Gedenken an Völkermord: Koloniale Gegenwart

Vor 120 Jahren begann der deutsche Völkermord in Namibia. An die Aktualität seiner Ursachen hat ein Festakt am Bremer Mahnmal erinnert.

Kolonialverbrechern wie Carl Peters errichtete man Denkmale. Helgoland hat einen zeitgemäßen Umgang damit gefunden Foto: Nightflyer/wikimediaCC

BREMEN taz | Gedenkfeiern produzieren keine Nachricht. Da macht auch der Akt am gestrigen Sonntag in Bremen keine Ausnahme: Schwarze Community, dekoloniale Vereine, Rathaus, Landeszentrale für politische Bildung und andere Akteure erinnerten gemeinsam an den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts, die weitgehende Vernichtung von Ovaherero, Ovambanderu und Nama.

Knapp 100 Menschen sind gekommen zu der kleinen Zeremonie am einschlägigen Mahnmal im Nelson-Mandela-Park, gleich vor dem Backstein-Elefanten: Diese kolonialrevisionistische, begehbare Tierplastik war 1990 zum Antikolonial-Denkmal umgewidmet worden. Darauf, dass dieser monumentale Figur dennoch ihre Macht eingeschrieben bleibe, macht Jasmin Alley in ihrer Festrede aufmerksam, Direktorin des Emder Ostfriesischen Landesmuseums.

Blumen werden niedergelegt, es gibt Musik, ein Bürgermeistergrußwort und Reden, eine Freiluft-Fotoausstellung und etwas zu essen. Äußerlich besehen passiert halt nichts bei Gedenkfeiern, vielleicht damit sie tatsächlich eine Art Lücke in die Zeit reißen können für das, was geschehen ist.

Mit völkermörderischer Absicht

Buch Norman Aselmeyer/Virginie Kamche (Hg.): „‚Stadt der Kolonien‘. Wie Bremen den deutschen Kolonialismus prägte“. Herder 2024, 288 S., 20 Euro; E-Book 15,99 Euro

Vorstellung Do, 15. 8., 18 Uhr, Bremen, Haus der Wissenschaft.

So auch Sonntag. Am 11. August 1904, vor 120 Jahren, begann mit der Schlacht von Ohamakari – auf Deutsch: der Schlacht am Waterberg – der nachweislich mit genozidalen Absichten geführte Krieg der deutschen Kolonialtruppen gegen die Menschen Namibias. Diese hatten angefangen, sich nach Jahrzehnten informeller Versklavung zu wehren gegen die kolonialen Besatzer und ihr Herrschaftssystem, das auf den zwei Pfeilern Landraub und Zwangsarbeit errichtet war und auf Rassismus fußte.

Vier Jahre dauerte die brutale Niederschlagung dieser Revolte. Überlebende Aufständische wurden in die Kalahari-Wüste getrieben, die Kriegsgefangenen in, ja: Konzentrationslager gesperrt. Dort missbrauchte man sie zu medizinischen Versuchen oder quälte sie einfach so zu Tode.

Der 2009 vom heutigen Präsidenten Namibias Nangolo Mbumba und dem damaligen Bremer Bausenator Reinhard Loske (Grüne) eingeweihte Steinkreis im Schatten des Backstein-Elefanten ist bis heute das einzige für dieses Verbrechen gegen die Menschheit geschaffene Mahnmal in Deutschland. Eine materielle Entschädigung der Opfernachfahren gehört nach wie vor zu den politischen Forderungen, die bundespolitisch offensiv verdrängt werden.

Aber auch jenseits davon stellt Gedenken Ansprüche: „Kolonialismus ist Gegenwart“, mahnt Manfred O. Hinz, der zweite sonntägliche Redner: Der Bremer Jura-Professor hat nach der Unabhängigkeit Namibias an der Verfassung des jungen Staats mitgewirkt und am Aufbau der ersten rechtswissenschaftlichen Fakultät in Windhuk.

Auch seine Worte sind ein Appell, sich des Fortwirkens von Rassismus und der Spuren jener verhängnisvollen Kontakte auch im Alltag bewusst zu werden: Gedenkkultur bedeutet eben, sich deren Ausmaße vor Augen – oder, im Rahmen des sehr schönen „Lausch-Orte“- Projekts als digital abrufbare, literarisch durchgeformte Reflexion vor Ohren zu führen.

Will man gemeinsam eine Zukunft nach dem Kolonialismus haben, ist es notwendig, eine Ahnung davon zu bekommen, welche Verletzungen er bewirkt hat – Verletzungen, die vielleicht nie vernarben. Es geht dabei nicht immer um Offensichtliches.

Zum Wesen des Kolonialismus gehöre, so Alley, „dass er seine eigene Gewalt verschweigt“. Die Wahrnehmung braucht also einerseits eine gesellschaftliche Wachheit fürs Verdeckte und Unerzählte. Die ist in Bremen durchaus anzutreffen: Seit den 1970ern gibt es hier viele Dekolonisierungs-Inis, von Versuchen, durch die Nazis kolonialrevisionistisch benannte Straßen umzubenennen bis hin zur direkten Zusammenarbeit etwa mit der Swapo auf landespolitisch höchster Ebene.

Die „South West Africa People’s Organisation“ galt der CDU als Terrorbande. Entsprechend schimpfte ihre Fraktion damals gegen den Senat. Das Engagement bremsen konnte sie dadurch nicht.

Ein dekolonialer Stadtführer

Auch auf diese Traditionen gestützt, haben nun Norman Aselmeyer, Historiker an der Bremer Uni, und Virginie Kamche, Mitgründerin des Vereins Afrika Netzwerk Bremen, eine wirklich umfassende Zusammenschau kolonialer Spuren herausgegeben. Am Montag erscheint ihr Buch „Stadt der Kolonien, das sie am Donnerstag im Haus der Wissenschaft vorstellt: Es zeigt, „wie Bremen den deutschen Kolonialismus prägte“, so der Untertitel.

Es ist ein regelrechter Führer durch den oft verschütt gegangenen kolonialen Hintergrund der Stadt. Er beruht nicht auf eigener Forschung, macht aber sehr viele neue Ergebnisse allgemein zugänglich. 50 gut lesbare Beiträge erhellen 50 Aspekte der Bremer Teilhabe an der gesamteuropäischen Bewegung des Raffens und der Expansion. Geografisch reicht der Horizont von Bremer Sklavenhaltern auf karibischen Zuckerrohrplantagen bis zur Deutschen Südsee-Phosphat-AG mit Postanschrift gleich neben der Kirche Unser Lieben Frauen. Erfasst werden Waren, Tätigkeitsfelder, museal-kuratorische Strategien im Umgang mit dem Erbe.

Und spezifische Gegenstände: So wirkt wie eine Anekdote, dass sich ein findiger Bremer Hutmacher ab 1900 in Deutschland, der Schweiz und in den USA seinen neuartigen Tropenhelm patentieren ließ, das Kleidungsstück des Kolonialismus.

Der war in jedem Moment Gewalttat: Grundlage von Ludwig Bortfeldts Tropenhelmmonopol war nämlich ein fünfteiliger, klappbarer Nackenschirm: „Sein Design ermöglichte den Trägern, ungehindert mit der aufgesetzten Kopfbedeckung zu schießen“, schildert Laura Haendel, Kuratorin des Deutschen Panzermuseums Munster, die Pointe der Erfindung, „sogar im Liegen.“

Als ältester Hinweis auf dieses Denken treten auf: die protokolonialistischen mittelalterlichen Missionszüge, die das Bistum Bremen-Hamburg mithilfe der Schwertbrüder ins Baltikum unternimmt. Als neueste Erscheinung wird das deutsche Bestreben erwähnt, den Tsau-||Khaeb-Nationalpark verwüsten zu lassen.

„Grüner Landraub“

Denn das ist nötig, damit eine von einem deutschen und einem britischen Unternehmen gegründete namibische Firma mit weißem Chef und Schwarzer Rezeptionistin sogenannten „grünen Wasserstoff“ für den Export herstellen kann. So spannt sich der 140-jährige Bogen vom Bremer Kaufmann Lüderitz – der betrügerisch große Teile des heutigen Namibia in Besitz nahm – „bis zum ‚grünen Landraub‘ in der ehemaligen Kolonie“, resümiert Henning Melber in seinem Beitrag.

„Stadt der Kolonien“ ist ein Nazi-Begriff. Der Buchtitel setzt ihn in daher auch in Anführungszeichen. Es geht auch nicht um einen sündenstolzen Versuch, das Verbrechen zu monopolisieren, also die Einschätzung unter umgekehrtem Vorzeichen zu bestätigen.

Im Gegenteil, der Blick beispielsweise auf die lokale Verstrickung ließe sich vielversprechend nicht nur auf die Seemacht Hamburg, sondern nahezu jede Stadt übertragen: Flensburgs Rumdestillen, Hannovers Gummireichtum und Osnabrücks Leinen-Exporte gehören zu den Spielarten derselben Bewegung. Sie bildet den Grundbass des Kapitalismus. Erst die unterschiedlichen, aber konsequent lokal verankerten Blicke ermöglichen, den eigenen Standort globalhistorisch zu bestimmen.

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