piwik no script img

Werkschau Die Braut Haut ins AugeWarum sie so laut singen konnten

Nun kommt die fällige Werkschau der Frauenband Die Braut Haut ins Auge. Zur Hamburger Schule gehörte sie nie so ganz dazu.

Allzeit unterschätzt: Die Braut Haut ins Auge, hier 1992 Foto: Deborah Schamoni

Die Geschichte der Band Die Braut haut ins Auge ist leider auch eine Geschichte der Zerstörung von Tonträgern, um die es furchtbar schade ist. Die Lagerhaltungskosten waren teurer als die Vernichtung der Waren, und deswegen entschied sich das Majorlabel BMG-Ariola dafür, alle vorhandenen CDs und Vinyls der Hamburger Künstlerinnen nach Auflösung ihrer Band im Jahr 2000 einzuschmelzen.

Was damals verschwand und bis vor Kurzem auch im Netz nur noch nach aufwändiger Recherche zu finden war: ein Œuvre aus drei Studioalben und einem Live-Album mit Songs, entstanden in den 1990er Jahren. Quirlige Musik, die gelöst Chansonhaftes, twangy Sixties-Pop, Schweineorgel und Moog-Synthesizer mit einer untergründig hörbaren Liebe zum Rumpelpunk verband.

„Wir standen zwischen allen Stühlen“, erinnert sich Sängerin und Gitarristin Bernadette La Hengst im Interview mit der taz. „Unsere Songtexte galten als nicht diskursiv genug, aber wir waren auch keine linientreue Punkband, weder inspiriert von der Riot-Grrl-Bewegung noch von garagigen Sixties-Girlbands. Wir haben einfach genauso auf den Bühnen gerockt wie die Jungs.“

Zwischen allen Stühlen

Zwischen den Stühlen heißt im Fall von Die Braut haut ins Auge auch, dass kein Indie-Label ihre Musik veröffentlichen wollte. „Unser Debütalbum kam erst 1994 bei RCA raus, mehr als vier Jahre nach Bandgründung“, erzählt La Hengst. „Damals bedeutete es für viele in der Szene schon kommerziellen Ausverkauf, wenn man nicht bei einem Indie veröffentlichte, aber für uns gab es keine andere Möglichkeit.“

Die Braut Haut ins Auge

Die Braut haut ins Auge: „Hits 1990 bis 2000“ (Trikont/Indigo). Alle Alben digital! (https://trikont.de/allgemein/die-braut-haut-ins-auge-alle-alben-digital/)

Live: 26. September 2024, Hafenklang, Hamburg: Bernadette La Hengst, Knarf Rellöm und Peta Devlin; 15. November 2024, Monarch, Berlin: Bernadette La Hengst und Peta Devlin.

Umso so besser, dass das Gesamtwerk jetzt an einem passenderen Ort wieder auftaucht. Beim unabhängigen Münchner Trikont-Label, das bereits die Soloalben von Bernadette La Hengst veröffentlicht hat. Vom titellosen Debüt über „Was nehm ich mit?“ zu „Pop ist tot“ und „Plus 1 auf der Gästeliste“ ist nun alles Material wieder zugänglich. Allerdings vorerst nur digital.

Im Oktober wird – dann auch auf Vinyl – das Best-of-Album „Die Braut haut ins Auge – Hits 1990 bis 2000“ hinterhergeschoben. Außerdem sind bislang zwei Konzerte mit Bernadette La Hengst und Peta Devlin (Bass, Gitarre, Gesang), also in halber Besetzung, geplant.

Popfeminismus avant la Lettre

Die Braut haut ins Auge hat so etwas wie einen frühen, dann verschütt gegangenen deutschsprachigen Popfeminismus in Liedform in die Welt gestellt. Aber eben nicht als dezidiert feministische Unternehmung, sondern in Form von Beziehungssongs und Liebesliedern aus nichtmännlicher Perspektive.

„Wir haben viel über Beziehungen gesungen, um uns in der Auseinandersetzung mit der oder dem anderen selbst neu zu definieren. Dabei war uns auch bewusst, dass wir das als feministische junge Frauen tun.“

Die Musik von Die Braut haut ins Auge macht vor allem Hörerinnen, letzten Endes aber geschlechterübergreifend allen Menschen Mut. Und ihre Liebeslieder klingen rückblickend, ähnlich wie die der zeitgleich agierenden, wesentlich lakonischeren Berliner Kol­le­g:In­nen Lassie Singers, zeitlos. Die Songs „Nichts ist für immer“ und „Wenn es dann vorbei ist“ erzählen auf eine abgeklärte und trotzdem nicht kühle Weise davon, dass und wie Dinge enden.

Elegante Streicherarrangements

„Wenn du gehst“, zu finden auf dem schönsten DBHIA-Album „Pop ist tot“, tut das mit eleganten Streicherarrangements auf eine schmerzhafte Weise. Ein mit beschwingtem Bläsersatz gesegneter Song wie „Mann mit Hang zur Depression“ wiederum hilft potenziell allen mit Sorgenfalten durch den Tag: Besonders auch Menschen, die einen Mann mit Melancholieproblem lieben, und Menschen mit Depression, denen hier wie nebenbei das Gefühl gegeben wurde, dass sie trotz Seelenqual liebenswert sind.

Und das Lied macht sich zugleich sanft über selbstmitleidige Inszenierungen lustig („Sein Blick starrt in die Ferne / Als ob da etwas wäre / Was ihm Trost gibt in dieser finsteren Welt“), ohne dass Seelenpein ins Lächerliche gezogen würde. Der Zeitpunkt, um diese Musik wieder zu veröffentlichen, ist gerade nicht der schlechteste.

Der stillschweigende Ausschluss von Musikerinnen ist heute auch ohne Quotenregelungen nicht mehr so möglich wie in den vergleichsweise stärker männlich dominierten Subkulturen der neunziger Jahre. Die Zahl der Sängerinnen, Gitarristinnen, Schlagzeugerinnen und so weiter ist genreübergreifend rapide gestiegen. Die Braut haut ins Auge waren hier nicht zuletzt Vorreiterinnen.

Vieldiskutierte TV-Doku

Gewürdigt wurde dieses Erbe zuletzt von der zwar ins Nachtprogramm der ARD verbannten, aber in der Mediathek viel gesehenen Doku „Die Hamburger Schule – Musikszene zwischen Pop und Politik“. Denn ihre Ausstrahlung war von einer hochkomischen und sehr lehrreichen Monumentaldebatte in Social Media flankiert.

Der Zweiteiler der Regisseurin Natascha Geier räumte Musikerinnen einen größeren Raum ein als bislang in den Darstellungen der Geschichte der Hamburger Szene der neunziger Jahre. „Es gibt anscheinend immer wieder Wellen von Interesse an dieser Geschichte“, sagt Bernadette La Hengst.

Dieses bewusste Schreiben von deutschsprachigen Songtexten, mit denen man einen Bezug zur näheren Umwelt herstellt in all ihren Brüchen und Rissen, inspiriert von Politik, Literatur, Filmen, Geschichte und Kunst, das war und ist schon etwas sehr Besonderes, das bis heute Wirkung zeigt.“

Es wäre also sehr schön, wenn die Musik von Die Braut haut ins Auge dem drohenden Vergessen wieder entrissen würde.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Wir haben zwar noch nie Marx gelesen...



    aber für Sozialismus sind wir immer gewesen!



    Erinnert mich an ein sehr cooles Konzert in der



    Jazzgalerie in Bonn.



    Der Beginn der Hamburger Schule mit Blumfeld, den Sternen , element of crime und dann auch tocotronic war schön,



    so in kleinen Clubs und man/frau erlebte eine neue, eine deutsche Independent Szene, die eben mal was Anderes war, als "immer nur Punk"!



    Danke für die schönen Erinnerungen!