NS-Raubkunst: An dieser Sammlung klebt Blut

Die Gemäldesammlung des Schweizer Waffenhändlers Emil Bührle enthält 633 Werke. Ein Gutachten zeigt nun: Viele stammen aus jüdischem Besitz.

Expertenbericht zur Sammlung Bührle im Juni 2024

Journalisten verfolgen die Medienkonferenz zum Ergebnisbericht und den Empfehlungen im Umgang mit der Sammlung Bührle Foto: Ennio Leanza/dpa/keystone/picture alliance/

In Paul Cézannes Gemälde „Landschaft“ sind Hügel zu sehen, Bäume und vereinzelte Häuser. Das Bild zählt zu der berühmten Sammlung des Schweizer Waffenhändlers Emil Bührle (1890–1956). Der hatte zwischen 1936 und 1956 insgesamt 633 Kunstwerke erworben. Ein Teil davon wird im Kunsthaus Zürich ausgestellt, seit 2021 in einem eigenen prominenten Anbau.

Die Herkunft des Bildes sei „lückenlos erforscht“, die Provenienz „unproblematisch“, heißt es in einem Gutachten aus dem Jahr 2020, wie überhaupt kein einziges der ausgestellten Werke von den Nazis gestohlene Kunst darstelle oder in der Not der Verfolgung von Juden veräußert werden musste. So lautete die Legende bis zum vergangenen Freitag. An diesem Tag stellte der Historiker Raphael Gross ein im Auftrag von Stadt und Kanton Zürich sowie der Kunstgesellschaft erstelltes Gutachten vor.

Historisch kontaminierte Bilder

Das Ergebnis: Von gut 200 in Zürich gezeigten Kunstwerken gehörten 62 zwischen 1933 und 1945 jüdischen Vorbesitzern. 18 weitere Werke mussten möglicherweise von Juden unter dem Druck ihrer Verfolgung veräußert werden. Und 71 hatten einmal einen jüdischen Vorbesitzer, darunter vor allem Kunsthändler. 133 von 204 Bildern können als historisch kontaminiert gelten. An ihnen klebt möglicherweise Blut.

Zum Beispiel der vorgeblich so „unproblematische“ Cézanne: Das Gemälde gehörte dem jüdischen Ehepaar Berthold und Martha Nothmann. Es hatte geplant, den Lebensabend in Berlin zu verbringen. Doch das NS-Regime zwang das wohlhabende Paar 1939 zur Flucht nach London. Einen Teil der Bilder konnte es mitnehmen, darunter den Cézanne. Doch die Renten wurden nicht mehr ausgezahlt, der Besitz fiel an das Reich.

„Seit der Zeit (gemeint ist die Flucht 1939, d. Red.) leben wir vom Verkauf der Bilder“, schrieb Martha Nothmann 1947. Da war ihr Mann schon verstorben. Sie lebte verarmt in New York. Im selben Jahr ging der Cézanne an Emil Bührle, der sein Vermögen unter anderem mit Waffenverkäufen an das Nazi-Regime gemacht hatte. Martha Nothamm lebte zuletzt zur Untermiete. Sie starb im Jahr 1967.

Das Gutachten des gebürtigen Zürchers Raphael Gross, der in Berlin das Deutsche Historische Museum leitet, zerstört die Vorstellung von einer sauberen Sammlung gründlich und wenig überraschend, stammt diese doch von einem Mann, der mit Krieg und Tod sein Geld verdiente und bedenkenlos auch diejenige Kunst kaufte, deren Herkunft schon damals unklar war.

Moralisch-ethische Haltung

Zweifel an der durch eine Stiftung verwaltete Kunst bestanden vom ersten Tag an, an dem die Bilder in der Kunsthalle gezeigt wurden. Es stelle sich die Frage, „ob eine öffentliche Einrichtung“ eine solche Ausstellung „mit ihrer moralisch-ethischen Haltung in Übereinstimmung bringen kann“, schreibt Gross nun in seinem Gutachten.

Zweifel überkamen zuletzt auch die Bührle-Stiftung, die nur wenige Tage vor der Veröffentlichung des Gutachtens dafür sorgte, dass fünf besonders kontaminierte Gemälde abgehängt wurden – ohne die Direktorin des Kunsthauses, Ann Demeester, vorab davon zu informieren. Der offenkundige Versuch, die Wucht des Gutachtens abzumildern, sorgte für Empörung.

Genützt hat er nichts. Gross empfiehlt eine rückhaltlose Aufarbeitung der Provenienz der Kunstwerke. Die Sammlung Bührle nennt Gross einen „Teil der jüdischen Geschichte Europas“. Ohne die nationalsozialistische Verfolgung wäre die Sammlung Bührle so nie zustande gekommen, sagte Gross.

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