Perspektiven für die Demokraten: Einzige Chance: Angriff

Die Situation der Demokraten ist nicht aussichtslos, denn Trumps Programm ist angreifbar. Aber dafür müssen sie das Ruder herumreißen – und zwar jetzt.

Joe Biden sitzt in einem Auto und winkt

Nach dem Ende des republikanischen Nominierungsparteitags sieht alles danach aus, als sei es nur noch eine Frage von wenigen Tagen, bis Joe Biden die erneute Kandidatur aufgibt Foto: Christophe Petit Tesson/epa

Es gibt in US-Wahljahren immer den Spruch, ein paar Wochen seien eine Ewigkeit, alles könne passieren. In diesem Jahr ist das die einzige Hoffnung der Demokrat*innen. 16 Wochen sind es noch bis zum Wahltermin am 5. November, schon im September beginnt in einigen Bundesstaaten das Early ­Voting, und Stand jetzt werden Donald Trump und seine Re­pu­bli­ka­ne­r*in­nen einen fulminanten Sieg einfahren mit guten Chancen, das Weiße Haus und beide Kammern des Kongresses zu kontrollieren.

Das Drama seit der katastrophalen TV-Debatte Ende Juni – auch diese drei Wochen fühlen sich an wie eine Ewigkeit – hat die Per­spektive der De­mo­kra­t*in­nen von „schwierig“ zu „aussichtslos“ verändert. Ob sie eine Chance haben, wenn sie jetzt das Ruder herumreißen, ist offen. Aber wenn sie es nicht tun, ist die Niederlage garantiert.

Zum Zeitpunkt, da dieser Text entsteht – einen Tag nach dem Ende des republikanischen Nominierungsparteitags in ­Milwaukee –, sieht alles danach aus, als sei es nur noch eine Frage von wenigen Tagen, bis Joe Biden so weit ist, die erneute Kandidatur aufzugeben. Das ist die notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung für eine Wende.

Nicht nur die an den Unis protestierenden jungen Linken können sich nicht vorstellen, ihre Stimme einem „Völkermörder“ zu geben.

Denn während die Re­pu­bli­ka­ner*in­nen auf einem strategisch klug choreografierten und sehr stolperfreien Parteitag glaubhaft Energie und Einheit hinter ihrem Kandidatenduo und ihren Kernbotschaften ausstrahlten, müssten die De­mo­kra­t*in­nen so etwas bis zu ihrer eigenen Convention in einem Monat erst einmal hinbekommen. Mit Biden ist das unmöglich. Und dafür, wie es ohne ihn zu schaffen ist, gibt es keine Blaupause, keine historischen Vorbilder. Manchmal sind ein paar Wochen denn doch keine Ewigkeit.

Zumal die Partei ja nicht nur über die altersbedingten Ausfälle Joe Bidens verzweifelt und gespalten ist.

Den linken Flügel mobilisieren

Der Schlüssel zum Wahlsieg 2020 war es, anders als 2016 den progressiven Flügel der potenziellen Wäh­le­r*in­nen­schaft an die Wahlurne zu bringen. Der linke Senator Bernie Sanders, Idol der progressiven Bewegung, der 2016 gegen Hillary Clinton und 2020 gegen Joe Biden die Vorwahlen verloren hatte, sorgte damals entschieden mit dafür, dass seine An­hän­ge­r*in­nen nicht wie 2016 zu Hause blieben.

Heute spaltet Joe Bidens Haltung zum Gaza­krieg den progressiven Flügel: Nicht nur die an den Unis protestierenden jungen Linken können sich nicht vorstellen, ihre Stimme einem „Völkermörder“ zu geben. Auch große Teile der arabischstämmigen Wäh­le­r*in­nen in wichtigen Staaten wie Michigan winken wütend ab.

Bidens Versuche, Israel gleichzeitig zu unterstützen und zu ermahnen, überzeugen sie nicht – nicht einmal in dem Wissen, dass sie so zu einer zweiten Präsidentschaft Donald Trumps beitragen, der schon in seinen ersten vier Jahren alle Siedlungs- und Annexionspläne der rechten Netanjahu-Regierung enthusiastisch unterstützte. Dass die wahrscheinlichste Ersatzkandidatin, Vizepräsidentin Kamala ­Harris, in der Gazafrage eine andere Position vertreten würde, ist nicht bekannt.

Und wer die Rede des frischgekürten republikanischen Vizepräsidentschaftskandidaten J. D. Vance aufmerksam verfolgt hat, wird darin vieles von der Beschreibung der Situation der Working Class in den einstigen Industriehochburgen der USA wiederfinden, die Bernie Sanders der demokratischen Führung seit Jahren vergeblich nahezulegen versucht: Wenn ihr den Leuten sagt, der Wirtschaft ginge es großartig, die Menschen aber nicht mal wissen, wie sie ihre Miete, Zinsen, Lebensmittel und Benzin bezahlen sollen, glauben sie euch nicht. Ob die Gegenseite überzeugende Lösungsvorschläge hat – hat sie nicht –, wird da zweitrangig.

Personalrochade und Angriff

Vergeblich versuchte Bernie Sanders, den Demokraten die Situa­tion der Working Class nahezubringen, wie sie J. D. Vance beschreibt.

So bleibt den De­mo­kra­t*in­nen die Hoffnung, mit neuem Spitzenpersonal die Debatte davon wegzuführen, dass der eigene Kandidat kaum eine Gangway hinauf- oder hinabsteigen kann, ohne, dass man sich Sorgen um ihn macht und sich ohne Teleprompter nicht einmal an den Namen seines eigenen Verteidigungsministers erinnert.

In einem zweiten Schritt müssen sie dann zum Angriff übergehen. Denn bei aller Kreide, die die Re­pu­bli­ka­ne­r*in­nen bei ihrem Parteitag unmittelbar nach dem Attentat auf Trump gefressen hatten, ist ja tatsächlich alles wahr, was die De­mo­kra­t*in­nen über Trumps Pläne und das von der rechten Heritage Foundation ausgearbeitete „Project 2025“ sagen:

Es ist ein Plan für einen Autoritätsstaat ohne rechtsstaatliche Leitplanken, mit einem Geschlechterbild aus den 1950er-Jahren, einer Abkehr von jeglichem Umwelt- oder Klimaschutz, Multilateralismus und dem Grundrecht auf Asyl, um nur die gravierendsten Punkte zu nennen. Eine demokratische Partei, die das ernst nimmt, muss jetzt endlich handeln.

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Jahrgang 1965, seit 1994 in der taz-Auslandsredaktion. Spezialgebiete USA, Lateinamerika, Menschenrechte. 2000 bis 2012 Mitglied im Vorstand der taz-Genossenschaft, seit Juli 2023 im Moderationsteam des taz-Podcasts Bundestalk. In seiner Freizeit aktiv bei www.geschichte-hat-zukunft.org

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