Sportgymnastin mit Gold-Ambition: Mit Ball, Band und Bandage

Darja Varfolomeev will die erste olympische Goldmedaille für Deutschland in der Rhythmischen Sportgymnastik gewinnen. Ein Trainingsbesuch.

Anmutiges Schwingen: Darja Varfolomeev in Aktion mit dem Band Foto: Rolf Vennenbernd/dpa

Mitte April im nationalen Leistungszentrum der Rhythmischen Sportgymnastik, Schmiden bei Stuttgart. Nach vielen E-Mails mit sehr großem Verteiler ist ein Termin gefunden, um einen Trainingstag der besten deutschen Gymnastinnen vom Mattenrand aus beobachten zu dürfen. Nun ja, eine Stunde eines Trainingstages, der nach Aussagen von Weltmeisterin Darja Varfolomeev auch schon mal acht Stunden lang sein kann.

Auf Nachfrage gibt es eine halbe Stunde mehr, man entschuldigt sich, es gebe so viele Medienanfragen. Kein Wunder, ist doch Varfolomeev die große Favoritin auf den Olympiasieg. Am Donnerstag findet in Paris der Qualifikationsdurchgang statt, reine Formsache für die fünfmalige Weltmeisterin. Noch nie gab es eine deutsche Olympiasiegerin in der Rhythmischen Sportgymnastik.

Knallende Keulen

Das Nationalmannschafts­zentrum verfügt über zwei große Hallen, in der einen hängt das riesige Plakat einer Werbekampagne: „Was ich später werden will? Olympiasiegerin für Deutschland“, daneben ein kleines Mädchen, das mit einem Band, eines der sogenannten Handgeräte, rumwedelt. In der zweiten Halle sind zwei komplette Wettkampfflächen, auch Teppiche genannt, verlegt.

Anwesend sind neben der Weltmeisterin, Anastasia Simakova und Margarita Kolosov, außerdem Cheftrainerin Yulia Raskina, selbst Vizeolympiasiegerin im Jahr 2000 für ihre belarussische Heimat, und die deutsche Teamchefin Isabel Sawade.

Jeweils zwei Gymnastinnen bereiten sich auf der einen Fläche vor, die Dritte probt auf der anderen vor den Augen der Cheftrainerin ihre Übung zur Musik. Raskina filmt die Übungen und kommentiert sie sogleich beim gemeinsamen Schauen. Posen und Positionen macht sie gern selber vor. Bei Fehlern wird die Musik häufig angehalten, Pause, einige Worte, dann wieder von vorne.

Die vier Akteurinnen sprechen Deutsch, obwohl nur Margarita Kolosov aus Potsdam, deren russische Eltern vor ihrer Geburt nach Deutschland kamen, darin versiert ist. Als Darja einmal ein Ball entgleitet und Anastasia ihn ihr wieder zurollt, sagt sie „Spassiba“ und korrigiert sich sofort: „Danke!“

Leeres Gesicht

Was rasch klar wird: Das Training ist das, was man Knochenarbeit nennt. Die Handgeräte machen nicht immer, was sie sollen, der Teppich ist hart. Wenn die Keulen aus etlichen Metern Höhe nicht in den Händen der Gymnastinnen landen, sondern auf den Boden knallen, erschrickt man jedes Mal. Und aus der Nähe wirken die schmalen Füße und Schenkel, zum Teil getapt und geschunden von Hunderten Drehungen am Tag, zerbrechlich.

Darja Varfolomeev sieht man ihren Ehrgeiz an. Wenn etwas nicht gelingt, wirkt ihr Gesicht leer, ihr Körper kraftlos. Kein Vergleich mit dem Strahlen, das man von Wettkämpfen kennt. Sie geht dann jedes Mal langsam in Richtung ihrer Trainerin, nimmt einen kleinen Schluck aus ihrer Trinkflasche, wischt sich mit einem Tuch übers Gesicht, stützt die Hände auf die Knie, den Oberkörper vorgebeugt.

So steht sie dort eine lange Weile, schaut die Wand an, richtet ihre Knieschoner. Dann kehrt sie auf die Fläche zurück. Es ist ein 17-jähriger Teenager, der mit seiner Aufgabe kämpft. Würde sie weniger verletzlich wirken, wenn sie nicht so spindeldürr wäre? In der RSG-Szene ist Dasha, wie man sie hier nennt, ein Star, alle kleinen Mädchen, die sich in dieser Sportart üben, wollen sein wie sie. Seit wann sie Olympiasiegerin werden will, ist nicht mehr genau auszumachen.

Gesichert ist, dass die Mutter einen Plan hatte: Als Dreijährige brachte sie das Kind ins örtliche RSG-Zentrum in Barnaul, Westsibirien. Sie habe das am Anfang nicht so gemocht, hat Darja gesagt. Als Zehnjährige war sie nicht gut genug, um in der Moskauer RSG-Zentrale anzufangen. Mutter Tatjana schickte ein Trainingsvideo nach Schmiden.

Schwieriger Beginn

In Deutschland war man sofort begeistert. Die Elfjährige wird also nach Schmiden verschickt, alleine. In einem Werbefilm des Deutschen Turner-Bundes sagt Darja, zu Beginn sei es „richtig schwer“ gewesen, sie habe kein Wort verstanden und auch nicht, wofür sie das mache. Nun, das hat sich geändert.

In der Halle wird wenig gesprochen. Yulia Raskinas Ansprache ist ruhig und freundlich. Die drei Gymnastinnen wechseln kaum ein Wort, jede wirkt komplett auf sich konzentriert. Gegenseitiges Unterstützen und Antreiben, wie es unter Turnerinnen üblich ist, so etwas gibt es hier nicht. „Wir sind eine Trainingsgruppe, die gemeinsam auf ein Ziel hinarbeitet,“ wird Margarita Kolosov später sagen.

Als wir sprechen, hat sie bereits fünf Trainingsstunden hinter sich: „Wenn es besser läuft, geht’s kürzer, wenn’s mal schlechter läuft, dann dauert es ein bisschen länger“, sagt sie. So ist das in der Sportgymnastik, so war das immer in Russland, Ursprung und Zentrum dieses Sports. Die Russinnen dürfen in Paris nicht mitspielen. Und so wird voraussichtlich Darja Varfolomeev Olympiasiegerin für Deutschland.

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