Im Süden schmilzt das Wassereis

Die in Berlin lebende französische Popsängerin Sofia Portanet verströmt auf ihrem neuen Album „Chasing Dreams“ trotz melancholischer Anwandlungen chansonhafte Leichtigkeit

Sofia Portanet Foto: Tomas Eyzaguirre

Von Johann-Vincent Slawinski

Vor Gesprächsbeginn muss erst mal geklärt werden – wie spricht man den Namen der deutsch-französisch-spanischen Sängerin Sofia Portanet aus? „Portaneeee“, „Portanetschi“, „Portanett“ oder ganz anders? Die 34-jährige Berlinerin lacht und hat noch eine weitere Klangversion ihres Nachnamens parat: „Kommt drauf an, in welcher Sprache man ihn ausspricht. Da es der katalanische Familienname meines Vaters ist, hieß es ursprünglich „Portanay“.

So international wie ihre Biografie klingt, kommt auch ihr neues Album „Chasing Dreams“ daher. Neben Deutsch, Französisch und Englisch singt die französische Künstlerin darauf erstmals einen Song in der Muttersprache ihres Vaters, Antonio Portanet. Mit „Coplas“ covert sie ihn sogar, der dieses Lied in den 1980ern komponiert hatte. Bei ihr wird daraus Flamenco meets Pop mit elektronischen Beats, die im Refrain von einem andalusischen Chor in eine melancholische Weite davongetragen werden. Melancholie lugt auch aus den Textzeilen im Song „Lust“ hervor: „Du hast heute Lust auf gar nichts / Versteckst dich im Bett / Und wünschst / dich gäb’s nicht.“ Sie singt den Song im Duett mit Tobias Bamborschke, der als Sänger der Band Isolation Berlin schon des Öfteren das Thema Depression musikalisch verarbeitet hat. Portanet singt dessen lyrischem „Du“ viel Mut zu. In aufsehenerregendem Falsett zeigt sie im Refrain ihre Einzigartigkeit: Welche Pop-Queen thematisiert deutschsprachig und dennoch frei von fühlbarer Anstrengung und Du-musst-nicht-traurig-sein-Attitüde Depressivität eines Beziehungspartners?

Portanet gibt düsteren Gefühlen und Ängsten einen Raum, ohne dabei in poppiges Selbstmitleid abzudriften: „Viele der Themen, über die ich singe, sind schwergängig. Es geht in meinen Songs oft um Enttäuschungen und darum, immer wieder gegen die Wand zu fahren, mit dem, was man sich wünscht. Aber noch mehr geht es um Empowerment, darum, Mut zu machen.“

Ihre Botschaft lautet: „Ich lasse mich davon nicht unterkriegen und mache weiter. Ich stehe zu mir und dem, was ich möchte.“ In dem Song „Ballon“ geht es ums Festhalten und Loslassen von Träumen. „Auf der Flucht vor mir habe ich mich verrannt / Hab den Kopf verloren und mein Herz verkannt.“ Dann erscheint ein friedlich-lyrisches Ich: „Ich seh klar, hab keinen Schimmer / folg’dem, was im Nebel flimmert / Was mir gehört, muss ich nicht jagen / Werd’von meinem Gefühl getragen.“

Wassereis in den Händen, auf der Rückbank mit plattgesessenem Hintern bei offenem Pkw-Fenster mit den Eltern Richtung Südfrankreich­urlaub düsen. Dort wartet dann die Rollschuhdisko: Sommeratmosphäre überkommt die HörerInnen, wenn Portanet mit „Entre nos lèvres“ völlig zeitlos voller Grande-Dame-haftigkeit einen überdrehten Neo-Chanson im 80s-Gewand schmettert.

Angesichts Portanets bunter Palette verschiedener europäischer Wurzeln stellt sich nur eine große Frage – wann winkt ihr eine Teilnahme am ESC? Die Künstlerin lacht: „Ja klar, ab jetzt sind die Leitungen für interessierte Länder freigeschaltet!“ Zuletzt ist da natürlich „Real Face“ – eine Ballade, ruhig, zerbrechlich und so traumhaft schön, dass sie gleich zweimal auf dem Album erklingen darf. In zweiter Fassung als zarte Piano-Version im Duett mit dem kanadischen Pianissimo Gonzales – der glamouröse Ausklang eines wirklich hörenswerten Albums. „It’s okay, to be not okay / All I want is to show you my real face“ – ja bitte, zeige es uns, ­Sofia Portanet!

Sofia Portanet: „Chasing Dreams“ (Duchess Box/Motor Music/Universal)

Live: 27. 6. im Rahmen von „Ich brauche eine Genie“ in der Kantine am Berghain, Berlin