: Die Ungeduld der Guten
Mit Bernhard Schlinks Drama „20. Juli“ fragen die Kammerspiele Hamburg nach der Legitimität von Gewalt im Kampf gegen Rechts. Brachial sind die dramatischen Mittel
Von Jens Fischer
Es ist Bernhard Schlinks erstes Theaterstück. Und wirkungsvoll hat erdie Zutaten der dramatischen Gemengelage von „20. Juli“ komponiert: Es spielt auf einer Abiturfeier. Im Geschichtsunterricht war lang und breit der Nationalsozialismus verhandelt worden. Die Schüler:innen hatten dabei die Widerstandskämpfer:innen als Loser entdeckt, die den Holocaust nicht verhindert hatten. Gleichzeitig hatte der Lehrer Zivilcourage gepredigt und Moral.
Und dann hat irgendjemand die Abifeier ausgerechnet auf den 20. Juli gelegt, an dem Adolf Hitler vor 80 Jahren mit einem Bombenanschlag hätte getötet werden sollen. Zudem erreicht gerade eine rechtspopulistische Partei, die Deutsche Aktion (DA), bei Wahlen über 30 Prozent der Stimmen – Tendenz stetig steigend.
Wenn man an die bevorstehenden Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen denkt, ist die Ausgangssituation des Stücks hochaktuell. Dessen Premiere an den Hamburger Kammerspielen war am Samstag als „Uraufführung“ angekündigt, auch wenn die vor vier Monaten im Heidelberger Karlstorbahnhof stattfand.
In Hamburg inszeniert Franz-Joseph Dieken. Er findet gleich zu Beginn ein kraftvolles Bild. Jede Figur springt in ihrer ganz eigenen Empörungsart an die Rampe: mit aggressiv verzerrter Mimik, zuckenden Fäusten, Kung-Fu-Tritten oder panisch aufgerissenen Augen. Das siebenköpfige Ensemble kommt von der Schule für Schauspiel Hamburg und entwickelt einen enormen Drive. Der verdeutlicht die Dringlichkeit des Anliegens, zeigt aber auch, dass noch keine Vollprofis auf der Bühne stehen. Schlink macht es ihnen aber auch nicht leicht. Er hat die Rollen nicht zu vitalen Bühnenfiguren entwickelt. Dem emeritierten Juraprofessor geht es als Dramatiker um die Zuspitzung des Diskurses. Wäre es notwendig und gerechtfertigt, auf den Rechtsruck mit Gewalt gegen deren Propagandisten vorzugehen, um Schlimmeres zu verhindern?
„Wer zu spät schießt, den bestraft das Leben“, heißt es im Stück. Muss also beispielsweise ein mit Nazi-Parolen um sich werfender AfDler wie Björn Höcke mit einer Pistole mundtot gemacht werden? Auf der Bühne ist ein sprachmächtig smarter Vertreter der jungen gebildeten Rechten Objekt des Hasses. Rudolf Peters wird die zynische AfD-Jargon-Schleuder genannt. Constantin Moll spielt ihn mit gefährlicher Souveränität und darf in knuddeliger Harmlosigkeit auch noch einen Alt-68er darstellen. Eine äußerst fragwürdige Doppelbesetzung, da sie doch eine Gleichsetzung von rechtem Auf- und linkem Ruhestand nahelegt.
Die Bühne ist ein Kampfzonenquadrat, von Traversen und Bänken begrenzt. Der rasant vorgetragene, prononciert formulierte Argumente- und Meinungs-Ping-Pong wird ab und an durch Musikzuspielungen übertönt und immer wieder eingenebelt. Aber die Eskalationsdynamik funktioniert. Ausgangspunkt ist die These, die Attentate auf Hitler wären zu spät erfolgt. Er hätte bereits deutlich vor 1933 vom Rednerpult geschossen werden müssen. Dieser Fehler soll sich nicht wiederholen, finden die Jugendlichen.
Theater „20. Juli“: Nächste Aufführungen am 29. 9., 18 Uhr und 30. 9., 19.30 Uhr, Kammerspiele, Hartungstr. 9–11, Hamburg
Sofort kommt Gegenwind vom Lehrer: Straf- und das Völkerrecht erlaubten keinen präventiven Mord. Nur gewinnt diese Position wenig Gewicht. Der Lehrer ist von Schlink als handlungsinkompetenter Großschwätzer angelegt. Vollends unsympathisch macht ihn, dass er das Klischee bedient, eine der Abiturientinnen geschwängert zu haben. Insgesamt bleiben die theatralen Mittel etwas plump. So muss extra ein Hund totgefahren werden, damit eine Figur zeigen kann, wie nah am Wasser ihr Gemüt gebaut ist.
So divers wie ihre Studiumswahl – Journalismus, Ingenieurswesen, Medizin, Geschichte, Jura – diskutieren die jungen Hitzköpfe mit postpubertärem Übermut. Sie distanzieren sich, koalieren wieder und beginnen das Attentat zu planen. Sie wandeln dabei auf dem schmalen Grat zwischen gerechtem Zorn, weil dem Rechtsstaat zunehmend weniger vertraut wird, und aktivem Terrorismus, der nach eigenen Gesetzen neue Fakten schaffen will. Die historisch oberflächliche Parallelisierung der politischen Entwicklungen in Weimarer Republik und heutigem Deutschland wird aber nur andeutungsweise kritisiert.
Als die Weltretter-Euphorie der Jugendlichen schwächelt, zünden Rechte ein Geflüchteten-Wohnheim an. So stehen alle plötzlich provoziert und provozierend wieder an der Rampe – und singen „Smells like teen spirit“ von Nirvana.
Das verkleinert das Thema zum Ausdruck einer perspektivlos von Zukunftssorgen erregten Jugend. Ein kluger Einwand der Regie für diese leidenschaftlich dargebotene Premiere des textlich sehr grob gestrickten, arg pädagogischen, dabei aber in der Haltung eben doch unentschiedenen Stücks.
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