Berliner HipHop-Crew: Es geht wieder um die Spitze

Das HipHop-„Team Recycled“ gehört zu den größten in Berlin. Am kommenden Wochenende wollen sie ihren Titel ein weiteres Mal verteidigen.

Ein junger Mann im Vordergrund und seine Crew im Hintergrund beim trainieren

Wenn der Breakdancer Kilian richtig loslegt, ist es für die Zuschauer, als ob für einen Moment der Horizont schwankt Foto: Miriam Klingl

BERLIN taz | Kilian schaut auf sein Team, das hinter ihm steht. Dann der Sprung: Einen einarmigen Handstand lässt er durch extreme Körperspannung in Zeitlupe in einen Rückwärts-Überschlag übergehen. Dabei dirigieren seine Füße durch die Luft, alle beugen sich synchron zur Seite, während er langsam kippt. Kilian ist Breakdancer und wenn er richtig loslegt, ist es für die Zuschauer, als ob für einen Moment der Horizont schwankt.

Dafür ist die Berliner HipHop-Crew „Team Recycled“ bekannt, mit über 25 TänzerInnen eine der größten HipHop-Tanzgruppen aus Berlin. Das heutige Training findet in der bekannten Kreuzberger Tanzschule, der „Flying Steps Academy“, statt. Es beginnt, wenn der Tanzschulbetrieb zu Ende ist, und geht oft bis Mitternacht. Der Druck steigt, denn sie trainieren für die am kommenden Wochenende stattfindende Berliner Meisterschaft, die „Berlin Dance Open“. Fünfmal sind sie schon Berliner Meister geworden, nun wollen sie den Titel ein weiteres Mal verteidigen – als Legenden in der Kategorie „Megacrew“.

Jeff Jimenez war bisher bei fast jeder dieser Titelverteidigungen dabei und ist der Gründer von Team Recycled. Es ist das Jahr 2010, in dem er und sein Freund Devin Ash-Quaynor die Gruppe zusammenstellen. Der Name ist eine Hommage an das Wiederverwertete, Zusammengewürfelte, alle TänzerInnen stammen aus unterschiedlichen, bereits bestehenden Tanzcrews aus Berlin. Das „Multikulti“, wie Jeff es nennt, wurde eher zufällig ihr Markenzeichen. „Wir haben nie bewusst nach Nationalität ausgewählt, wir waren einfach immer so gemischt.“ Aktuell zählt Jeff nach, haben sie im Team Wurzeln aus 13 verschiedenen Ländern, von Somalia bis Rumänien, Kamerun oder Vietnam, alle leben in Berlin. Auch tänzerisch „recycled“ das Team, es werden verschiedene Einflüsse zu Neuem fusioniert.

Die Bühnenshows sind dafür bekannt, besonders dramatisch zu sein, mit spektakulären Überraschungsmomenten, großen Figuren, Tänzern, die sie beim Wechsel des Beats durch die Luft fliegen lassen. Choreografiert wird gemeinsam, alle bringen unterschiedliche Qualitäten mit. So sind Profis aus dem Bereich Breakdance dabei, die in Einzelparts aus der Show ausbrechen, oder Locking-Choreografien, einem eigenen HipHop-Stil, wo die Gruppe zu einem großen, gemeinsam tanzenden Körper wird. Jeff erschafft dabei die Gesamtkomposition, die „großen Bilder“, wie er es nennt, die den Zuschauenden in Erinnerung bleiben.

„Meine Tanzgruppe wurde meine Zuflucht“

Für Jeff ist die Geschichte dieser Gruppe und sein Bezug zum Tanzen hoch emotional. 1984 wird er auf den Philippinen geboren, seine Familie migriert nach Deutschland, angeworben von einem Programm für philippinische KrankenpflegerInnen. „Wir Filipinos wachsen mit Musik auf, auch in der Kirchengemeinde wird viel gesungen und getanzt“, erzählt Jeff. Seine Mutter nimmt schon früh Videos auf Kassette auf, wie er als Kind auf Familienfesten die Älteren mit seinen Tänzen unterhält. Als er einen großen Wettbewerb gewinnt, zeigt Jeffs Mutter jene VHS-Kassetten stolz herum. Dann stirbt seine Mutter. „Meine Tanzgruppe wurde meine Zuflucht“, erzählt er.

In den vier Jahren nach ihrem Tod gewinnen er und seine Gruppe jeden Wettbewerb. „Ich habe keine Ahnung, wie ich den Verlust überwunden hätte, wenn ich das Tanzen nicht gehabt hätte. Deswegen hänge ich auch so sehr an Team Re­cycled, weil ich weiß, wie viel es einem Menschen bedeuten kann, Teil einer Crew zu sein“, sagt er. Mittlerweile tanzt er nicht mehr aktiv mit, sondern leitet die Gruppe künstlerisch.

Das Ziel der Gruppe war dabei nie der kommerzielle Erfolg, sondern sich auf Meisterschaften zu beweisen. Als Team zu gewinnen. „All das hat uns finanziell nichts gebracht. Im Gegenteil: wir waren ja schon arme Schlucker und dann mussten wir noch Geld für die Outfits zahlen und die Reisen“, erinnert sich Devin, auch Teil der Gründungsgruppe.

Dass dann doch immer mehr bezahlte Jobs aus den Auftritten resultieren, ahnen sie nicht. 2013 treten sie in der ProSieben-Tanzshow „Got To Dance“ an, kommen bis ins Halbfinale, kurz darauf folgen die ersten Bookings.

Nicht alle tanzen hauptberuflich

Devin und Jeff gründen daraufhin die „TR Agency“, als Tanz­agentur, sie sehen die Chance, die Gruppe zu professionalisieren. Doch nicht alle im Team tanzen hauptberuflich, sie arbeiten parallel in ihren Jobs, es gab schon Ärztinnen, Lehrerinnen, Anwälte oder Physiotherapeuten im Team.

Christina Minz sitzt beim heutigen Training vor dem großen Spiegel im Raum und filmt einzelne Szenen für den Social Media Account von Team Recycled. Sie kommentiert die Aufstellung und ruft auch mal laut dazwischen. Sie gehört mit 23 Jahren zur jüngeren Generation von Team Recycled, wurde mit gerade mal 16 Jahren in die Gruppe aufgenommen. Wenn man Chrisi, wie alle sie nennen, nach ihren Anfängen bei Team Recycled fragt, leuchten ihre Augen. Sie tanzte schon ihr ganzes Leben, als Jeff sie fragt. „Das war eine Riesensache für mich, Team Recycled waren meine Vorbilder.“ Anlass war die HipHop-Meisterschaft in den USA, „HipHop International“ im Jahr 2018. Insgesamt reisen sie viermal mit fast 30 Personen in die USA, um sich mit der Weltliga zu messen und international gesehen zu werden.

„Der ganze Übergang von jugendlich ins Erwachsensein war für mich geprägt davon, in einer Crew zu sein.“ Für Chrisi wurde Team Recycled ein Zuhause, tänzerisch wie auch kulturell, sie ist im Team eine von vieren mit kasachischen Wurzeln.

Unvergessen bleibt der Tag, an dem Jeff sie anrief: „Wir fliegen nach Indien.“ Es geht nach Mumbai, eine große Bollywood-Produktion lässt das gesamte Team für den Film „Street Dancer 3D“ ausfliegen. Zwei weitere Filmproduktionen für Netflix folgen, mehrmals treten sie im ZDF-Fernsehgarten auf.

TänzerInnen in schwarz gekleidet bei den Proben in einem Raum

Das Training fängt an, wenn der Tanzschulenbetrieb zu Ende ist, und hört oft erst um Mitternacht auf Foto: Miriam Klingl

Das Leben in „Crews“ ist ein wesentlicher Teil von HipHop

„Die Aufnahme ins Team lief von Anfang an vor allem über Freundschaften und Kontakte der Berliner Tanzszene, mittlerweile machen wir auch Castings, um nach jungen Talenten zu suchen“, erzählt Jeff. Nachwuchs, wie der 19-jährige Kilian Brüning, der als begabter Breakdancer das Repertoire der Gruppe erweitert, mit seinen Stunts für die großen Figuren.

Jeff beschreibt jedoch auch das Dilemma, über Jahre sehr erfolgreiche TänzerInnen an besser bezahlte Jobs zu verlieren. Das Team fungiert auch wie eine Kaderschmiede für den HipHop, sein Ruf eilt ihm voraus und lockt immer neue TänzerInnen an. Und große HipHop-Crews sind seltener geworden, berichten sie übereinstimmend, dabei ist das Leben in „Crews“ ein wesentlicher Teil der HipHop-Kultur. „Wir sind aber auch stolz darauf, dass die TänzerInnen dann bei uns groß geworden sind“, sagt Jeff.

Diese Gratwanderung zwischen prägenden Freundschaften, dem Gefühl einer Familie und einer professionellen Gruppe beschäftigt Jeff und Devin, die Dynamik im Team ist hoch. „Das Crew-Leben, das ist die beste Schule. Mit so vielen unterschiedlichen Charakteren klarzukommen, zu lernen, das Ego zurückzustecken, auch mal was schlucken zu können und ein Verständnis für die anderen zu haben“, erinnert sich Devin, „das wollen wir weitergeben.“ Auch für Chrisi steht die Analogie zur Familie: „Und eine Familie kann man sich nicht aussuchen. Es ist nicht immer Friede, Freude, Eierkuchen, wir gehen durch Höhen und Tiefen. Aber wir gehen durch alles zusammen.“

Wie familiär das werden kann, zeigen zwei vom Team getaufte „Team-Recycled-Babys“, deren Eltern beide jeweils über Jahre Teammitglieder waren. Auch mehrere Geschwistergenerationen tanzen in der Gruppe, wie Duc-Han Nguyen, Teil des Choreografie-Teams, und seine kleine Schwester Truc Nhi, die zur diesjährigen Meisterschaft dazustieß.

In diesen Tagen reisen HipHop-Crews aus ganz Deutschland an. Team Recycled fühlt sich bereit. „Berlin ist für uns Pflichtprogramm. Das ist ein Heimspiel, es geht weniger darum, unser Revier zu markieren, sondern Familien und Freunde stolz zu machen“, sagt Jeff. Er hofft, dass die „Besten der Besten kommen“, denn nach Corona sei vieles jetzt erst wieder zurück, „es wird neue Gruppen geben, die werden wir dann sehen“. Und Team Recycled ist bereit, sich immer neu zu entwerfen.

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