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Ausgehen und rumstehen von Ruth Lang FuentesPussy Riot oder lieber Regenbogen?

Foto: privat

Wie? Kartenzahlung geht nicht? Wir sind doch im 21. Jahrhundert!“, empört sich die Frau mit den schlecht gefärbten pinken Haaren vor mir. Wir stehen an einem Bratwurststand an den Treppen zur Neuen Nationalgalerie. „Rage“ soll hier gleich performt werden. Die Frau stimmt sich schon mal ein, denke ich mir.

Obwohl noch offiziell fast eine Stunde hin ist zu der angekündigten Performance, ist der Platz vor dem Mies-van-der-Rohe-Gebäude schon ziemlich gefüllt. Das liegt vielleicht auch an der aktuellen Warhol-Ausstellung, für die für heute schon Einlassstop verhängt wurde, wie mir ein Pärchen erklärt, bei dem ich eine Zigarette schnorre. Aber sicherlich auch daran, dass sich hier etwa 50 Pussy-Riot-Anhänger in pinkfarbenen Wollsturmhauben, Netzstrumpfhosen und schwarzen Kleidern versammelt haben. Ja genau, jenes Kollektiv aus Russland, das durch sein sogenanntes Punk-Gebet 2012 in der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau und die darauf folgende Verhaftung weltweit Bekanntheit erlangte.

Zunächst gibt es aber etwas Posing: Wir müssen alle runter vom Platz. Die Muschi-Aufrührerinnen positionieren sich in V-Formation. Ganz vorne, denke ich, ist vermutlich Nadya Tolokonnikova – eine der Mitglieder, die 2012 inhaftiert wurden. Jedenfalls gibt sie die Anweisungen, was der Fotograf, der sich gegenüber von ihr auf einer Leiter befindet, einzufangen hat. Zwei Pussy-Rioter stehen auf dem Dach der Nationalgalerie, werfen pinkfarbene Rauchbomben, während die Formation unten die linke Faust in die Höhe streckt. Gestört wird das ganze Spektakel von einem Typen auf einem Fahrrad, der provokativ direkt vor der Protestformation vorbeifährt und „Fuck Russia“ ruft. Ich frage mich, ob sie da nicht eigentlich einen gemeinsamen Nenner haben, Pussy Riot und er. Da beschließen die Bullen, ihm doch mal hinterherzulaufen.

Nach der Fotosession bekommen wir Zeit fürs „Networking“. Ich schaue mich um. Unter den anwesenden Zuschauern ist, was Kleidung, Style und Accessoires angeht, einer gewollt ausgefallener als der andere. Ich frage mich, ob sie vielleicht die eigentliche Show sind und nicht Pussy Riot, und beschließe dann, lieber mit dir zu networken.

„Ich frage mich, ob da noch mehr kommt“, sagst du, als wir uns auf die Stufen setzen, weil das Stehen auf Dauer doch etwas anstrengend ist. „Außer Fassade.“ Ich erzähle dir, wie ich Pussy Riot vor etwa zwei Jahren im Funkhaus gesehen hatte. Damals mit einer eindrücklichen Performance über das Leben im russischen Straflager.

Die Show beginnt: Ein verzerrter Industrial-Sound nimmt den Raum um uns ein. Wir stehen auf dem Platz vor der Nationalgalerie, auf der auch die Performance stattfinden soll. Nur sehen tun wir nichts. Vor und hinter uns – sogar auf der anderen Straßenseite – stehen gefühlt tausend Menschen. Sie halten ihre Kameras in die Höhe, aber auch auf deren Aufnahmen erkenne ich nichts von Pussy Riot, nur Gedränge.

„Also Organisation scheint nicht ihre Stärke zu sein“, sagt ein Typ neben uns, als wir alle aufgefordert werden „ten steps back“ zu nehmen. Das führt nur zu noch engerem Gedränge und genauso wenig Sicht. Nun schreit Tolokonnikova zum Zerrsound von Gitarre und Synths (übrigens von zwei Männern gespielt) mir Unverständliches ins Mikro.

Zumindest kriege ich jetzt ein wenig über die Aufnahme eines Handys drei Reihen vor mir mit. Die Störgeräusche werden lauter, Zuschauer stecken sich ihre Kopfhörer in die Ohren. Der Himmel über uns verdunkelt sich. Weiter Gedränge, Zerrsound, undefinierbare Schreie, Regen, Regenschirme. Die Pussy-Riot-Formation fängt nun mit Schattenboxen an. Dann sollen wir alle – bis auf die Bullen – mitschreien: „Pussy!“ – „Riot!“

„Love is stronger than fear!“ Den Nawalny-Spruch soll sie auch geschrien haben – erfahre ich später auf Insta. Unsere Haare sind jetzt jedenfalls klatschnass. Die dunkle Wolke ist direkt über uns, als würden Wut und Zerrsound des Muschi-Aufruhrs sie anziehen. Weiter weg: Sonnenlicht. Und ein Regenbogen. Im perfekten Halbkreis über dem Potsdamer Platz. Eine halbe Minute lang bekommt er mehr Aufmerksamkeit als die Performance; die ohnehin schon gezückten Handys fotografieren in die andere Richtung.

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