzt diese „Lulu“ leider nicht.

Immerhin überzeugen Tschudi, Heinrici und Wikesjo als Frauenband an Arbeitsgeräten wie Schlagzeug, Gitarre, Keyboard und sogar singender Säge. Sie entfalten eine Kraft, die an die legendären Bangles erinnert oder auch an die hiesigen Chicks on Speed. Das Repertoire reicht von Punk und Hardrock über melodischere Passagen bis hin zu Oper. Als Schlüsselsong schält sich „Ich bin eine Schlampe“ (auch zu hören auf Spotify) heraus. Dort wird das Gegensatzpaar Schlampe – normaler Mensch zwischen Frau und Mann mehrfach gedreht. In einem schön optimistischen Ende der Lulu-Biografie lässt Wikesjo sie mit ihrer Geliebten Gräfin Geschwitz nach Bologna durchbrennen, dort Jura studieren und Frauenrechte praktizieren.

Etwas Zirkuskunst wird mit Trapez und Jonglage auch geboten. Und selbst wenn der „Lulu“-Stoff nicht jedem und jeder geläufig sein mag, so sprechen die diversen Charaktere und die Art und Weise, in der die drei Spielerinnen sie einführen, für sich. „Lulu: Revanche im Zirkuszelt“ ist ein wilder Mix der Genres und ein schönes Statement gegen leider zunehmend wieder aus der Mottenkiste geholte Stereotypenbilder der Geschlechter.

Weiter 5. und 6. September, 20 Uhr, Cabuwazi Tempelhof

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