380 Milliarden Euro Schaden

Die schwarz-gelbe Regierung unter Helmut Kohl setzte 1996 die Vermögenssteuer aus. Das Geld fehlt dem öffentlichen Haushalt. Eine Wiedererhebung scheitert vor allem am Widerstand der FDP

Von Simon Poelchau

Die Aussetzung der Vermögenssteuer hat zu einem immensen Schaden für den öffentlichen Haushalt geführt. Seit dem Jahr 1996 sind dem Fiskus bisher über 380 Milliarden Euro an Einnahmen entgangen. Dies geht aus einer Studie hervor, die das Netzwerk Steuergerechtigkeit und die Nichtregierungsorganisation Oxfam am Dienstag veröffentlichten. Diese Summe entspricht rund 80 Prozent des Bundeshaushaltes für dieses Jahr.

„Anstatt im Bundeshaushalt zum Kahlschlag unter anderem bei der Entwicklungszusammenarbeit und bei Sozialausgaben anzusetzen, sollte die Bundesregierung die Besteuerung sehr hoher Vermögen endlich auf die Tagesordnung setzen“, erklärte der Oxfam-Experte für soziale Gerechtigkeit, Manuel Schmitt. So könnten die demokratiegefährdende Vermögenskonzentration verringert und dringend benötigte finanzielle Mittel für den sozialen Zusammenhalt und den Klimaschutz generiert werden.

Schließlich weist Deutschland laut dem Global Wealth Report 2023 der Schweizer Banken Credit Suisse und UBS von den vier großen Wirtschaftsmächten der EU vor Frankreich, Spanien und Italien die höchste Ungleichheit bei Vermögen auf. So konnten die Superreichen in den vergangenen Jahrzehnten deutlich an Vermögen zulegen. Die hundert Reichsten Deutschlands häuften seit dem Jahr 2001 rund 460 Milliarden Euro zusätzlich an.

Mit der Vermögenssteuer könnte die Politik dieser wachsenden Ungleichheit entgegenwirken. Doch 1996 monierte das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil eine Ungleichbehandlung zwischen Immobilien und anderem Vermögen. Statt den Missstand zu beheben und Immobilen höher zu besteuern, setzte die schwarz-gelbe Bundesregierung unter Helmut Kohl (CDU) die Vermögenssteuer damals aus. Seitdem wurde immer wieder die Wiedererhebung der Vermögenssteuer gefordert – etwa vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Auch sprachen sich die Grünen und die SPD bei der Bundestagswahl 2021 dafür aus. Doch scheiterte die Wiedererhebung am Widerstand der FDP.

Ein häufiges Argument gegen die Wiedererhebung der Vermögenssteuer lautet, dass Milliardäre und Superreiche ihr Vermögen ins Ausland schaffen würden und die Steuer deswegen nicht zu Mehreinnahmen führen würde. Für die Stu­di­en­au­to­r*in­nen vom Netzwerk Steuergerechtigkeit und Oxfam gilt dieses Argument allerdings nicht: „Die Angst vor der Steuerflucht ist in der Bevölkerung genauso wie in der Politik weit verbreitet. Aber die Angst ist irrational“, sagte Christoph Trautvetter vom Netzwerk Steuergerechtigkeit. So hat Deutschland der Untersuchung zufolge umfassende Regeln eingeführt, die Steuerflucht massiv erschweren.

Laut der Studie hätte der Fiskus im vergangenen Jahr durch die Vermögenssteuer etwa 30 Milliarden Euro einnehmen können. Dieses Geld wäre den Bundesländern zugute gekommen. Davon profitiert hätten potenziell die Kommunen, da die Länder laut dem Bundesfinanzministerium dafür verantwortlich sind, „den Kommunen eine für ihre Aufgaben adäquate Finanzausstattung zukommen zu lassen“.

Gleichzeitig ist insbesondere auf kommunaler Ebene der Investitionsstau immens. Ex­per­t*in­nen des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) sowie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) schätzten jüngst den Bedarf für die kommunale Infrastruktur für die nächsten zehn Jahre auf insgesamt 177,2 Milliarden Euro. Hinzu kommen 28,5 Milliarden Euro für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs.

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