Preisgefälle im Tourismus: Türkei zu teuer für Türken

Die Türkei ist kein Billig-Reiseland. Grund dafür ist die anhaltende Inflation. Mit Express-Visa reisen viele lieber zu griechischen Inseln.

Liegestühle spiegeln sich im Pool, gelbe Sonnenschirme, Meer und eine Küste im Dunst

Zu teuer geworden: Hotelanlage an der türkischen Westküste Foto: Klaus Rose/imago

ISTANBUL taz | Ein Youtube-Video aus Bodrum, dem türkischen St. Tropez, macht dieser Tage Furore. Es zeigt leere Straßen. Leere Straßen im wichtigsten Touristen-Hotspot der Türkei mitten in der Hauptsaison? „Ja“, sagt Hamit Kuk vom Verband der türkischen Reiseagenturen. „Leere Hotels führen zu leeren Restaurants und leeren Straßen“. Genau das gegenteilige Bild bieten dagegen die griechischen Inseln direkt vor der türkischen Ägäis-Küste: volle Straßen, Restaurants und Hotels.

Die türkische Mittel- und Oberschicht, die sonst Stammpublikum in Bodrum und in anderen Ägäis-Küstenorten ist, zieht es in diesem Jahr eher auf die griechischen Inseln. Dazu kommt, dass auch viele Besucher aus Westeuropa, die sonst an die Ägäis-Küste gekommen sind, in diesem Jahr fehlen. Der Hauptgrund: Die schönen Plätze sind ihnen zu teuer geworden.

Wer in Deutschland immer noch glaubt, die Türkei sei ein Billig-Reiseland, muss in diesem Jahr feststellen, dass Hotels und Restaurants in der Türkei oft deutlich teurer sind als in Griechenland, Italien oder Spanien. „Gegenüber 2023 haben sich die Hotelpreise in der Türkei im Schnitt um 50 Prozent verteuert“, bestätigt Hamit Kuk.

„Das ist den Gästen nicht vermittelbar.“ Konkret sieht das so aus: Für ein schlichtes Hotel muss ein Pärchen für 4 Tage, da ist das Wochenende nicht dabei, rund 1.500 Euro zahlen. In den Luxushotels in Bodrum muss man für nur eine Nacht so viel hinblättern. Die Folge davon ist: Die Hotels, die im Juli/August eigentlich voll sein müssten, sind nur zu 60 bis 70 Prozent ausgelastet. „Viele kämpfen bereits um ihre Existenz“, lamentiert Mehmet Isler, Präsident des Hotelverbandes der Ägäis.

Hamit Kuk vom Verband der türkischen Reiseagenturen

„Gegenüber 2023 haben sich die Hotelpreise in der Türkei im Schnitt um 50 Prozent verteuert“

Kurzvisum für griechische Inseln

Zu den hohen Preisen kommt in diesem Jahr aber noch eine Besonderheit, die denjenigen TürkInnen, die sich überhaupt eine Urlaubsreise leisten können, zu einer attraktiven Alternative verhilft: die griechischen Inseln vor der türkischen Küste. Seit einem Versöhnungstreffen von Präsident Recep Tayyip Erdoğan mit dem griechischen Ministerpräsidenten Kyriakis Mitsotakis im vergangenen Dezember in Athen dürfen türkische Reisende zehn griechische Inseln auch ohne Schengenvisum besuchen.

Man kann in der Türkei auf eine Fähre steigen und bekommt auf Rhodos, Kos, Chios oder Lesbos für 60 Dollar ein Besuchervisum, das 7 Tage gültig ist. Man darf zwar von dort aus nicht weiter Richtung Athen oder auf andere Inseln fahren, aber man ist trotzdem in Griechenland. Seit dieses Arrangement im April in Kraft trat, machen die TürkInnen massenhaft davon Gebrauch. Einmal, um überhaupt mal aus dem eigenen Land rauszukommen, weil ein normales Schengenvisum für TürkInnen immer schwieriger zu bekommen ist, aber auch, weil wundersamerweise der Urlaub im Euroland Griechenland preiswerter ist als an der heimischen Küste.

Fröhlich posten die türkischen Griechenland-Urlauber im Netz preiswerte Rechnungen ihrer Tavernenbesuche und ihrer billigen Hotelkosten. Auch die Griechen sind hocherfreut über ihre BesucherInnen aus der Türkei, geben diese doch erfahrungsgemäß doppelt so viel Geld aus wie Pauschalurlauber aus Europa. Nach den aggressiven Streitjahren um Schürfrechte im Mittelmeer und den Hoheitsrechten in der Ägäis ist in diesem Jahr quasi eine neue Völkerverständigung ausgebrochen.

Zwischen der am weitesten östlich liegenden griechischen Mini-Insel Kastelorizo und der türkischen Hafenstadt Kas, wo sich vor wenigen Jahren noch gefechtsbereite Kriegsschiffe direkt gegenüber lagen, fand in diesem Jahr ein Schwimmwettbewerb statt, an dem 175 Teilnehmer aus unterschiedlichen Ländern teilnahmen. Dieses symbolische „Fest der griechisch-türkischen Freundschaft“ auf der 7 Kilometer langen Strecke zwischen der griechischen Insel und dem türkischen Festland gewann der Italiener Egor Tropeano.

Verlierer der neuen Völkerverständigung

Als Verlierer dieser neuen Völkerverständigung fühlen sich viele türkische Hoteliers und Restaurantbetreiber. Sie beschweren sich lauthals, dass man doch die Rechnungen aus Griechenland nicht mit denen ihrer Luxushotels vergleichen könne, das sei reine Propaganda aus dem Nachbarland. Für sie sind die hohen Preise in ihren Anlagen nicht die Folge zu großer Gier, wie die meisten TürkInnen glauben, sondern einfach das Ergebnis der allgemeinen Preisexplosion in der Türkei. Der Grund dafür ist die anhaltende, wahnsinnig hohe Inflation von über 70 Prozent.

Auch wenn Finanzminister Mehmet Şimşek immer wieder versichert, die Bekämpfung der Inflation sei auf einem guten Weg und auch die großen internationalen Ratingagenturen wie Moodys, S&P Global und andere die Türkei wegen strafferer Geldpolitik wieder hochgestuft haben, merken die Verbraucher in der Türkei nichts davon. Dazu kommt, dass auch der Wechselkurs zwischen Euro und Lira die Inflation nicht mehr ausgleicht. Während die Inflation von 40 auf 70 Prozent anzog, blieb der Wechselkurs praktisch gleich. Also muss auch, wer Euro verdient, in der Türkei für den täglichen Bedarf im Moment deutlich mehr bezahlen als noch im letzten Jahr.

Deshalb ist der Urlaub in der Türkei nicht nur für TürkInnen kaum noch bezahlbar, auch europäische Touristen, zum Beispiel die Deutsch-Türken, die in den Corona-Jahren die türkischen Hoteliers gerettet haben, müssen nun feststellen, dass die Türkei extrem teuer geworden ist. Einige Hotels bieten jetzt zwar große Rabatte an, doch das wird die Saison nicht mehr retten, meint Hamit Kuk. Auch ein Verbot der Expressvisa für die griechischen Inseln, das einige Hoteliers jetzt fordern, hält der Präsident des Hotelverbandes, Mehmet Isler, für Unsinn. „Wir sollten lieber schauen, was unsere Gäste stört“. „Die Preise müssen runter“, sagt Hamit Kuk, „sonst ist auch die kommende Saison nicht zu retten“.

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