Schlaflied ohne Theodizee

Mitten im Krieg in Kostjantyniwka, einer ukrainischen Stadt mit 70.000 Ein­woh­- ne­r:in­nen Foto: Thomas Peter/reuters

Von Oksana Maksymchuk

Du bist schönwie eine Hand erhoben zum Gruß

hinter einem Fenster, kreuz und querverklebt mit Tape, noch unversehrt

nach einer Druckwellewie ein Hauch Parfüm in den Eingeweiden der U-Bahn, wo übernächtigte Zivilisten Schutz suchen vor den Raketenangriffenwie ein Laib Brot, fest und hart,

gereicht aus einem gepanzerten Fahrzeug,von einer vermummten Person, in einer Uniform ohne Abzeichen wie ein aufgeladenes Telefon, das noch Empfang hat – darin

die Stimme eines geliebten Menschen, die widerhallt an einem fernen Zufluchtsortwie eine Stunde Elektrizität und fließend

Wasser in einer Stadt, übersät mit

Heute startet das 25. Poesiefestival Berlin, das größte Europas und eine der wichtigsten Poesieveranstaltungen weltweit. Bis zum 21. Juli performen, singen und lesen Dichter:innen und Musiker:innen an verschiedenen Orten in der Stadt: Ob in einer Neuköllner Werkstatt, auf der Insel Eiswerder, einem Zirkuszelt in Hohenschönhausen, der Marzahner Stadtbibliothek oder dem Buchengarten der Akademie der Künste. Zentraler Festivalort ist das silent green Kulturquartier im Wedding. Das Programm reicht von Lesenächten, nachmittäglichen Poesiegesprächen bis zu Abendveranstaltungen mit gesellschaftspolitischen Themen wie Writing Class, Writing Identities, Writing Histories und Writing Change. Am finalen Festivalwochenende eröffnet ein Lyrikmarkt mit kostenlosen Lesungen und Workshops im Freien.

Die Autorin Oksana Maksymchuk – von der das Gedicht auf dieser Seite stammt – ist 1982 in Lemberg (Ukraine) geboren und aufgewachsen, ist ukrainisch-amerikanische Dichterin, Wissenschaftlerin und Literaturübersetzerin. Sie hat mehrere preisgekrönte Gedichtbände veröffentlicht und herausgegeben. Derzeit unterrichtet Maksymchuk kreatives Schreiben an der University of Chicago.

Die Lesung Oksana Maksymchuk wird gemeinsam mit Marianna Kijanowska, einer weiteren ukrainische Dichterin, die über Gewalt und Krieg schreibt, auftreten. (Dienstag, 16. Juli, 17.30 Uhr, Atelierraum, Tickets 7 Euro). Die Veranstaltung wird ukrainisch-deutsch gedolmetscht. Das gesamte Programm ist unter www.poesiefestival.org zu finden. (mfr)

staubigen Rucksäcken und Zelten

einer lärmenden fremden Armee

Aus: „Still City. Diary of an Invasion“, Carcanet Press 2024; aus dem Englischen übersetzt von Matthias Kniep