Radinfrastruktur in Berlin: Radwege fürn paar Flaschen Bier

Der bisherige Ausbau der Radinfrastruktur in diesem Jahr ist mehr als bescheiden, so der Verein Changing Cities. Der Senat sagt: Es ist noch weniger.

Würde heutigen Standards nicht mehr genügen, aber immerhin: Radweg an der Petersburger Straße in den 1930ern Foto: Knorr+Hirth

BERLIN taz | Drei Kisten Jever verwettete Rad-Aktivist und CDUler Heinrich Strößenreuther im Sommer 2023 darauf, dass die Verkehrsverwaltung unter der Ägide seiner Partei bis Ende der Legislaturperiode mehr Radinfrastruktur auf die Straße bringe als die Grünen in der Zeit davor. So wie es derzeit aussieht, dürfen sich seine Wettpartner auf eine Erfrischung freuen: Der Bau von Radwegen, wie ihn das Berliner Mobilitätsgesetz und der dazugehörige Radverkehrsplan vorsehen, kommt extrem schleppend voran. Das belegen nicht nur die Zahlen von KritikerInnen, sondern auch die der Senatsverwaltung selbst.

Kurioserweise liegt das Haus von Senatorin Ute Bonde bei seiner Bilanz für das 1. Halbjahr 2024 sogar deutlich unter dem, was die notorischen Drängler von Changing Cities e. V. berechnet haben: Sieben Radverkehrsanlagen von in der Summe knapp 4,2 Kilometern Länge sind laut Senatsverwaltung seit Anfang Januar umgesetzt worden. Davon entfällt ein Viertel auf sogenannte geschützte Radfahrstreifen, der Rest sind vor allem „normale“ Radfahrstreifen und Fahrradstraßen.

Laut Bondes Sprecherin Petra Nelken soll sich die Zahl bis Jahresende immerhin fast vervierfachen: Für 23 Projekte mit insgesamt 16,7 Kilometern Länge sei die Umsetzung „in 2024 geplant und wahrscheinlich“. Eine flächendeckende Radinfrastruktur sei das Ziel, so Nelken, der Neubau und die Sanierung hingen allerdings „von vielen Faktoren ab, die nicht immer nur in unserer Hand liegen“. Darum könne man „schwerlich eine konkrete Kilometer-Zahl als Ziel setzen“.

Tatsächlich hatte Changing Cities – einer allzu wohlwollenden Haltung gegenüber der Verwaltung unverdächtig – erst vor wenigen Wochen gemeldet, dass im 1. Halbjahr 10,6 Kilometer Radwege auf die Straße gebracht worden sei. Gegenüber der taz bestätigte das die Sprecherin des Vereins, Ragnhild Sørensen, am Montag noch einmal. Sie vermute, dass der Unterschied auf unterschiedliche Zählweisen zurückgehe – erklären könne sie es sich aber nicht. Seit 2022 verlasse sich Changing Cities auch nicht mehr allein auf Daten, sondern messe die Infrastruktur selbst vor Ort aus.

Nur 150 Kilometer sind vollbracht

Das Mobilitätsgesetz und der Radverkehrsplan sehen eigentlich bis 2030 die Neuanlage oder Neugestaltung von 2.700 Kilometern Radinfrastruktur vor. Das betrifft das prioritäre „Vorrangnetz“ mit besonders hohen Sicherheits- und Komfortstandards und das „Ergänzungsnetz“ in Nebenstraßen, aber auch alle Hauptverkehrstraßen, die nicht Teil des Vorrangsnetzes sind. Von 2018, als das Mobilitätsgesetz in Kraft trat, bis heute hat Changing Cities insgesamt die Umsetzung von knapp 150 Kilometern dokumentiert – wobei nur ein kleinerer Teil davon tatsächlich allen vorgegebenen Standards genügt, etwa bei der Breite.

Der Berliner Radverkehrsplan enthält eine Tabelle, die den „fiktiven Ausbaupfad“ der Netze beschreibt. Ihr zufolge wächst der projektierte Ausbau im laufenden Jahr auf 100 Kilometer an, 2025 müssten schon 200 Kilometer, in den folgenden drei Jahren jeweils 350 Kilometer und in 2029 und 2030 je 450 Kilometer hinzukommen. Aktuell ist von dieser Kurve nichts zu erkennen. Vielleicht hätte man Heinrich Strößreuthers Wette auch andersherum interpretieren müssen: 60 Euro (= 3 Kästen Bier plus Trinkgeld) sind schließlich alles andere als ein besonders gewagter Einsatz.

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