Soziologe über Wahlen im Osten: „Bei den Jungen habe ich Hoffnung“

Viele Ostdeutsche wissen genau, wie man der rechten Unterwanderung begegnet, sagt der Soziologe Daniel Kubiak. Ihnen müsse man zuhören.

The kids are alright: Drei junge Leute beim CSD in Bautzen Foto: Michael Danner

taz: Herr Kubiak, vor den Wahlen in Sachsen und Thüringen haben Sie getwittert: „Ich hoffe, dass die Demokratie diese Wahlen übersteht“. Hat sie sie überstanden?

Daniel Kubiak: Kurzfristig: Es hat eine demokratische Wahl ohne größere Störungen stattgefunden. Langfristig können wir es heute noch nicht beantworten. Entscheidend wird zum einen sein, ob es in beiden Ländern gelingt, eine stabile Regierung zu bilden. Zum Anderen kommt es darauf an, was die Wahl für die Zivilgesellschaft bedeutet – bekommen Projekte weiterhin Förderung, steigt die Bedrohungslage für Menschen, die sich engagieren, trauen sie sich weiter, sich öffentlich gegen Rechts zu positionieren – und sind es noch genug, die das tun? Ich war im Sommer auf dem CSD in Angermünde, dort waren gerade einmal 48 Leute.

ist Soziologe am Berliner Institut für empirische Integrations- und Migra­tionsforschung an der Humboldt-Universität. Er forscht zu ostdeutschen Identitäten, Rechtsextremismus und Migration in Ostdeutschland

taz: Aber sind nicht gerade die CSDs ein gutes Beispiel dafür, wie sich auch der Osten in Teilen wandelt hin zu einer freien, pluralen Gesellschaft? Vor fünf Jahren gab es noch keine CSDs in Angermünde, Bernau, Plauen oder Bautzen.

Kubiak: Ja, wobei ein CSD in der ostdeutschen Provinz anders funktioniert als in Berlin. In Berlin feiert ein CSD das Thema sexuelle Vielfalt, in vielen Orten in Ostdeutschland tun CSDs das auch, aber sie sind außerdem als Zeichen gegen Rechtsextremismus entstanden, oft aus einer prekären Situation heraus. Mehrere gesellschaftliche Organisationen mit unterschiedlichen Zielen schließen sich zusammen und treten als die progressive Zivilgesellschaft auf, weil sie einzeln nicht durchdringen.

taz: In Thüringen haben 38 Prozent der 18- bis 24-Jährigen AfD gewählt. Wie erklären Sie sich das?

Kubiak: Junge Leute sind eher bereit, nicht die etablierten Parteien zu wählen, und sie wechseln auch häufiger zwischen den Parteien. Bei den letzten Bundestagswahlen haben junge Leute vor allem die Grünen und die FDP gewählt, jetzt steht die AfD für das Anti-Establishment. Das liegt unter anderem daran, dass jüngere Menschen stärker dafür empfänglich sind, welche Themen gesellschaftlich und medial verhandelt werden. Das war bei dieser Wahl ganz klar das Thema Migration. Und dann kommt dazu, dass wir eine tradierte Identifizierung der jungen Generation mit dem eigenen Ostdeutschsein beobachten.

taz: Woher kommt diese junge Ostidentität?

Kubiak: Daher, wie über den Osten gesprochen wird. Der Osten gilt häufig als der abgehängte Teil Deutschlands. Es geht um Abwertungserfahrung, um die Veränderungen im Osten, es werden Witze darüber gemacht.

Es gibt eine Opfererzählung aus und über Ostdeutschland, die gar nicht der Realität entspricht. Den meisten Leuten im Osten geht es heute materiell viel besser als vor 30 Jahren. Die Arbeitslosigkeit ist gesunken, die Löhne sind gestiegen. Und trotzdem gibt es Abwertungsnarrative auch bei jungen Ostdeutschen, die die Umbrüche der 90er Jahre nicht selbst erlebt haben – auch, weil es eine Partei gibt, die dieses Narrativ für sich missbraucht: die AfD.

taz: Spielt der Rechtsextremismus der AfD keine Rolle dafür, dass junge Menschen die AfD wählen?

Kubiak: Sicher, der Ostaspekt ist sowieso immer nur ein Puzzleteil für die Erklärung von Wahlverhalten. Wir sehen ja in letzter Zeit ein Erstarken rechter Jugendkultur, vor allem im Internet, etwa bei Tiktok. Aber man muss auch beachten, dass die Gruppe der 18- bis 24-Jährigen im Osten sehr klein ist. Die sind nicht die, die den großen Erfolg der AfD erklären. Dafür ist eher die Gruppe der 40- bis 60-Jährigen verantwortlich, und die wissen genau, wen sie wählen und sind teilweise selbst aus der rechten Jugendkultur der 1990er – den Baseballschlägerjahren – entsprungen.

taz: Die ostdeutsche Opfererzählung hält sich schon seit Jahren, trifft sie doch einen wahren Kern – Ostdeutsche sind weniger repräsentiert, verdienen im Schnitt weniger. Wie kommen wir da aber raus?

Kubiak: Ich glaube, es gibt mindestens eine Generation, bei der eine so große Anstrengung über die vergangenen 35 Jahre geherrscht hat, dass man dagegen kaum ankommt. Sie haben es gewuppt, aber sie wissen genau, zu welchen biografischen Konditionen. Bei den Jungen habe ich Hoffnung. Die kriegt man mit den vielen berechtigten progressiven Erzählungen über den Osten.

Es gibt auch im Osten selbst verwaltete, progressive Projekte auf dem Land, die Leute zusammenbringen. Die Fusion, das Festival in Mecklenburg-Vorpommern, ist ein ostdeutsches Projekt. Seit den 90er Jahren gibt es Leute im Osten, die genau wissen, wie man den Rechten begegnet. Sie wissen, wie man damit umgeht, wenn der Jugendklub oder das Stadtfest von Rechten unterwandert ist. Denen müssen wir zuhören, von denen können wir lernen.

taz: Aber wieso werden sie nicht gehört?

Kubiak: Provokant heruntergebrochen: Weil das völkische Denken immer noch alles andere überlagert. Die Täter aus dem eigenen Kreis sind anscheinend weniger problematisch als die, die mir fremd sind. Schuld wird externalisiert auf Migranten zum Beispiel. Was zurzeit passiert, erinnert mich stark an die 90er Jahre: Nach den rechten Gewaltanschlägen in Rostock und Solingen reagierte die Politik mit Asylrechtsverschärfung. Man dachte, man könnte Rechtsextremismus bekämpfen, indem man die Zugewanderten bekämpft.

In die Köpfe zu investieren, in politische Bildung, in Demokratieförderung, das ist eben viel anstrengender und langwieriger. Die Demokratisierung einer Gesellschaft schafft man nicht in fünf Jahren – das ist eine Daueraufgabe.

taz: Die Nachwahlanalysen zeigen, dass die AfD vor allem dort gewählt wird, wo ein großer Teil der lokalen Bevölkerung keinen akademischen Abschluss hat. Welche Schlüsse lassen sich daraus ziehen?

Kubiak: Es kann jedenfalls nicht die Lösung sein, noch mehr Akademiker auszubilden. Sonst müsste man auch darüber sprechen, wie wir das finanzieren, damit sich wirklich alle Leute ein Studium leisten können. Trotzdem ist Bildung natürlich ein Schlüssel, nur muss man dann auch über Inhalte reden. Sachsen hat bei Pisa sehr gut abgeschnitten, aber Mathe- und Deutschkenntnisse allein reichen für eine funktionierende Demokratie eben nicht aus.

taz: Bildung ist der Schlüssel?

Kubiak: Einer, ja. Leider spielten landespolitische Themen in diesem Wahlkampf kaum eine Rolle. Insgesamt geht es immer viel um Gefühle, auch bei Politikern. Wir als Wissenschaftler dringen da mit Fakten zu wenig durch.

Mein Lieblingsbeispiel: Es gibt diese Erzählung, dass Geflüchtete den Sozialstaat nur etwas kosten. Und es stimmt ja: Es kostet erstmal Geld, Geflüchtete aufzunehmen. Die Zahlen zeigen aber auch, dass syrische Männer mittlerweile sehr gut in den Arbeitsmarkt integriert sind. Teilweise ist die Beschäftigungsquote unter syrischen Männern höher als der Bundesdurchschnitt. Die Integration in den Arbeitsmarkt gelingt also und damit auch die gesellschaftliche Integration. Es wurde geschafft. Die Erzählung ist aber eine andere.

taz: Sie beschäftigen sich mit der postmigrantischen Gesellschaft in Ostdeutschland. Kann man als Mensch mit nicht-weißer Hautfarbe überhaupt noch in Schleiz in Thüringen wohnen?

Kubiak: Das tun ja ganz viele Menschen und viele wollen und können auch nicht weg. Sie wollen ihre Heimat mitgestalten. Aber die Entscheidung des Gehens oder Bleibens ist auch hier, wie allgemein im Osten, eine relevante. Das ist problematisch, weil die Leute sich nicht sicher fühlen und gleichzeitig Talente den Raum verlassen, die man eigentlich dort braucht.

Das ist auch ein spezifisches Thema für den schrumpfenden ländlichen Raum. Geflüchtete verlassen in Westdeutschland viel seltener den ländlichen Raum als Menschen in Ostdeutschland – nur etwa 29 Prozent blieben im Landkreis Bautzen, im niedersächsischen Landkreis Vechta blieben 77 Prozent. Aber: Nicht alle können gehen. Und diejenigen, die bleiben, brauchen besonderen Schutz.

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