Autobiografie von Sänger Wreckless Eric: Den eigenen Misserfolg verwalten

Der Londoner Pubrocker Wreckless Eric hat eine düstere autobiografische Gebrauchsanweisung geschrieben: „A Dysfunctional Success“ ist starker Tobak.

Wreckless Eric lässt sich nicht unterkriegen, er schreibt sogar seine Autobiografie Foto: Bert Eke

Es gibt diese Szene in der Mitte von „A Dysfunctional Success“: Eric Goulden sitzt am späten Nachmittag in The Old Nun’s Head, einem schäbigen Süd-Londoner Pub mit blinkend-piepsendem Daddelautomat. Der Teppich ist biersatt, die Handwerker am Tresen sind auf dem Weg dorthin.

Goulden träumt davon einzusickern in dieses abgeranzte After-Work-Idyll aus „Black & Decker“-Kerlen. Nicht der Macho-Sprüche wegen, schon eher ist er auf der Suche nach Zugehörigkeit. Aber ganz gleich, wie viele Pint gezapftes Bass er trinkt – und es werden zu der Zeit einige – es klappt nie. Er bleibt der kleine, übergewichtige Schlaumeier am Rand aller Szenen, in der Mitte bohren, tackern und sägen die Herren der Stanley-Geräte.

Klar wird dabei etwas anderes: Dieses Gelage reiht sich auf eine lange Kette ähnlicher Vorkommnisse. Immer wieder sucht Goulden nach Zugehörigkeit, immer wieder misslingt es. Davon erzählt dieses oft traurige, manchmal lustige, aber immer aufrichtige Buch. „A Dysfunctional Success“ erschien ursprünglich 2003, nun wurde es mit frischem Vorwort vom Mainzer Ventil Verlag erneut als englische Fassung aufgelegt.

Auf der Suche nach der perfekten Liebe

Gouldens erfolglose ­Suche steckt schon im hellsten ­Moment von Karriere. Unter seinem Künstlernamen Wreckless Eric veröffentlicht der Künstler 1977 eine Single beim Londoner Indielabel Stiff: „Whole Wide World“ beschreibt die weltweite Jagd des Erzählers nach der einen, der perfekten Liebe.

Eric Goulden: „A Dysfunctional Success. The Wreckless Eric Manual“. Ventil Verlag, Mainz 2024, 288 Seiten, 22 Euro

Sie führt aus dem heimischen ­Regen bis nach Tahiti, auf die Bahamas, an tropische Strände. Ein Happy End kommt nicht in Sicht. Das Lied ist das Fundament und der einzige Hit in Wreckless Erics nun schon gut ein halbes Jahrhundert währender Karriere als Zugehörig­keitssucher, als erfolgreicher Verwalter von Misserfolg. So lässt sich „Dysfunctional Success“ vielleicht am ehesten übersetzen.

Natürlich hat Goulden einen gehörigen Anteil an diesem Misserfolg. Er hätte es sich einfach machen und über die frühen Jahre seine Labels Stiff ­schreiben können. Mit „New Rose“ von The Damned veröffentlichte die unabhängige Plattenfirma im Oktober 1976 die allererste Punksingle und zündete damit die Lunte der nachfolgenden Subkulturexplosion. Stiff waren die ersten mit dieser neuen Musik und Goulden vorn mit dabei. Doch er streift Punk nur flüchtig.

Zahmer als Punk

Denn Punksound hat kaum etwas mit seinem Lebensgefühl zu tun. Wreckless-Eric-Songs wollen in schlichterer, zahmerer Form Geschichten erzählen. Es gelingt ihm bis heute, wie zuletzt das Album „Leisureland“ bewies.

Mit seiner Buch gewordenen Gebrauchsanweisung will Goulden nun erklären, woher seine Musik kommt, was sie formte. Und wie sie ihn formte. Gouldens Sprache ist knapp und reduziert, lakonisch und voller Sarkasmus. Karge Sätze entwerfen eine verhärmte 60er-Jahre-Kindheit. Vater steroidabhängiger Workaholic: düster, einsam, unnahbar. Mutter überfordert, Schwester in einem drei Jahre älteren Paralleluniversum. Die katholische Privatschule: ein Pandämonium. Musik ist ein Ausweg. Beatles, Who, Small Faces, Easybeats …

Jahrelanges Schlingern

Eine südenglische Kindheit unter Hunderttausend. Mit dem Unterschied, dass Goulden sich weigert, sie enden zu lassen. Mit der Kunsthochschule geht sie in die Verlängerung, betrieben mit Alkohol. Der fließt wie selbstverständlich auf fast jeder Seite. Bis man glaubt, das Genre Pub-Rock, unter dem er oft geführt wird, sei für Wreckless Eric erfunden worden.

Der Erfolgsteil in „A Dysfunctional Success“ ist kurz. Das Dysfunktionale füllt das Gros der Seiten. Das langsame Abrutschen nach ein paar Monaten als „Whole Wide World“-Star. Immer Ärger mit Plattenfirmen. Chronischer Geldmangel. Absurde Aushilfsjobs. Und immer wieder und immer öfter Trinkgelage, teils urkomisch, oft ansteckend deprimierend.

Nahezu die gesamten knapp zehn im Buch behandelten Jahre seiner Karriere steht Goulden am Rand. Er sieht sich selbst und dem Musikgeschehen von außen zu, ohne einen Weg hinein zu finden. Die Selbstdarstellung des Business ist ihm zu lächerlich, das bürgerliche Leben zu freudlos.

Am zufriedensten klingt er in einer kurzen Phasen mit zwei gleichsam randständigen Musikern, die bei den Milkshakes Garage-Punk lernten. Doch bei zuletzt „122 monatlichen Hörer*innen“ bei Spotify lässt sich ahnen, dass mit der Len Bright Combo kein Lebensunterhalt zu verdienen war.

Am Ende ist es seine neugeborene Tochter und ein Absturz biblischen Ausmaßes, die ihm zum Entzug bewegen. Da sind wir erst in der Mitte der 1980er, aber weil Goulden nicht genau weiß, wie man ein Buch beendet, hört er auf den Tipp, dass man einfach aufhört. Hoffentlich sagt ihm bald jemand, dass man auch einfach wieder anfangen kann.

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