piwik no script img

wortwechselAtomwaffen in Deutschland? Nein danke!

Wie kam es eigentlich zu dem Beschluss, in Deutschland wieder US-Raketen zu stationieren? Wo wurde das diskutiert? Die Le­se­r*in­nen erinnert das an den Nato-Doppelbeschluss 1979

Wie weit geht die Eskalationsspirale noch? Funktioniert die Abschreckung? Foto: Department of Defense/Zuma Press/imago

Um garantiert abzuschrecken“,

taz vom 13. 7. 24

Atomare Waffen

Ich traute meinen Augen nicht, als ich die Nachrichten las über den Beschluss der Nato, in Deutschland wieder atomare Waffen zu stationieren! Von Kanzler Scholz in Washington (!) angekündigt, u. a. als angeblicher Beschluss der Bundesregierung. Gab es da irgendeine Diskussion dazu in Deutschland?

Ich erinnere mich an den Nato-Doppelbeschluss von 1979. Ich war sehr aktiv in der Friedensbewegung. Es gab riesige Proteste bis hin zu der Großdemo mit 300.000 TeilnehmerInnen in Bonn. Es nutzte nichts: 464 Marschflugkörper (mit atomaren Sprengköpfen) wurden bei Mutlangen stationiert, und ebenfalls mehrere hundert atomar bestückte Pershing-II-Raketen an verschiedenen Standorten – wie ja auch der Warschauer Pakt SS20-Raketen aufgestellt hatte. Der „Doppelbeschluss“ besagte, dass parallel zu den Aufrüstungen die damaligen Großmächte über Abrüstung verhandeln sollten. Das kam erst zustande, als in der SU Gorbatschow an die Macht kam und Verhandlungen anbot. 1987 wurde der INF-Vertrag zur Abrüstung der Mittelstreckenwaffen auf beiden Seiten abgeschlossen. Der führte dazu, dass bis 1991 atomare ­Raketen in Mitteleuropa verschrottet wurden.

Jetzt, 45 Jahre später, bin ich 87. Soll dieser ganze, komplizierte Prozess noch mal von vorne beginnen?

Gerhard Breidenstein, Traunstein

Keine Eskalation!

Die verantwortlichen Politiker (Scholz, Baerbock) hatten uns bei den ersten Munitionslieferungen versichert: „Deutschland lässt sich in diesen Krieg nicht hineinziehen“ und „Es wird von unserer Seite keine zusätzlichen Eskalationen geben“. Aber fast alle Kriege entwickeln über Medien, Feindbilder, geschürte Ängste, Propaganda und zunehmendem Hass eigene Dynamiken. Zunächst ging es um Schutzhelme, medizinische Hilfen, Minenräumen und eindeutige Abwehrwaffen. Doch schon bald wurden die Waffenlieferungen umfassender und immer offensiver: gepanzerte Fahrzeuge, Panzer, Drohnen, Raketen, Flugzeuge. Gleichzeitig eskalierten auch die Einsatz- und Zerstörungsszenarien. Hatten die Verantwortlichen „Eskalationen“ nicht ausgeschlossen?

Nun wird von den USA beschlossen, Langstrecken-Marschflugkörper und neu entwickelte Überschallwaffen in Deutschland zu stationieren, die atomar bestückt werden können. Soll dies keine neue Eskalation sein? Wir werden hinter die Zeiten und Gefährdungen zurückgeworfen, die seit der Kuba-Krise ein Eskalations-No-Go der Großmächte sind. Und unsere Verantwortlichen (Scholz, Pistorius) wollen uns tatsächlich versichern, dies würde „kein neues Wettrüsten auslösen“. Die Wahrheit stirbt im Krieg als erstes, und zwar auf allen Seiten aller Kriegsparteien. Wo sind die Politiker, die überhaupt noch in der Lage sind, diese Eskalationsspiralen auch wieder zurückzudrehen?

Kurt Lennartz, Aachen

Zu wenig Diplomatie

„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“ und „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung mit“, so lauten Artikel 20 (2) und Artikel 21 (1) des Grundgesetzes. Und was macht der deutsche Kanzler? Die folgenschwere Entscheidung, nach 44 Jahren wieder Mittelstreckenraketen auf deutschem Boden zu stationieren, das begründet er nicht etwa in einer Erklärung vor den Abgeordneten des Volkes im Bundestag in Berlin, nein, dass gibt er in einem Fernsehinterview in den Vereinigten Staaten von sich. Anschaulicher konnte er es nicht machen, dass ihm die Meinung des deutschen Volkes wurscht ist. Aber Vorsicht, Herr Scholz: Auch wenn jetzt nicht 200.000 protestierende Bürger vor dem Bundeskanzleramt auftauchen, wie dies 1981 im Bonner Hofgarten geschah, als es um die Stationierung von Pershing- und SS-20-Raketen ging, so wird dennoch eine beträchtliche Zahl von Wählern im nächsten Herbst nicht mehr das Kreuz hinter „SPD“ machen, weil ihnen zu viel von Kriegstüchtigkeit und zu wenig von Diplomatie und sozialer Gerechtigkeit(!) die Rede ist.

Peter Bethke, Eutin

Gefahr durch Trump

Dass atomar bestückte Langstreckenraketen den Frieden Deutschlands und Europas sichern würden, war schon in den 80er Jahren Bullshit und das gilt heute ebenso. Die USA rüsten nicht nur wegen der aktuellen Bedrohungslage Europas durch den Angriffskrieg Russlands in der Ukraine auf, sondern auch mit Blick auf China und wollen vor allem ihre militärische Vormachtstellung als Weltmacht sichern. Dass man die europäischen Nato-Partner im aktuellen russischen Angriffskrieg erneut mit 80s-Bullshit überzeugen konnte und man auch hierzulande die Stationierung sogar noch als generöse amerikanische Unterstützung der europäischen Sicherheit deutet, ist die Wiederholung eines Fehlers unter verschärften Bedingungen.

Mit der Aussicht einer erneuten Trump-Periode in der Noch-Weltmacht, kann man dann auch nicht mehr von der Vernunft der Hauptakteure ausgehen, die Voraussetzung dafür ist, dass atomare Abschreckungspolitik funktioniert und die Atomwaffen niemals eingesetzt werden.

Nina Janovich, taz.de

Welche Zukunft?

Seit der Kuba-Krise 1962 gab es eine stillschweigende Übereinkunft zwischen den Großmächten: Es werden keine Mittel- und Langstreckenwaffen in verbündeten Staaten stationiert, die ohne Vorwarnzeiten die atomare Vernichtung des anderen möglich machen. Nachdem dieser Konflikt 1962 fast zum 3. Weltkrieg geführt hatte, hat die Vereinbarung gehalten und über 60 Jahren zumindest den Frieden zwischen den Großmächten gesichert. (Vor allem aber auch durch die Vernunft eines Michael Gorbatschows.) Jetzt hat die USA beschlossen, bei uns Langstreckenwaffen ohne Vorwarnzeiten zu stationieren. Was bedeutet das für unsere Zukunft und die Zukunft unserer Enkel?

Josie Bockholt, Aachen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen