Deutschland gegen Spanien: So nah dran

Das DFB-Team scheidet nach einer dramatischen Partie im Viertelfinale gegen Spanien aus. Doch Trainer und Spieler ziehen ein fast schon euphorisches Fazit.

Toni Kroos umarmt seine Mutter im Stadion

Mütterlicher Trost: Birgit Kroos umarmt nach dem Ende des Spiels gegen Spanien ihren Sohn Toni Foto: Federico Gambarini/dpa

So viel Drama hatte diese Partie bereitgehalten, dass man noch im letzten Moment, als alles schon entschieden schien, eine weitere Zuspitzung nicht mehr ausschließen wollte. Gerade als Toni Kroos, der während der gesamten Verlängerung nicht mehr Herr seiner Kräfte war und geradezu Mitleid erregend versuchte, seine von Krämpfen geplagten Beine für einen allerletzten Freistoß im Spiel noch einmal zu lockern, blieb das scheinbar Unmögliche denkbar. Es wäre doch eine besondere Pointe gewesen, wenn Kroos das angekündigte Ende seiner so prächtigen Karriere weiter hätte hinauszögern können. „Vielleicht wäre ein Elfmeterschießen das verdiente Ende gewesen“, sinnierte nach dem Schlusspfiff Kapitän İlkay Gündoğan über diese so besondere Viertelfinalpartie in Stuttgart.

Der Kopfballtreffer des eingewechselten Spaniers Mikel Merino in der späten 119. Minute besiegelte jedoch letztlich das EM-Aus des Gastgebers. „Es war das Spiel, das wir alle erwartet haben, zwischen zwei der besten Mannschaften des Turniers“, resümierte Merino. Eine Einschätzung, die nur zum Teil stimmte. Denn erwartet hatten viele ein Duell mit feiner Klinge angesichts so vieler Einzelkönner auf beiden Seiten. Gerade in der ersten Halbzeit walteten unterdessen erst einmal die gröberen Kräfte. In den ersten zehn Minuten sei ja kaum Fußball gespielt worden, schilderte Thomas Müller die Auftaktphase treffend. Er führte dies auf den immensen Druck zurück, der auf beiden Teams lastete. Insbesondere Toni Kroos tat sich als übereifriger Grobmotoriker hervor und rückte Pedri so stark zu Leibe, dass er wenig später ausgewechselt werden musste.

Julian Nagelsmann begrüßte hinterher das Bestreben seiner Elf, Zeichen zu setzen, monierte aber zu viele Fouls, Ballverluste und Nervosität. Das hohe Energielevel dieser Partie, das nur in wenigen Phasen abflachen sollte, war jedenfalls von Anfang an gesetzt.

Diese kollektive Einsatzbereitschaft, dieser Wille und die Zuversicht bis zum Schluss, bekam auch eine spielerisch ansehnliche Note, als Nagelsmann zur Pause seine etwas zu experimentell geratene Startaufstellung korrigierte. Die etwas überraschende Idee der Neubesetzung des defensiven Mittelfelds mit Emre Can ging nicht auf, und auch Leroy Sané fehlte die Bindung zum Spiel. Gerade die Einwechslung von Florian Wirtz machte sich nicht nur wegen dessen späteren Ausgleichstors bezahlt.

Angriffsfläche für Kritik, das ist kaum zu vermeiden, haben bei diesem Turnier sowohl die Spieler als auch das Trainerteam geboten. Doch die Fähigkeit zur Selbstkorrektur zählte eindeutig zu den Stärken des deutschen EM-Auftritts.

Vom hoffnungslosen Haufen zum titeltauglichen Ensemble

Denkt man an die depressive Stimmung zurück, die sich landesweit nach den schlechten deutschen Auftritten gegen die Türkei und Österreichn verbreitete, sticht aber vor allem das hervor, was Nagelsmann den „super Spirit“ nennt. Binnen rekordverdächtiger Zeit hat er aus einem Haufen Hoffnungslosigkeit ein titeltaugliches Ensemble geformt. Nagelsmann berichtete am Freitagabend, er habe mit der Turniervorbereitung am 26. Mai nicht einmal irgendwelche Spieler zurechtweisen müssen, weil sie mit ihrer Rolle nicht zurechtgekommen wären. In Stuttgart gegen Spanien war zu beobachten, dass die Ersatzspieler derart am Seitenrand bei der Sache waren, als wären sie mittendrin. Entsprechend groß war dort auch die Empörung, als Schiedsrichter Anthony Taylor nicht auf Strafstoß entschied, als in der Verlängerung ein Schuss von Jamal Musiala von Cucurellas Hand aufgehalten wurde.

Nagelsmann war ebenfalls mächtig erbost darüber. Auf der Pressekonferenz sagte er: „Ich will gar nicht rumjammern. Ich möchte nur die Bühne nutzen, um die Regel in eine Fußballrichtung anzupassen.“ Er formulierte sein Unverständnis darüber, dass bei den schwierigen Interpretationsfragen kein Unterschied gemacht wird, ob mit einem Handspiel ein Schuss aufs Tor, wie im konkreten Fall, oder ein Schuss auf die Tribüne unterbunden wird.

An Fußballregeln rütteln, das klang nach einem sehr ambitionierten Vorhaben von Nagelsmann. Aber auch sein Fazit des deutschen EM-Auftritts fällt nicht gerade klein aus. Man habe es gemeinschaftlich geschafft, ein Land, das „viel zu viel in Tristesse verfällt“, schöne Momente zu bescheren und „ein bisschen aufzuwecken“. Und auch Thomas Müller blies in ein ähnliches Horn: „Wir können schon mal von so einem Turnier was mitnehmen in unseren Alltag. Einfach, damit wir wieder ein bisschen mehr Schubkraft entwickeln bei all den destruktiven Nachrichten.“

Das hört sich fast ein wenig nach der Überfrachtung des Fußballs an, vor dem aus Kreisen des Nationalteams vor der Europameisterschaft zu Recht gewarnt wurde. Was das Team um Julian Nagelsmann sportlich bewegt hat, steht außer Frage. Toni Kroos, der so viele Titel wie kaum ein anderer deutscher Fußballer gewonnen hat, sagte zum verpassten Halbfinaleinzug, der ihm das Ende seiner Karriere beschert hatte in der Mixed Zone einen letzten Satz, bevor er zum Bus ging: „Ich hätte nicht gedacht, dass wir so schnell, so nah dran sein können.“

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