„Die CDU hat nicht die reichsten Wähler“

Der Arbeitsminister von NRW, Karl-Josef Laumann, ist Vorsitzender des Sozialflügels der CDU. Ein Gespräch über Bürgergeld, Rente und darüber, ob die CDU eine soziale Partei ist

Karl-Josef Laumann, der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen

Foto: Michael Englert

Interview Anja Krüger
und Sabine am Orde

wochentaz: Herr Laumann, Sie sind jetzt stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU und sollen die soziale Flanke schließen. Wie wollen Sie das schaffen?

Karl-Josef Laumann: Es geht nicht darum, was ich soll. Ich halte das politisch für notwendig. Ich glaube, dass wir zurzeit die schlechteste Bundesregierung in unserer Geschichte haben. Die Union muss den vielen enttäuschten Wählern dieses Bündnisses ein gutes Politikangebot machen, damit sie im politischen Spektrum der Mitte bleiben. Dazu gehört auch ein überzeugendes Angebot für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Dazu leiste ich meinen Beitrag innerhalb der CDU.

Glauben Sie, die Bürger und Bürgerinnen nehmen die CDU als soziale Partei wahr?

In Landstrichen, wo die CDU noch über 40 Prozent holt, wählen uns breiteste Bevölkerungsschichten. Ich bin jetzt seit 51 Jahren Mitglied der CDU, bei allen Wahlen hatte die CDU einen hohen Anteil an Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerstimmen, zuletzt sogar doppelt so viele wie die SPD. Es ist ja auch nicht so, dass die CDU die reichsten Wähler hat. Das sind die Grünen und dann kommt die FDP.

Die Union hat die Bundestagswahl 2021 auch deshalb verloren, weil sie als Partei der sozialen Kälte wahrgenommen wurde. Das ist Teil einer Analyse aus dem Konrad-Adenauer-Haus. Und da hatten Sie noch Armin Laschet und nicht Friedrich Merz an der Spitze.

Die vergangene Bundestagswahl war so, wie sie war. Nach der langen Amtszeit von Frau Merkel gab es eine nicht ganz geringe Stimmung in der CDU – ich gehöre nicht dazu – die etwas anderes wollte: konservativer, mehr CDU pur; was es alles für Sprüche gibt.

Dazu passt, dass die CDU soziale Themen nicht nach vorne stellt – oder wenn, dann wie bei der Vorstellung Ihres Papiers zum Bürgergeld. Dort hat Generalsekretär Carsten Linnemann das Thema Totalverweigerer samt scharfen Sanktionen stark gemacht …

Bei Totalverweigerern sind scharfe Sanktionen durchaus richtig. Auch wenn es nur ganz wenige Grundsicherungsempfänger betrifft.

Aber ist das das entscheidende Thema beim Bürgergeld? Das ging so, bis Sie auf der Pressekonferenz richtigerweise gesagt haben: Davon gibt es doch gar nicht so viele.

Es geht nicht darum Menschen zu bestrafen, es geht darum sie zur Arbeit zu befähigen. Hier muss der Staat Hilfe zur Selbsthilfe leisten. Sonst sehe ich die Gefahr, dass die Bereitschaft zur Solidarität in der Bevölkerung kippt.

Welche Themen müsste die CDU in den Vordergrund stellen?

Zum Beispiel die Höhe der Tarifbindung. In der sozialen Marktwirtschaft werden die Löhne weder vom Staat noch vom einzelnen Arbeitgeber festgelegt, sondern von den Sozialpartnern ausgehandelt. Dass wir nur noch eine Tarifbindung von etwa 50 Prozent haben, ist nicht gut.

Was wollen Sie tun, um das zu verbessern?

Tarifverträge gehören zur DNA der sozialen Marktwirtschaft. Ich finde schon, dass die CDU darüber positiver reden könnte. Wir wollen die Tarifbindung stärken, indem wir die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen erhöhen oder die Vergabe öffentlicher Aufträge an die Tarifbindung knüpfen.

Die Ampel will ein Tariftreue­gesetz einführen, das die Vergabe öffentlicher Aufträge von einer Tarifbindung abhängig macht.

Das haben sie versprochen, aber da wird nichts mehr kommen. Ich werde in Nordrhein-Westfalen ein Tariftreuegesetz für Vergaben des Landes machen. Der Ministerpräsident will auch, dass das kommt. Wir werden uns dabei auf die Entgeltfrage konzentrieren.

Heißt was genau?

Dass das Unternehmen garantiert, dass es für diesen Auftrag des Landes die Arbeitnehmer tariflich entlohnt. Das einzige Problem, was wir noch nicht ­gelöst haben, ist: Wie kontrollierst du das?

Sie fordern, dass die Union bei einer Regierungsbeteiligung im Bund das Sozialressort besetzen sollte. Ihr Parteichef Friedrich Merz dagegen will das Wirtschafts- und das Arbeits- und Sozialministerium zusammenlegen. Ist das eine gute Idee?

Nein.

Warum nicht?

Weil wir das schon mal hatten …

Mit SPD-Superminister Wolfgang Clement im rot-grünen Kabinett von Gerhard Schröder.

Genau. Und das war nicht der Hit.

Sie lehnen die Rentenreform der Ampel ab. Wie wollen Sie die gesetzliche Rente absichern – jenseits einer Anpassung des Renteneintritts an die Lebenserwartung, wie es im Grundsatzprogramm steht?

Wer ein Leben lang gut gearbeitet hat, muss eine Rente haben, von der man leben kann. Und da reicht kein schöner Spruch, sondern nach meiner Meinung gibt es keine Spielräume beim Rentenniveau.

Aber das ist in Ihrer Partei, sehr vorsichtig formuliert, nicht unumstritten.

Stimmt. Aber wenn es das wäre, hätte ich ja nicht als stellvertretender Bundesvorsitzender kandidieren müssen.

Wie würde also Ihre Rentenreform aussehen?

Da sind die Antworten gar nicht so einfach. Wenn man unter die Riesterrente einen Strich macht, haben die erstens viel zu wenige und zweitens oft die Verkehrten. Also die, die wahrscheinlich ohnehin nicht von Altersarmut betroffen sind. Letztlich hat hauptsächlich die Versicherungswirtschaft an Riester verdient. Das müssen wir künftig besser machen. Wir wollen künftig die betriebliche Altersvorsorge und auch die private Altersvorsorge stärken. Ich bin zudem sehr dafür, dass Leute Eigentum haben sollten, sei es ein Haus, Aktien oder ein Altersvorsorgeprodukt. Eigentum hält Menschen in der politischen Mitte und kann auch Altersvorsorge sein. Wenn wir eine verpflichtende Vorsorge einführen, muss man die Frage beantworten: Wie finanzierst du das für die, die es aus eigener Kraft nicht können?

Und wie wollen Sie das finanzieren? Laut CDU-Grundsatzprogramm soll es eine Pflicht zur kapitalgedeckten Vorsorge für alle geben, also auch für Menschen, die wenig verdienen.

Da werden sich die Arbeitgeber finanziell engagieren müssen. Und vor allen Dingen muss der Staat seine Förderung auf die untersten Einkommensschichten konzentrieren.

Viele Leute haben Angst vor dem Umbau der Industrie hin zu einer klima­neutralen Wirtschaft, sie fürchten um ihre Jobs und ihren Wohlstand. Wie ist Ihre Antwort darauf?

Das ist ein ganz wichtiges Thema für die CDU. Wir müssen eine Antwort haben auf die Frage: Wie bekommen wir CO2-Neutralität hin, ohne unsere energieintensive Wirtschaft zu verlieren? Gleichzeitig wollen wir wegen des Krieges in der Ukraine und unseres geänderten Verhältnisses zu Russland bei den Lieferketten resilienter werden. Deshalb dürfen wir uns bei den energieintensiven Produkten nicht abhängig machen von Ländern außerhalb Europas. Und außerdem verdienen unsere Kollegen in diesen Industrien gutes Geld.

Und wie wollen Sie das lösen? Ist der Industriestrompreis eine Antwort?

Nein. Wenn du mit der Kapitalseite redest, dann sagen die: Wir werden nicht Millionen investieren, weil es Subventionen gibt. Wenn der Energiepreis von Subventionen abhängt, gehen wir in Länder, wo es ohne Subventionen geht. Außerdem: Wer soll das Geld für die Subvention aufbringen?

Karl-Josef Laumann,

67, ist Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales in Nordrhein-Westfalen, Vize-Chef der CDU und Vorsitzender der CDA, des Sozialflügels der Partei. Er ist gelernter Schlosser und seit seiner Ausbildung Mitglied in der IG Metall.

Was ist Ihre Lösung?

Die habe ich auch nicht. In der Marktwirtschaft heißt das, dass der Energiebereich verbreitert werden muss. Zum Beispiel war das Abschalten der Kernkraft eine große Dummheit.

Sie geben im September den Vorsitz der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft, kurz CDA, nach fast 20 Jahren ab. In dieser Zeit hat der arbeitgebernahe Wirtschaftsflügel im Gegensatz zu ihrem Sozialflügel in der CDU deutlich an Einfluss gewonnen. Woran liegt das?

Die Union hat sich über die Zeit schwer verändert. Als ich jung war, in den 70er Jahren, war die Junge Union sehr sozial eingestellt. Das lag auch daran, dass viele Mitglieder aus der kirchlichen Jugendarbeit kamen. Nach der Wiedervereinigung hatten wir eine hohe Arbeitslosigkeit. Das hat eine ganze Generation in der CDU wirtschaftspolitisch sehr geprägt, die steht jetzt in der Mitte. Auch in der Bundestagsfraktion ist nur noch ein Viertel der Abgeordneten Mitglied der Arbeitnehmergruppe. Das sehe ich mit großer Sorge.

Wie könnte die CDA wieder gestärkt werden?

In einer Zeit, in der die Säkularisierung in der Bevölkerung sehr stark ist, ist es nicht einfach, für die christliche Soziallehre zu werben, deren Grundpfeiler Eigenverantwortung und Solidarität sind.

Fühlen Sie sich manchmal isoliert in der CDU-Spitze? Da dominiert – zuvorderst mit Friedrich Merz und Carsten Linnemann – der Wirtschafts­flügel.

Ach, das würde ich nicht sagen. Weil jemand aus dem Wirtschaftsflügel kommt, heißt das ja nicht, dass er kein Verständnis dafür hat, dass die CDU auch eine Arbeitnehmerpartei sein muss. Egal, wer die Partei führt: Jeder weiß, dass die CDU nur eine ­Kanzlerpartei ist, wenn sie Volks­partei bleibt.