Urteil in Russland: 16 Jahre Haft für US-Journalisten

Ein Gericht im russischen Jekaterinburg verurteilt den US-Journalisten Gershkovich wegen Spionage. Wird er jetzt ausgetauscht?

Ivan Gershkovich hinter einer Glasscheibe

Jekaterinburg, Russland, 19. Juli: Evan Gershkovich hört sich das Urteil in einem Glaskäfig des Gerichtssaals im Justizpalast an Foto: Dmitri Lovetsky/ap/dpa

Der Richter braucht nur wenige Wörter, um das Unfassbare und doch Erwartete auszudrücken: „Des Verbrechens schuldig gesprochen. Verhängt wird eine Strafe von 16 Jahren in einer Strafkolonie strengen Regimes“, sagt Andrei Minejew im Saal Nummer 4 des Swerd­lows­ker Gebietsgerichts in Jekaterinburg. Evan Gersh­kovich, im grauen T-Shirt und mit einem Anhänger um den Hals, schaut ernst durch den Glaskäfig, wie sie üblich sind in russischen Gerichten.

16 Jahre weggesperrt, weil der 32-jährige Amerikaner seinen Job als Journalist machte, einen „hervorragenden Job“, wie seine Chefin beim Wall Street Journal immer wieder klarstellt. Spionage hatte ihm die russische Staatsanwaltschaft vorgeworfen und 18 Jahre Haft gefordert.

Wie Gershkovichs letzte Worte lauteten, ist nicht bekannt. Auch nicht, was der zuständige Staatsanwalt Mikael Osdojew in seinem Schlussplädoyer dem seit mehr als einem Jahr festgehaltenen US-Korrespondenten genau vorwarf. Über diesen Prozess hinter verschlossenen Türen in Jekaterinburg mehr als 1.800 Kilometer östlich von Moskau war an diesen zwei Verhandlungstagen kaum etwas bekannt. Außer der kafkaesken Vorgehensweise russischer Justiz.

Informationen, die je­de*r Jour­na­lis­t*in sammelt

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Der Sohn sowjetischer Emigranten, der 2018 als Journalist nach Moskau kam, zunächst für die englischsprachige russische Zeitung The Moscow Times arbeitete und später zum US-Blatt The Wall Street Journal wechselte, soll „im Auftrag des amerikanischen Auslandsgeheimdienstes CIA geheime Informationen über Herstellung und Reparatur von Militärtechnik durch den Rüstungsbetrieb Uralwagonsawod gesammelt und dabei sorgfältige Methoden der Konspiration beachtet“ haben. So sagt es der russische Inlandsgeheimdienst FSB. ­Gershkovich bestritt jegliche Schuld.

„In flagranti“ will der FSB den Korrespondenten im März 2023 erwischt haben, als Gershkovich in der Millionenstadt Jekaterinburg und im zwei Zugstunden entfernten Nischni ­Tagil, wo mit Uralwagonsawod mit die wichtigste Panzerfabrik des Landes steht, in der Tat Informationen gesammelt hatte. Informa­tio­nen, wie je­de*r Jour­na­lis­t*in sie sammelt, wenn sie oder er zu einem Thema recherchiert. Auch nichtöffentliche Informationen sind dabei ein fester Bestandteil journalistischer Arbeit.

Russische Geheimdienste und die russische Regierung sehen das anders. Niemand soll das, was der russische Staat tut – zumal in Kriegszeiten – infrage stellen. Deshalb die Militärzensurgesetze und die Verfolgung von Be­richt­erstat­te­r*in­nen teils bis in die Wohnung. Die Festnahme Gershkovichs und der Vorwurf der Spionage, eines der schwersten Vergehen, das einem Ausländer vorgeworfen werden kann, zeigt brutal, dass in- wie ausländische Jour­na­lis­t*in­nen in Russland zum Freiwild für politische Zwecke geworden sind.

Verhandlungen über möglichen Gefangenenaustausch

Evan Gershkovich wurde im vergangenen März zum Faustpfand des Kremls. Russlands Präsident Wladimir Putin erklärte im Februar 2024, die Geheimdienste beider Seiten verhandelten über die Bedingungen eines möglichen Gefangenenaustauschs.

Russlands Außenminister Sergei Lawrow sagte erst vor wenigen Tagen, die Geheimdienste prüften, ob Gershkovich gegen einen anderen ausgetauscht werden könne. „Es gibt solche Kontakte“, sagte er auf einer Pressekonferenz am Mittwoch und verwies auf „unwiderlegbare Beweise“ gegen den US-Journalisten. Welche Beweise das sein sollen, sagte er nicht. Die Eile des Prozesses lässt sich wohl mit solchen vertraulichen Gesprächen erklären. Vor einem Austausch muss der Angeklagte erst verurteilt werden.

Ende Juni stand Gershkovich zum ersten Mal im Gerichtskäfig von Jekaterinburg, die Verhandlung sollte Mitte August fortgesetzt werden. Doch dann wurde der Prozess an diesem Donnerstag weitergeführt. Geladen war ein Zeuge. Nur 24 Stunden später fiel das Urteil. Selbst für russische Gerichte ist das schnell, der Vorwurf wiegt schwer.

Russland liegt viel daran, den „Tiergarten-Mörder“ freizupressen. Der FSB-Killer Wadim Krassikow hatte im August 2019 im Kleinen Tiergarten von Berlin den früheren georgisch-­tschetschenischen Feldkommandeur Selimchan Changoschwili getötet. 2021 hatte das Berliner Kammergericht Krassikow zu lebenslanger Haft verurteilt. Der Generalbundesanwalt sah im Kreml den Drahtzieher für den Auftragsmord.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.