Nach Gefangenenaustausch mit Russland: Etwas Menschlichkeit gezeigt

Mit dem Gefangenenaustausch habe sich der Westen erpressbar gemacht, heißt es in vielen Medien. Das ist falsch, denn Putin macht, was er will.

Wladimir Putin auf dem Weg zum Flugzeug auf einem roten Teppich, in dem seine freigelassenen Gefangen sitzen. Soldaten stehen Spalier.

Putin holt seine freigelassenen russischen Gefangenen persönlich ab, am Regierungsflughafen Wnukowo außerhalb von Moskau Foto: Kirill Zyko/imago

Es gibt Momente, die Stärke erfordern. In der Geschichte des Verhältnisses zwischen Russland und dem Westen, allen voran dem deutsch-russischen, wurden diese Momente zu oft versäumt. Unter Kanzlerin Angela Merkel hat sich Deutschland in eine Energieabhängigkeit zu Russland begeben, Warnungen vor Wladimir Putins Regime wurden überhört oder nicht ernst genommen, stattdessen hoffte man, gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeiten könnten Konflikte, ja gar Kriege verhindern.

Putin wurde hofiert, da hatte er schon längst die Krim annektiert und den Krieg im Osten der Ukraine begonnen. Seine imperiale und militärische Aggression wurde mit Dialog belohnt.

Nach dem vor wenigen Tagen geglückten Gefangenenaustausch politisch inhaftierter und westlicher Geiseln aus Russland und Belarus ist da nicht nur Freude, auch wird diskutiert, ob sich der Westen, insbesondere Deutschland, mit diesem Deal schwach gezeigt, ja gar erpressbar gemacht hat. War der Deal ein Zeichen der Schwäche, weil der Westen rechtmäßig Angeklagte oder, wie Deutschland, gar den verurteilten „Tiergartenmörder“ Wadim Krassikow übergeben hat? Wird Putin in Zukunft erst recht westliche Geiseln nehmen, um sie als Druckmittel einzusetzen? Steigt die Gefahr russischer Auftragsmorde und anderer Anschläge, weil sich Putin darauf verlässt, seine Agenten nach gewisser Zeit aus dem Gefängnis freizupressen?

Diese Fragen sind berechtigt. Unbestreitbar: Deutschland befand sich in einem moralischen Dilemma. Es tat sich die Möglichkeit auf, Menschenleben zu retten, Humanität zu beweisen, dafür hat sich der Kanzler, einzig richtig, in letzter Konsequenz entschieden. Für die Freigelassenen ist das von unschätzbarem Wert.

Schreckensszenario

Wer nun im Nachgang jedoch ein Schreckensszenario malt, verkennt, dass der Schrecken schon lange passiert. Putin braucht keine zusätzliche Motivation, er agiert seit Jahren, wie er möchte. Während Wadim Krassikow, längst verurteilt, seine Haftstrafe in Deutschland absaß, wurde ein mutmaßlicher russischer Anschlagsplan auf den deutschen Rheinmetall-Chef Armin Papperger bekannt. Papperger sollte demnach getötet werden. Mit der Verhaftung des US-Journalisten Evan Gershkovich im März 2023, der nun beim Gefangenenaustausch befreit wurde, hatte Russland schon damals eine neue Phase eingeläutet.

Das erste Mal seit Ende des Kalten Krieges wurde ein US-Journalist wegen Spionagevorwürfen eingesperrt.

Seit die Ukraine vollumfänglich angegriffen wird, hat der Aggressor Russland seine hybride Kriegsführung in Europa ausgeweitet. Diese reicht von Desinformation über Sabotageaktio­nen bis hin zu versuchten Anschlägen. Dessen sind sich die europäischen Länder längst bewusst und haben deshalb russische Diplomaten ausgewiesen, denen Agententätigkeit vorgeworfen wurde, und die Einreise für weitere erschwert.

Statt auf eigene Agenten zu setzen, werde mittlerweile auf Handlanger oder Kriminelle zurückgegriffen, erklärte der exilrussische Geheimdienstforscher Andrej Soldatow im Juli im Interview mit Zeit Online. Was mit diesen Menschen dann passiere, sei Russland egal.

Das macht das Risiko für den Auftraggeber geringer. Örtliche Helfer können auffliegen, im Gefängnis landen. Sie werden niemals Teil eines Gefangenenaustauschs wie diesem sein, warum auch? Sie sind keine russischen Staatsbürger, keine Agenten – und haben somit keinen Wert.

Russland ist gefährlich

Mit dem jüngsten Deal droht also nicht etwa eine Eskalation. Russland eskaliert längst, gefährlich ist es schon jetzt.

Wie Putin etwas interpretiert, kann nicht der Maßstab für Entscheidungen sein. Dass ein Staat für die Freilassung politischer Geiseln verhandelt, wird für Putin nie ein Zeichen der Stärke sein. Wie auch, für ihn hat das Leben unschuldiger Menschen keinen Wert. In der Konfrontation mit Putin zählt letztlich nur militärische Stärke. Uneinigkeit und Zögern im Westen in Bezug auf die Unterstützung der Ukraine sind gefährlicher für die Zukunft als die vermeintliche Schwäche durch einen Gefangenendeal.

16 Menschen konnten jüngst gerettet werden. Hunderte politische Häftlinge sitzen noch in Belarus und Russland unrechtmäßig in Haft. Auch für sie muss der Westen nun geschlossen agieren, das Überleben der Ukraine sichern und somit auch die Hoffnung für ein anderes Russland stärken.

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