Netlix-Serie „Supacell“: Superhelden mit Mietschulden

Vom prekärem Leben in London, Rassismus und Menschen, die plötzlich über Superkräfte verfügen, erzählt die Netflix-Serie „Supacell“.

Tosin Cole in einer Szene der Serie "Supacell"

Der Paketbote Michael (Tosin Cole) hat in „Supacell“ nach einer Nahtod­erfahrung plötzlich übernatür­liche Fähig­keiten Foto: Netflix

Als der Londoner Paketbote Michael (Tosin Cole) auf der Straße von einer Jugendgang bedroht wird und es zum Streit kommt, zieht ein Angreifer ein Messer und rammt es ihm in den Bauch. Einen Augenblick später wird der sterbende Michael plötzlich nur ein paar Minuten in die Vergangenheit zurück teleportiert, weiß erst nicht, was da los ist, erlebt diesen mörderischen Augenblick des Messerangriffs noch einmal, verhält sich diesmal defensiv und überlebt. Was ist da passiert?

Was tun mit diesen Superkräften? Sich persönlich bereichern oder für andere einsetzen?

Die Handvoll junger schwarzer Menschen aus Südlondon, die in der Netflix-Serie „Supacell“ verblüfft feststellen, dass sie plötzlich über Superkräfte von Zeitreisen über Telekinese bis Blitze schleudern verfügen, kommen sonst eher schlecht mit ihrem Alltag in der britischen Metropole zurecht.

Krankenschwester Sabrina (Nadine Mills) kämpft um eine Beförderung und muss sich stattdessen die rassistischen Kommentare von Patienten anhören. Der vorbestrafte Andre (Eric Kofi-Abrefa) verliert seinen Job im Call-Center und schafft es kaum, die Alimente für seinen jugendlichen Sohn zu bezahlen, der auf die schiefe Bahn zu geraten droht. Rodney (Calvin Demba) vertickt Marihuana und bekommt Stress mit seinem Lieferanten. Und der junge Tazer (Josh Tedeku) kommt fast bei einer Massenschlägerei in einem Jugend-Gang-Krieg ums Leben.

Der flott inszenierte Science-Fiction-Sechsteiler des 35-jährigen Hip-Hoppers und Filme­machers Rapman (Andrew Onwubolu) erzählt eine Superheldengeschichte der etwas anderen Art aus dem schwarz geprägten Südlondon. Im Gegensatz zum üblichen Superhelden-Genre à la Marvel oder DC gibt es hier keine lächerlichen Ganzkörperanzüge, Celebrity-Status für Menschen mit übernatürlichen Fähigkeiten oder selbstgerechtes Sich-auf-die-Schulter-Klopfen, weil wieder mal die Welt gerettet wurde.

Sichelzellenanämie

Die Helden in „Supacell“ sind prekär lebende Menschen, die fortwährend um ihren sozialen Status und gegen Alltagsrassismus kämpfen, mit Mietzahlungen im Rückstand sind oder unter enormen Druck stehen, weil ihre Eltern allesamt an Sichelzellenanämie leiden. Diese Erbkrankheit ist hauptsächlich in schwarzen Communitys verbreitet und seit Jahren wird vor allem in den USA politisch um den Zusammenhang von mangelnder Forschung zu dieser Krankheit, der schlechten Gesundheitsversorgung für schwarze Menschen und strukturellen Rassismus gestritten.

In „Supacell“ produziert die sonst so schreckliche Erbkrankheit für einige wenige schwarze Menschen Superkräfte. Kein Wunder, dass eine staatliche Stelle diese bald repressiv überwacht und einige mit Superkräften sogar wegsperrt.

Was tun mit diesen Superkräften? Sich persönlich bereichern oder für andere einsetzen? Das ist bald die zentrale Frage. Sonst funktioniert die Serie nach altbekanntem Fantastik-Schema, wie etwa auch „Stranger Things“. Die vereinzelten Helden müssen einander erst finden, um kollektiv gegen die gemeinsame Bedrohung zu kämpfen, in diesem Fall eine staatliche Stelle, geleitet vom fiesen Technokraten Ray (Eddie Marsan).

Schicke Restaurants, abgerissene Fabrikhallen

Dabei entwirft die Serie ein faszinierendes soziales und kulturelles Panorama schwarzer und jamaikanischer Communitys rund um den Londoner Stadtteil Brixton, mit HipHop, Soul und Popmusik. Es geht in Bars und Clubs, in urbane Brachen, wo Jugendgans aufeinander losgehen, in halb abgerissene Fabrikhallen, wo mit Drogen gehandelt wird, aber auch in ein schickes Restaurant, wo Michael seiner Geliebten Dionne (Adelayo Adedayo) mit viel Sehnsucht nach bürgerlicher Normalität einen Heiratsantrag macht.

Serienmacher Rapman, dessen Debütfilm „Blue Story“ (2019) eine Gangsta-Rap-Geschichte aus Südlondon erzählt, hat das Skript zu „Supacell“ geschrieben wie auch Regie geführt.

Gegenüber BBC äußerten sich mehrere Schauspieler ungemein positiv über das Projekt, bei dem nicht nur vor, sondern auch hinter der Kamera fast ausschließlich schwarze Menschen arbeiteten. Man darf gespannt sein, ob die von der englischen Kritik gelobte Serie fortgesetzt wird. Sie endet mit einem Cliffhanger. Die Kämpfe der schwarzen Superhelden könnten noch weitergehen.

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