Reichsbürger-Prozess in Frankfurt: Ein bisschen Frieden

Die Führungsriege der Reuß-Gruppe gibt sich vor dem Gericht in Frankfurt menschenfreundlich. Der bewaffnete Umsturz scheint da ganz weit weg.

Prinz Reuß zwischen zwei Polizisten im Gerichtssaal, er trägt ein grünes Jackett sowie einen Aktenordner

Inszeniert sich als friedbliebender Familienmenschen, ist aber angeklagt für mörderische Umsturzpläne: Prinz Reuß XIII Foto: Helmut Fricke/dpa

FRANKFURT AM MAIN taz | Dafür, dass das hier eines der größten Anti-Terror-Verfahren in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist, dreht sich ganz schön viel um Frieden und Liebe.

Da sind die Frauen, die zu nahezu jedem Prozesstag kommen und mit Daumen und Zeigefingern Herzchen formen, wenn die Angeklagten hereingeführt werden. Auf ihren T-Shirts steht „Have trust“ oder „Du bist nicht allein“, ihr leicht entrückter Blick verdüstert sich nur, wenn sie nach links schauen. Wo die Presse sitzt.

Da ist ein Hauptangeklagter, der als Rädelsführer rechter Reichsbürger den gewaltsamen Umsturz geplant haben soll, mit einem bewaffneten Angriff auf den Bundestag und massenhaften Hinrichtungen. Von dem seine Anwälte aber sagen: Heinrich XIII. Prinz Reuß sei ein vollkommen friedlicher Mensch.

Derart friedlich sogar, dass Herr Reuß nicht einmal einen Befangenheitsantrag gegen das Gericht habe stellen wollen, das jüngst seine Entlassung aus der Untersuchungshaft abgelehnt hat. Obwohl es, wie Verteidiger Hans-Otto Sieg erklärt, als er am Mittwoch erneut die Außervollzugsetzung des Haftbefehls beantragt, keinerlei Beweise dafür gebe, dass sein Mandant mit einer möglichen Erstürmung des Reichstagsgebäudes irgendetwas zu tun gehabt habe. „So ein Quatsch, was soll das denn bringen?“ Mit diesen Worten habe Reuß reagiert, als er zum ersten Mal erfahren habe, was er geplant haben soll.

Friede, Liebe, Selbstinszenierung

Seit zwei Monaten wird im Industriegebiet von Frankfurt-Sossenheim, in einer Hoch­sicher­heitsleichtbauhalle, die das Oberlandesgericht der Mainmetropole eigens hat errichten lassen, das Staatsschutzverfahren gegen den adligen Frankfurter Immobilienunternehmer und acht seiner mutmaßlichen Mit­ver­schwö­re­r*in­nen der „Patriotischen Union“ geführt.

Ehemalige Bundeswehroffiziere sind darunter, ein Polizist und die AfD-Politikerin Birgit Malsack-Winkemann. Die Bundesanwaltschaft hält die Angeklagten für die Führungsriege einer terroristischen Vereinigung, die nicht weniger als einen Putsch gegen die Bundesregierung vorbereitet haben soll. Gegen 17 weitere mutmaßliche Beteiligte wird parallel in Stuttgart und München verhandelt.

In Frankfurt, wo der Prozess nach 16 Verhandlungs­tagen jetzt in eine vierwöchige Sommerpause gegangen ist, ist der Anklagevorwurf bislang indes allenfalls touchiert worden. Einzelne Angeklagte, auch Reuß und Malsack-Winkemann, haben pauschal ihre Unschuld beteuert und angekündigt, sich noch ausführlicher zu äußern. Andere, wie die Ex-Soldaten Rüdiger von Pescatore und Peter Wörner, wollen zur Sache schweigen. Ansonsten: Frieden und Liebe. Und Selbstinszenierung.

„Die schlimmste Allergie habe ich gegen Unrecht und Ungerechtigkeit“, sagt Maximilian Eder, auch er ein Angeklagter mit langer Karriere bei der Bundeswehr; in 38 Jahren hat er es bis zum Oberst beim Generalstab gebracht. Doch was die Er­mitt­le­r*in­nen bei der Durchsuchung seines Hauses in Niederbayern vorfanden, lässt das Bild eines Mannes entstehen, der sein Leben schon länger nicht mehr im Griff hat: eine Wohnung im Chaos, übersät mit leeren Bier- und Weinflaschen.

Klein und schmächtig wirkt der 65-Jährige, beinahe hutzelig, das graue Haar trägt er unmilitärisch schulterlang. Aus dem schneidigen Soldaten, der er einmal gewesen sein muss, ist ein Jünger des antisemitischen QAnon-Verschwörungskults geworden. Die Welt sieht er von geheimnisvollen Eliten beherrscht, die in unterirdischen Tunneln Kinder foltern.

Sein Selbstbewusstsein aber ist ungebrochen. Fast zwei Tage lang brüstet sich Eder vor Gericht mit seinem angeblich erfolgreichen Leben, liest Belobigungen vor, die er trotz seiner unbequemen Art von Vorgesetzten bekommen habe, lässt keinerlei Selbstzweifel durchscheinen. Immerhin räumt er ein: „Ich habe nicht die Kraft eines Mahatma Gandhi oder eines Nelson Mandela.“

Der freundliche Familienmensch Reuß

Weitere Angeklagte haben sich zur Person eingelassen, so weitschweifig wie der Ex-Oberst jedoch niemand. Prinz Reuß gibt freundlich den Familienmenschen, der seine Immobiliengeschäfte zunehmend vernachlässigte, weil er sich um die Restitution von enteigneten Besitztümern des Reuß’schen Adelsgeschlechts in Thüringen bemühte. Ein Auftrag, den ihm sein Vater sozusagen auf dem Sterbebett erteilt habe: „Ich habe es nicht übers Herz gebracht, Nein zu sagen.“

Dass er bei seinem mäßig erfolgreichen Kampf um die früheren Fürstenbesitztümer sein Heil auch in Reichsbürgerideologie suchte, deutet der 72-Jährige lediglich an. So bleibt von seinem Auftritt vor allem eine Szene im Gedächtnis: Als er spricht, ist auch seine Tochter zur Verhandlung gekommen. Sie hat das Downsyndrom, minutenlang stehen Vater und Tochter an der Trennscheibe, die Gerichtssaal und Zuschauerraum trennt, und drücken ihre Hände gegen das Glas.

Peter Wörner war Soldat beim Kommando Spezialkräfte (KSK) in Calw, später Survivaltrainer und Betreiber eines Onlineshops für Militariabedarf. Er lässt sich als einziger Angeklagter ausschließlich von rechts­extremen Szeneanwälten vertreten, sein Shop soll nach einem Bericht des Bayerischen Rundfunks von einem NPD-Funktionär mit den Worten beworben worden sein, dass es dort „Nazi-Rabatt“ gebe. Die Er­mitt­le­r*in­nen fanden bei ihm Waffen, Munition, Nachtsichtgeräte. Vor Gericht aber erzählt der 55-Jährige von seinem „natur­nahen Leben“ mit einem Wolfshund, das zu einer „spirituellen Wandlung“ geführt habe. Selbst bei ihm also: Frieden und Liebe.

Zu Dick aufgetragen

Birgit Malsack-Winkemann legt den Kopf schief, ein leises Lächeln umspielt ihre Lippen. Die 59-Jährige mustert die Ermittler*innen, die in den Zeugenstand treten, mit dem Blick der Richterin, die sie war, bevor und nachdem sie von 2017 bis 2021 für die AfD im Bundestag saß. Überlegen, selbstbewusst, keinen Widerspruch duldend.

Und so tritt sie auch auf, als sie über sich spricht. Eine Stütze der Gesellschaft, wie ihre Mitangeklagten, und selbstverständlich keine Terroristin – das ist die Botschaft. „Für mich gehört Politik nicht in die Justiz“, sagt Malsack-Winkemann. Seht her, soll das heißen: Während ich als Richterin in Berlin immer vorbildlich überparteilich gehandelt habe, tut das die Bundesanwaltschaft mit ihrer politisch motivierten Anklage überhaupt nicht.

Wäre diese Riege mutmaßlicher Reichs­bür­ger­ver­schwö­re­r*in­nen der Cast einer Polit­krimiserie, man würde wohl sagen: zu dick aufgetragen, um noch glaubhaft zu sein. Zumal da auch noch Johanna Find­eisen-Juskowiak sitzt. Die 53-Jährige war bis zu ihrer Verhaftung Landesvorsitzende der Corona-Leugner*innen-Partei „Die Basis“ in Baden-Württemberg. Eine sanft lächelnde Frau mit langen grauen Locken und großem Holzkreuz um den Hals, die ihren Anwalt und Parteifreund Martin Schwab, Juraprofessor in Bielefeld, zur Begrüßung lang und innig umarmt.

Als Spross einer „Waldorf­dynastie“ schildert Findeisen-Juskowiak sich. Tierlieb, kinderlieb, naturverbunden, immer positiv denkend. Eine begeisterte Seglerin, Cellistin und Tango­tänzerin, die sich ehrenamtlich für Geflüchtete engagiere und mit einem Mann aus Westafrika verlobt sei.

„Liebe ist stärker als Finsternis“

„Ich glaube an das Gute“, sagt sie. „Dass die Liebe stärker ist als die Finsternis. Ich möchte, dass sich alle Menschen wohl ­fühlen.“ Was sich auf Menschen, die sich in der Coronapandemie wohler fühlten, wenn Masken getragen und Abstände eingehalten wurden, jedoch offensichtlich nicht erstreckte: Die „sofortige Beendigung aller Maßnahmen“ war Findeisen-Juskowiaks wichtigstes politisches Ziel.

Einiges spricht dafür, dass es diese Ablehnung der Corona­politik war, was die gelinde gesagt heterogene „Patriotische Union“ zusammengeführt hat. Der Angeklagte Michael Fritsch, ein 61 Jahre alter Polizist aus Niedersachsen, der sich als Corona­leugner derart radikalisiert hatte, dass er aus dem Dienst entlassen wurde, kandidierte ebenfalls für „Die Basis“. Die Ex-Soldaten Eder und Wörner sahen sich in der Pandemie als Freiheitskämpfer.

Ob sie ihren Kampf wirklich nur mit Frieden und Liebe führen wollten oder nicht doch mit Waffen und Gewalt, wird sich erweisen, wenn die Verhandlung Mitte August weitergeht. Man muss daran erinnern, weil es angesichts der ganzen zelebrierten Menschenfreundlichkeit in Vergessenheit zu geraten droht: Laut Anklage verfügte die „Patriotische Union“ über 380 Schusswaffen plus Munition, allerhand militärische Ausrüstung und mehr als eine halbe Million Euro.

Mit dem Aufbau von „Heimatschutzkompanien“ für den Umsturz soll bereits begonnen worden sein. Und mindestens 136 Mit­strei­te­r*in­nen unterzeichneten Verschwiegenheitserklärungen, die ihnen für den Fall des Verrats die Todesstrafe androhten – zu verhängen von Heinrich XIII. Prinz Reuß, dem friedlichen Familienmenschen.

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