Alina Schwermer Hin und weg: Alle sind mit allem verbunden

Wie ein Netz halten die persönlichen oder verwandschaftlichen Verbindungen die Menschen in einem italienischen Dorf zusammen.

Blick aus dem Fenster auf einen Garten in einem italienischen Dorf

Das Dorf, auch das italienische Dorf, bietet neben sozialer Kontrolle auch Geborgenheit Foto: Filippo Carlot/imago

Antonias Küchentisch wirkt, als habe sie uns erwartet. Sie tischt selbstgemachtes Gebäck auf, Getränke. Und ich bewundere ihre süditalienische Fähigkeit, immer was für Gäste im Haus zu haben.

Denn wir kennen uns überhaupt nicht. Auf der Straße sind wir ins Gespräch gekommen, Antonia hat uns spontan eingeladen. Die Straße, in der unser Ferienhaus steht, ist geprägt von kleinen Häusern mit Landstücken. Hier wohnen noch viele Nachkommen alter Kleinbauernfamilien. Wie Antonia. Eine unfassbar fitte 75-Jährige, die ich ständig auf dem Acker werkeln sehe.

Sie weiß, sehr lange geht das nicht mehr mit dem Haus, „aber es hängen so viele Erinnerungen dran“. Sie zeigt uns den winzigen Altbau, wo sie in der Kindheit zu sechst schliefen, kaum vorstellbar. Dann das Haus, voll mit Ikonen. Ob wir katholisch oder protestantisch seien? Wie, gar nichts? „Die Zeiten ändern sich“, kommentiert Antonia, als hätte sie das oft gesagt. Am Tisch erzählt sie vom harten Leben damals, von den Familien, die auch wir kennen.

Es ist faszinierend, sich ein Dorf zu erschließen. Ich finde es manchmal schwer, mit dem zerfaserten Horizont auf dem Land umzugehen. Aber die Geschichten zeigen auch, welche Lebensleistung die Leute vollbracht haben. Wie etwa eine andere alte Frau, die oft herrisch ist, aber glücklich wirkt, wenn sie in ihrem Gemüsegarten steht.

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Von Antonia erfahren wir, dass auch sie in einer Kleinbauernfamilie aufwuchs, die Mutter früh tot, die Stiefmutter hart, sie habe es schwer gehabt. Vieles versteht man so besser, auch, was sie erkämpft hat, ihre gebildete Tochter, ein wenig Wohlstand. In der Folgegeneration wirkt dieses Leben schon fern. Jene Tochter erzählt später, die Straße sei damals voll mit Kindern gewesen, Kühe hätten sie gemeinsam gemolken, wie schön das alles war.

Jetzt sind Höfe und Kinder weg. Aber immer noch hängt alles unsichtbar zusammen. Der Mann, der uns das Holz liefert, entpuppt sich als Sohn von dem, der damals die Kühe hatte. In der Bäckerei, wo die Familien ohne Ofen einst ihr Brot zum Backen hinbrachten, verkauft die Frau, die vorher unser Haus besaß.

Wie in einem großen Wimmelbild fügen sich Biografien zusammen. Es ist ein Bild, das viele Grautöne zulässt. Unsere Nachbarin – die, die Kühe molk – hat nicht Meloni gewählt, die Wahl war ihr wichtig. Aber viele ihrer Ar­beits­kol­le­g:in­nen seien nicht wählen gegangen. „Sie finden, man kann eh nichts machen. Dabei sind das doch gebildete Leute.“ Die Erfahrung, ausgeliefert zu sein, sitzt tief hier. Auch mit Antonia reden wir kurz über Politik. Sie sorgt sich um die Ukraine, die Pandemie, den Massentod der Olivenbäume, der hier viele entsetzt. „Aber“, seufzt sie, „was kann man machen.“

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Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum, Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen zum Beispiel im Fußball und übers Reisen. 2018 erschien ihr Buch "Wir sind der Verein" über fangeführte Fußballklubs in Europa. Erzählt von Reisebegegnungen auch auf www.nosunsets.de

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