Polnische Medienkunst in Oldenburg: Die Kunst des Kaputten
Soziologisch anmutende Recherchen, entwickelt mit den Betroffenen: Das Edith-Russ-Haus zeigt Arbeiten der Video- und Fotokünstlerin Karolina Bregula.
Eine Fischerin verwandelt sich in ein Meereswesen. Eines Tages springt sie von Bord ihres kleinen Kutters in die See, taucht unter und kommt nicht wieder an die Oberfläche. Solche Geschichten beginnen für gewöhnlich mit Worten wie „Es war einmal …“, aber das Video „The Fish“ von Karolina Bregula ist ganz im Hier und Jetzt verortet. Märchenhaft ist auch allenfalls sein Ende: Der Rest des 27 Minuten langen Films zeigt die schwedische Fischerin Mahjula Gulliksson und ihren Ehemann Stefan Nordin dabei, wie sie immer weniger Fische in ihren Netzen finden – eine Folge der Überfischung.
Erfunden, oder sagen wir: mythologisch überhöht ist nur der Schluss, in dem Mahjula Gulliksson tatsächlich ins augenscheinlich ziemlich kalte Wasser springt und verschwindet. Der kurze Film fußt auf den tatsächlichen Erfahrungen der Fischerin: Künstlerin Bregula hat ihn zusammen mit den beiden Protagonist:innen gestaltet; im Grunde weist er mehr dokumentarische als fiktive Elemente auf.
„The Fish“ ist eine von zwei Arbeiten, die im Auftrag des Oldenburger Hauses für Medienkunst entstanden sind. Im vergangenen Jahr erhielt Bregula dort ein Stipendium der Stiftung Niedersachsen. Präsentiert werden die beiden 2024 abgeschlossenen Kunstwerke nun in der Ausstellung „The Waves Are Rubling so Loud“. Den Fischerinnen-Film präsentiert man in einem kleinen Kasten, in dem das Publikum ihn mittels Monitor und Kopfhörern sehen und hören kann. Weiterhin hängen im Ausstellungsraum einige Fotografien und Texte von Bregula an den Wänden.
Dokumentarisches trifft auf Fiktionales
Beherrscht wird er aber eindeutig von ihrer Videoinstallation „The Storm“: Zu sehen auf fünf Bildschirmen, erzählen da fünf irische Küstenbewohner:innen davon, welche Zerstörung ein gewaltiger Sturm auf einer kleinen Insel anrichtet. Die Katastrophe selbst wird nicht gezeigt, es gibt nur diese fünf Gesichter, diese fünf Stimmen. Und fünf Erzählungen, die nicht ganz deckungsgleich sind, sodass sie die Betrachtenden nicht sicher sein können, was denn nun tatsächlich passiert ist.
Auch in „The Storm“ vermischt Bregula Dokumentarisches mit Fiktivem. Die fünf gezeigten Personen sind Künstler*innen aus dem Ort Buncrana an der irischen Nordwestküste, die Bregula bei Recherchen kennenlernte. Zusammen entwickelten sie die Videoarbeit, und so lässt sie auch hier ganz reales Lebensgefühl dieser Menschen in die Arbeit einfließen, ihre Ängste und Fantasien.
Dabei ist und bleibt die Künstlerin natürlich stets die „Autorin“ ihres Werks, bestimmt etwa die genaue Form so einer Arbeit. Inhaltlich aber scheint sie den Gezeigten Vortritt zu gewähren: Sie setzt sie ins Bild, bleibt aber selbst unsichtbar. Auf ihren Reisen – hier also an nordische Küsten, davor für einige Jahre in Taiwan – spürt sie zunächst gesellschaftliche und ökologische Konflikte auf. Zusammen mit den Betroffenen, auch Künstler*innen vor Ort, erarbeitet sie dann, wie daraus Kunst werden kann.
„The Waves Are Rumbling So Loud“: bis 29. 9., Edith-Russ-Haus für Medienkunst, Oldenburg
Die besteht bei der 1979 geborenen Polin nicht nur in Videos und Videoinstallationen: Bregula fotografiert auch, etwa überschwemmte oder halb abgerissene Häuser; verfertigt Kunst-Objekte, unter anderem schon aus Abfällen, die in Galerien und Ausstellungen gesammelt wurden; zusammen mit Gentrifizierungs-Leidtragenden in Taipeh hat sie ein Buch verfasst.
Etliche dieser früheren Arbeiten zeigt das Oldenburger Medienkunst-Haus in einem zweiten Raum. Hier zeigt sich, wie originell Bregula ihre soziologisch, auch anthropologisch wirkenden Recherchen in künstlerisch zugleich einfache und hochkomplexe Ergebnisse übersetzen kann.
Am Ende ist der Kampf verloren
Nehmen wir die 4-Kanal-Videoinstallation „Dust“ aus dem Jahr 2019: Darin sind zwei Frauen zu sehen, die in der Gemeinde Daguan bei Taipeh leben, die Schritt für Schritt abgerissen wird. Als einzige sind sie in ihrer Wohnung geblieben, während rund um sie herum schon Bulldozer die leerstehenden Wohnhäuser einreißen. Der Lärm und der Staub in der Luft – daher der Titel – machen das Leben zu einer Tortur, doch zusammen mit einigen Nachbar*innen kämpfen die beiden gegen ihre Zwangsräumung. In dem Raum hört man ständig den Lärm der Abrissarbeiten – auch das ist ein enervierendes und gerade deswegen sehr wirkungsvolles Stilmittel.
Die bittere Pointe der Geschichte erzählt Bregula in einer kleinen Fotografie an der Wand: „Daguan“ zeigt ein unbebautes Feld – an dem Ort, wo einst die Häuser standen. Im Jahr 2019, drei Monate nach den Dreharbeiten von „Dust“, waren alle Bewohner*innen endgültig vertrieben worden. Die Arbeiten an den dort geplanten Neubauten aber haben bis heute nicht begonnen.
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