Nach dem EM-Aus: Die Ossis Italiens haben’s geahnt

Was passiert mit einer EM, wenn das eigene Team früh raus ist? Im süditalienischen Dorf ist man nicht überrascht.

Zwei weiblich gelesene italienische Fans in Trikots, mit geschminkten Nationalfarben und Kreuzketten

Das Kruzifix sitzt, aber der Blick ist skeptisch: italienische Fans Foto: Emmanuele Contini/Imago

Es war schnell vorbei mit den Flaggen in meiner italienischen Nachbarschaft. Kaum gegen die Schweiz ausgeschieden, hat die Öffentlichkeit aufgeräumt mit dem Turnier. Wörtlich über Nacht sind die Trikolore an den Häusern runtergenommen worden, und sowieso waren sie erst zum Vorrundenfinale dort gelandet, und auch nicht besonders viele. Siegen tut man gemeinsam, verloren hat das Team allein; darin stehen die Ita­lie­ne­r:in­nen den Deutschen in nichts nach.

Was wird mit so einem Turnier, während das eigene Team längst im Urlaub sitzt? Der Schock saß nicht besonders tief im süditalienischen Apulien, denn der Optimismus hielt sich in meiner Nachbarschaft eh in Grenzen. Was diese italienische Gurkentruppe alles nicht kann, ahnten viele schon, bevor auch Deutschland es sah. Eine „Squadretta“ nannte ein Nachbar die Squadra vor Turnierstart, eine unschmeichelhafte Miniatur. „Außer Donnarumma haben wir niemanden. Und Donnarumma allein kann es auch nicht retten.“ Recht hatte er wohl.

Echte Typen und Straßenfußballer alter Schule würden fehlen, nun ja, manche Dauerdiskurse sind offenbar international. Auch die Supermärkte waren in der Werbeschlacht eher zurückhaltend. Das Aus habe ich in einer Art Co-Watching verfolgt: zu Anfang, in der Halbzeit und am Schluss ein paar verständnisvolle Gesten über die Gartengrenze. Für das italienische Ende hatte der Nachbar nur einen Satz übrig: „Was für eine Scheiße.“ Und danach? Nach der Scheiße, nach dem Ende?

Rund ums Ausscheiden der Italiener haben deutsche Texte die übliche Analyse wiederholt: Dass sie das Nationalelf-Fansein eben nicht draufhätten, die Italiener:innen. Kein organisierter Support, der heimische Klubfußball als König, der Campanilismo, das gute alte Buzzword Kirchturmpolitik also, demzufolge hier nur das eigene Dorf zählt. Vieles daran ist wahr. Aber aus süditalienischer Sicht eben nicht alles. Wir sind ja quasi die Ossis Italiens, hier unten am Absatz des Stiefels ist spitzenfußballerisch wirklich nichts los.

Fast alle Großklubs im Norden

Alle Großklubs sitzen im Norden, außer natürlich Napoli, dem angeblichen Stern des Südens, aber bitte, nach dahin sind es vier Stunden Autofahrt. Von Neapels Meisterschaft fühlt man sich in Apulien ungefähr so repräsentiert wie in Rostock von einem Pokalsieg von RB Leipzig. Sympathien gibt es im Ort eher für Juventus oder AS Rom.

Und kommen Sie jetzt nicht mit der US Lecce, deren letzter internationaler Schlagzeilenerfolg der Kopfstoß von nun Ex-Trainer Roberto D’Aversa gegen einen Spieler war. Was bleibt also fußballerisch übrig, außer das Nationalteam anzufeuern? Zweite Garde? Nein, die EM-Zeit ist die wahrscheinlich einzige Zeit, wo Fußballgucken hier am Südzipfel wirklich groß ist.

Die Bindung zur Nationalelf bleibt dabei ironisch-flexibel wie zu Italien selbst. Aufm Land ist das meiste weit weg oder suspekt, inklusive allzu großer Dramatik. Der Abschied der italienischen Elf hat die EM aus dem Dorfbild getilgt, aber nicht von den Bildschirmen. Nachbarn gucken recht gelassen weiter.

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Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum, Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen zum Beispiel im Fußball und übers Reisen. 2018 erschien ihr Buch "Wir sind der Verein" über fangeführte Fußballklubs in Europa. Erzählt von Reisebegegnungen auch auf www.nosunsets.de

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