Streit um Schweizer Kunstsammlung Bührle: Aufarbeitung weichgespült

Das Kunsthaus Zürich will die Sammlung des Fabrikanten Emil Bührle und seine NS-Verstrickung aufarbeiten.

Aktenordner der Sammlung Bührle im Archiv

Das Archiv der Stiftung Sammlung E.G. Bührle in der Bibliothek des Kunsthaus Zürich Foto: Kunsthaus Zürich/Franca Candrian

Beim ersten Schritt in die Neupräsentation der umstrittenen Sammlung Bührle im Kunsthaus Zürich ist man selbst als kri­ti­sche:r Be­su­che­r:in zunächst positiv überrascht. In der Ausstellung, deren wissenschaftlicher Beirat kurz vor Eröffnung am 3. November medienwirksam zurückgetreten war, wird endlich benannt, was benannt werden muss.

Giulia Bernardi und Daniel Riniker sind Jour­na­lis­t:in­nen aus Zürich. Mit dem Projekt KKKK haben sie bereits öffentlich auf die ungenügende Vermittlung in der Sammlung Bührle hingewiesen.

War in der ursprünglichen Präsentation noch beschönigend von einer „schwierigen Zeit“ die Rede, wird nun offengelegt, wie Emil Bührle überhaupt zu seinem Reichtum kam – und zu einer solch bedeutenden Kunstsammlung mit Werken von Monet oder Van Gogh: Durch Waffenlieferungen an das NS-Regime während des Zweiten Weltkriegs, durch jüdische Sammler:innen, die ermordet oder enteignet wurden oder auf der Flucht ihren Besitz verkaufen mussten.

Endlich wird auch die Zwangsarbeit erwähnt, die junge Frauen in Bührles Fabrikheimen in der Schweiz leisten mussten. Und ein eigener Raum widmet sich dem Schicksal jüdischer Sammler:innen, ein anderer zeichnet exemplarisch die Provenienzforschung zum Gemälde „La Sultane“ von Édouard Manet nach.

Sammlung zerschlagen, Besitzer ermordet

Einst gehörte das um 1871 angefertigte Bild dem jüdischen Samm­le­r:in­nen­paar Johanna und Max Silberberg aus Breslau. Bührle kaufte es 1953 in New York. Auf den Markt war es aber nur gelangt, weil die Sammlung Silberberg im Zuge der NS-Verfolgung zerschlagen wurde. Johanna und Max Silberberg wurden 1942 mutmaßlich im KZ ­Auschwitz ermordet.

Der letzte Brief an ihre Kinder liegt nun in einer großen Schublade zusammen mit Archivkarten und Händleretiketten. Symbolisch sind dazu leere Schubladen installiert, hier könnten später Resultate einer noch laufenden unabhängigen Überprüfung der Provenienzen platziert werden.

Die aktuelle Forschung zu Manets Gemälde wurde nämlich von der Stiftung Bührle selbst betrieben, keineswegs von unabhängiger Stelle. Es gibt also noch viel Aufholbedarf am Kunsthaus Zürich. Das scheint auch seiner neuen Direktorin Ann Demeester bewusst zu sein. Die Belgierin betonte auf der Pressekonferenz wiederholt, dass die jetzige Neupräsentation erst der Anfang eines langen Prozesses sei. Tatsächlich, diese Ausstellung ist kaum mehr als ein erster Schritt.

"Sultane" von Édouard Manet, entstanden um 1871

Édouard Manets „La Sultane“ (um 1871) gehörte zur Sammlung Silberberg. Wie kam sie zu Bührle? Foto: Emil Bührle Collection/Kunsthaus Zürich

Keine klare eigene Position

Denn das Kunsthaus scheut vor einer klaren Position zurück, sobald es um die umstrittenen Fälle von NS-entzogenen Kulturgütern geht. Stattdessen wird auf den im Sommer 2024 erwarteten Bericht des Historikers Raphael Gross verwiesen. Er wurde von der Stadt Zürich beauftragt, die bisherige Forschung zu überprüfen.

Dennoch eröffnet das Kunsthaus die Ausstellung mit dem Anspruch, „der Opfer des NS-Terrors zu gedenken, ihre Schicksale in Erinnerung zu rufen und die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg zu reflektieren“. Doch daran ist sie gescheitert. Sie präsentiert zwar eine weniger euphemistische Nacherzählung der Sammlungsgeschichte, huldigt Bührle nicht mehr als Sammler und Mäzen, verengt sich aber zu sehr auf die Person Emil Bührle.

Die Rolle der Schweiz hingegen, wie auch der eidgenössische Staat durch Bührles Kapital zum Profiteur und Kollaborateur des NS-Regimes wurde, bleibt unerwähnt. Kurzum: Die gerade eröffnete Ausstellung hat weder neue Erkenntnisse vermittelt noch eigene Forschungsfragen angeregt. Vor allem hat sie keine eigene Haltung entwickelt.

Fehlende Stimmen

Stattdessen gibt es einen sogenannten Resonanzraum. Darin werden per Video verschiedene Stimmen in der Zürcher Debatte um das Kunsthaus präsentiert. Aber was sagen die Nachkommen verfolgter jüdischer Samm­le­r:in­nen oder ehemaliger Zwangsarbeiterinnen? Sie fehlen auffällig. Das könnte anders gehen, wie es vor kurzem der Historiker Yves Demuth mit seinem Buch „Schweizer Zwangsarbeiterinnen“ vormachte und Betroffene wie Irma Frei und Elfriede Steiger zu Wort kommen ließ.

Dass den jüdischen Samm­ler:innen, deren Werke im Nachgang der NS-Verfolgung in die Sammlung Bührle gelangten, zu wenig Platz eingeräumt worden sei, sorgte bereits vor der Eröffnung für Aufregung. Der wissenschaftliche Beirat, der die Konzeption der Ausstellung begleitet hatte, kritisierte, „ein weiteres Mal“ entstehe der Eindruck, „dass die Opfer des Nationalsozialismus marginalisiert werden“.

Daraufhin trat das siebenköpfige Gremium namhafter Ex­per­t:in­nen geschlossen zurück. Für den Beirat führte nicht einmal dieser erste Schritt in die richtige Richtung.

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