G20-Prozess in Hamburg: Im Schwarzen Block wird gespitzelt

Könnten V-Personen Teilnehmende der G20-Proteste angestiftet haben? Für den Rondenbarg-Prozess wäre das ein Einstellungsgrund, sagt die Verteidigung.

Wie viele Spitzel sind wohl im Schwarzen Block? Foto: Paul Zinken/dpa

HAMBURG taz | V-Personen des Verfassungsschutzes könnten den Rondenbarg-Prozess zum Einsturz bringen. Wie in der Hauptverhandlung bestätigt wurde, hatte das niedersächsische Landesamt für Verfassungsschutz mehrere V-Personen bei den Protesten gegen den G20-Gipfel im Juli 2017 im Einsatz.

Das hatte der Abteilungsleiter Linksextremismus des niedersächsischen Landesamtes, Marc-Alexander Schindelar, Ende Juli im Prozess ausgesagt. Die Information ist zwar nicht überraschend, aber aufgrund der Rechtskonstruktion, die eventuell zur Verurteilung der beiden Angeklagten G20-Gegner*innen führen wird, könnte es für die Richterin zum Problem werden.

Die Kammer hatte die Anwesenden in einer der letzten Sitzungen des nun schon seit Januar andauernden Prozesses darüber informiert, dass sie eine Verurteilung in Erwägung ziehe, bei der sie die Angeklagten „nur“ wegen Beihilfe zu Straftaten schuldig sprechen würde.

Ursprünglich hatte die Staatsanwaltschaft ihnen schweren Landfriedensbruch, tätlichen Angriff, versuchte gefährliche Körperverletzung, Bildung einer bewaffneten Gruppe und Sachbeschädigung vorgeworfen, ohne ihnen individuelle Taten zuzuweisen. Im Laufe des Verfahrens bröckelten alle Vorwürfe, bis auf den des schweren Landfriedensbruchs weg. Doch auch der lässt sich nur noch schwer halten. In Betracht komme nun, so die Richterin, aber auch ein Schuldspruch wegen Beihilfe zu schwerem Landfriedensbruch.

Von „Taten“ zu sprechen, ist gewagt

Und die könnte so ausgesehen haben: Durch ihre Anwesenheit und das Tragen szenetypischer Kleidung sollen die G20-Gegner*innen andere zu ihren Taten ermutigt und ihnen das Verschwinden in der Masse ermöglicht haben. Von „Taten“ zu sprechen, ist allerdings einigermaßen gewagt. Am Rande der Demonstration war ein geringer Sachschaden entstanden – zerbrochene Gehwegplatten und Mülleimer waren auf die Straße gezerrt, der Fahrplanhalter einer Bushaltestelle beschädigt worden.

Aus der Demo wurden außerdem Steine und Böller in Richtung der Polizei geworfen, trafen jedoch niemanden. Dieser Steinbewurf ist jedoch für die Verhandlung irrelevant, weil er zu einem Zeitpunkt erfolgte, zu dem niemand mehr die Demo verlassen konnte, weil sie von vorn und hinten von zwei Polizeieinheiten angegriffen wurde. Innerhalb von Sekunden zerlegten die Po­li­zis­t*in­nen die Demo und nahmen Teil­neh­me­r*in­nen fest. Für eine mögliche Schuld der Angeklagten ist nur relevant, ob die Demo schon unfriedlich war, als sie sie noch hätten verlassen können.

In den bisher 21 Verhandlungstagen, zu denen die beiden Angeklagten immer stundenlang anreisen müssen, ging es vor allem um die Fragen: War die Versammlung eine vom Versammlungsrecht geschützte Demo oder ein geschützter Protestzug im Rahmen der Fünf-Finger-Taktik, mit denen Protestierende die Zufahrtswege der G20-Staatschef*innen lahmlegen wollten? Oder war es ein auf Chaos und Zerstörung ausgerichteter Schwarzer Block wie in der Elbchaussee?

Bloße Teilnahme am Schwarzen Block nich strafbar

Auch die bloße Teilnahme an einem Schwarzen Block ist nach bisheriger Rechtsprechung nicht strafbar. Sollte die Kammer die Angeklagten dennoch verurteilen, wäre das eine gravierende Änderung der gängigen Rechtsauslegung.

Doch die Ver­tei­di­ge­r*in­nen wiesen am Donnerstag auf ein Problem hin: Wenn das bedrohliche Szenario, zu dem die Angeklagten beigetragen haben sollen, durch Mit­ar­bei­te­r*in­nen des Verfassungsschutzes mitgestaltet wurde, wäre es höchst problematisch, die De­mons­tran­t*in­nen dafür zu verurteilen. „Wir müssen ausschließen, dass staatlich bezahlte Akteure das Bedrohungsszenario mitgestaltet haben, für das andere bestraft werden sollen“, sagte Verteidiger Sven Richwin. Die V-Personen hätten sonst – genau wie die Angeklagten – durch ihre stille Solidaritätsbekundung und das Tragen szenetypischer Kleidung Beihilfe geleistet.

Eine solche aktive Teilnahme an kriminellen Handlungen wäre eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation. Der Anwalt ­Adrian Wedel sagte: „Das wäre ein rechtsstaatswidriges Verfahrenshindernis und müsste zur Einstellung des Verfahrens führen“ – die die Verteidigung sogleich beantragte.

Waren V-Personen in der Rndenbarg-Demo?

Aber waren die V-Personen aus Niedersachsen – und vermutlich weiteren Bundesländern – wirklich in der Rondenbarg-Demo? Der Abteilungsleiter des niedersächsischen Verfassungsschutzes hatte das in seiner Zeugenbefragung nicht verraten. So konkrete Angaben seien von seiner Aussagegenehmigung nicht gedeckt, gab er an.

Aus Sicht der Verteidigung spricht aber einiges dafür. So befanden sich unter den am Rondenbarg Festgenommenen der Hamburger Halil Simsek, den der Verfassungsschutz vor Gipfel-Beginn als einen von drei Haupt­or­ga­ni­sa­to­r*in­nen des Protestes im Internet geoutet hatte. Unwahrscheinlich, dass die Spitzel sich während der Proteste nicht an seine Fersen hefteten.

Sven Richwin, Strafverteidiger

„Wir müssen ausschließen, dass staatliche Akteure das Szenario gestaltet haben, für das andere bestraft werden sollen“

Zudem befanden sich unter den Festgenommenen bekannte Göttinger Linke – für die sich niedersächsische Verfassungsschützer ebenfalls interessiert haben dürften. Ende 2018 enttarnten Göttinger Ak­ti­vis­t*in­nen den V-Mann Gerrit Greimann, der als Spitzel an den Protesten teilgenommen hatte.

Zweifelsfrei feststellen, ob Greimann und andere wirklich an der Rondenbarg-Demo teilnahmen, konnte das Gericht bisher aber nicht – wegen der beschränkten Aussagegenehmigung des VS-Abteilungsleiters Schindelar. Die Verteidigung forderte per Eilverfahren das Verwaltungsgericht Hannover auf, für Schindelar eine erweiterte Aussagegenehmigung anzuordnen.

Bis zum nächsten Termin am 26. August könnte dort eine Entscheidung ergangen sein – dann müsste Schindelar noch mal aussagen. Falls das nicht passiert, deutete die Richterin allerdings schon an, dass sie den Prozess zu Ende bringen will – notfalls auch, ohne den Zweifel über die Beteiligung der V-Personen auszuräumen. Ein Urteil soll am 3. September ergehen.

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