Kirchenstreit in der Ukraine: Wie hast du's mit der Religion?

Der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche droht ein Verbot aufgrund ihrer vermeintlichen Nähe zu Russland. Doch noch bleiben viele Gläubige ihr treu.

Polizeiaktion vor der orthodoxen Kirche in Kyjiw 2023 Foto: Pacific Press/imago

Die Menschen in der Ukraine sprechen in diesen Tagen nicht nur über den Vormarsch ukrainischer Truppen auf das russische Gebiet Kursk und die Kämpfe im Donbass. Viele reden auch über ein Gesetz, das Aktivitäten einer bestimmten orthodoxen Kirche in der Ukraine verbietet. Das Parlament hat es in dieser Woche verabschiedet.

Zwar ist in der Bezeichnung des Gesetzes kein Wort über ein Verbot der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche (UPZ, bis 2022 zum Moskauer Patriarchat gehörig) zu finden. Diese lautet: „Über die Regulierung der Aktivitäten religiöser Organisationen, die ein Führungszentrum in Russland haben“. Doch schon während der Diskussion der neuen Vorschrift zeigten alle mit dem Finger auf die UPZ.

In Luzk, im Westen des Landes, haben sich an diesem brütend heißen Morgen nur wenige Personen an der Fürbittekirche eingefunden, dem größten Kirchengebäude der UPZ. Sie warten im Schatten einer ausladenden Linde auf den Beginn des Gottesdienstes. Einzelne Wortfetzen sind zu vernehmen wie „Verbot“ und „Fest des Satans im Parlament“.

Eine Frau ist mit ihrer Tochter gekommen, die beiden wollen am Abendmahl teilnehmen. Auf die Frage, ob sie wisse, wie das Verbot umgesetzt werden solle, wirkt die Frau zunächst verlegen, fixiert dann aber ihr Gegenüber aufmerksam und sagt: „Wenn du kein Provokateur bist, werde ich antworten.“ Sie habe das Gesetz zu Hause gelesen, aber darin werde lediglich die Kirche des Moskauer Patriarchen Kyrill verboten. „Wenn unsere Kirche bestätigt, dass sie nichts mit Kyrill zu tun hat, werde ich auch noch in fünf Jahren mit meiner Tochter zu unseren Priestern kommen“, sagt sie.

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Der Gottesdienst beginnt. Die altkirchenslawische Sprache, in der das Ritual durchgeführt wird, ist dem Russischen sehr ähnlich und verursacht Ohrenschmerzen – bei denjenigen, die sich der Orthodoxen Kirche der Ukraine (PZU) zugehörig fühlen. Die wurde 2019 vom Oberhaupt der Orthodoxie als eigenständig anerkannt. Dort wird jetzt auf Ukrainisch gebetet.

In der Region um Luzk herum sind seit 2019 130 Gemeinden zur PZU übergetreten, davon 70 während des Kriegs. Das ist nicht viel. Die Leute zögern. Einige sind überzeugt, dass die neue Kirche nicht vom Heiligen Geist erfüllt sei. Andere wollen sich nicht von „ihren“ Priestern trennen und haben es daher nicht eilig zu wechseln.

Nicht eilig hatte es zunächst auch der Staat, wenn es um die UPZ ging. Und das, obwohl Priester zu hören waren, die den Patriarchen Kyrill verherrlichten. Doch dann eröffnete der Inlandsgeheimdienst der Ukraine (SBU) 100 Strafverfahren gegen Vertreter der UPZ. 26 Priester wurden wegen Verbreitung russischer Narrative, Unterstützung des Kriegs oder Spionage verurteilt.

Vor der Kirche in Luzk steht ein junger Mann Mitte 20. Er studiert am Polytechnikum und engagiert sich manchmal in der UPZ. Bis Kirchen geschlossen würden, dauere es wohl noch, sagt er. Bestehe der Verdacht einer Zusammenarbeit mit der Russisch-Orthodoxen Kirche, müsse das eine Expertenkommission in jeder einzelnen Gemeinde prüfen. Wenn etwas entdeckt werde, gebe es Zeit, das zu korrigieren, meint er und wird plötzlich rot.

„Nach dem Beginn des Kriegs ist meine Tante aus Odessa zu uns gezogen. Sie geht seit 2014 nicht mehr in die Kirche, seit sie gesehen hat, wie aggressive Unterstützer Russlands Waffen aus der zentralen Kirche der Stadt herausgetragen haben“, sagt er. „Meine Tante sagt, dass sie der UPZ nie verzeihen werde, dass Einwohner von Odessa mit diesen Waffen getötet wurden.“ Bei Straßenkämpfen waren damals fünf Menschen ums Leben gekommen.

Der Mann verabschiedet sich, aus der Ferne ist ein Trauerzug zu hören – das letzte Geleit für einen weiteren getöteten Soldaten. Ziel ist die größte Kirche der PZU im Zentrum der Stadt. Es sind ihre Priester, die die Gefallenen am häufigsten bestatten.

Aus dem Russischen von Barbara Oertel

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