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Erzwungene Kooperation mit dem NS-Regime

Eine Bremer Tagung ergründet, wie die Holocaust-Geschichtsschreibung mit falschen Kollaborationsvorwürfen gegen Jüdinnen und Juden umging

Von Frauke Hamann

Zwei Männer erlebten Fürchterliches. Carl Katz (Jg. 1899, aus Osterholz-Scharmbeck) lebte in Bremen, Philipp Auerbach (Jg. 1906) stammte aus Hamburg. Katz gründete einen Altwaren-Großhandel. Der Drogist Auerbach trat in die väterliche Im- und Exportfirma ein. Weil beide Juden waren, bedrohte die NS-Herrschaft ihre Existenz. Sie durchlitten Jahre in Konzentrationslagern. Katz wie Auerbach wollten – anders als die meisten Davongekommenen – nach 1945 wieder heimisch werden in Deutschland. Doch dann bezichtigte man sie der Kollaboration mit dem NS-Regime.

Wie blickt(e) die Historiographie auf das, was Katz und Auerbach widerfuhr, wie zeitgebunden sind zeitgeschichtliche Deutungen? Danach fragte jetzt die Bremer Konferenz „Carl Katz und andere: Falsche Kollaborationsvorwürfe gegen Juden in der Holocaust-Geschichtsschreibung“. Tagungsleiter Cornelius Torp, Historiker an der Universität Bremen, benannte den Fokus der Konferenz: Wie haben His­to­ri­ke­r:in­nen damals wie heute die Anschuldigungen gegen Katz und Auerbach eingeordnet? Reproduzieren oder tradieren sie die fälschlich erhobenen Anwürfe gegen NS-Opfer, und wirken dabei antisemitische Deutungsmuster?

Die Nazis machten den Kaufmann Carl Katz, der auch Vorsitzender der jüdischen Gemeinde war, zum Leiter der Bremer Zweigstelle der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland. Unter Zwang wirkten die jüdischen Gemeinden mit bei den Deportationen, auch Katz und Auerbach. Katz organisierte die Deportation Bremer Jü­d:in­nen ins Ghetto Theresienstadt und kam selber 1942 mit seiner Familie dorthin. Auerbach durchlitt Auschwitz und Buchenwald. Von der SS als „Funktionshäftlinge“ eingesetzt, versuchten sie, unter unmenschlichen Bedingungen zu helfen.

„Das unbeabsichtigte, aber faktische Mitwirken an der Durchführung der Deportationen war ein Dilemma, und es war von den Nationalsozialisten wohl kalkuliert“, sagte Philipp Dinkelaker von der Europa Universität Viadrina in Frankfurt/Oder. In den 1950er-Jahren dominierte die Haltung, Jü­d:in­nen hätten jede Beihilfe verweigern müssen. Diese „Erwartung der Selbstaufopferung“, so Dinkelaker, galt nicht gegenüber den Tätern. Die reklamierten für sich einen Befehlsnotstand. Mit diesem „doppelten Standard“ hätten sich die Täter ein gutes Gewissen verschafft – zulasten der Opfer. Während der Nachkriegsjahre lebten die Menschen zwischen Trümmern, bei schmaler Kost, der harte Alltag hatte Vorrang. Da galten die NS-Opfer wenig, wurde von der eigenen Täterschaft abgelenkt, und der Kollaborations-Vorwurf fiel auf fruchtbaren Boden.

Carl Katz baute nach der Rückkehr 1945 das vom NS-Regime arisierte väterliche Unternehmen wieder auf. Auch wurde er wieder Vorsitzender der jüdischen Gemeinde. Der Neubau der Bremer Synagoge war entscheidend sein Verdienst. Doch andere jüdische Überlebende beschuldigten ihn, Menschen in die Deportation und Vernichtung getrieben, sich Vorteile verschafft zu haben. Ein vormaliger SS-Mann bezichtigte ihn der Kollaboration mit dem NS-Regime.

Auerbach wiederum ließ sich in München nieder. 1946 wurde er bayerischer „Staatskommissar für rassisch, religiös und politisch Verfolgte“, dann Präsident des bayerischen Landesentschädigungsamts. Er organisierte Versorgung, Beratung und Entschädigung von NS-Verfolgten, verhalf über 80.000 Holocaust-Überlebenden zur Auswanderung. Doch 1952 machte man ihm den Prozess wegen Betrugs und Unterschlagung.

In seinem Vortrag über ­Philipp Auerbach hob der Sachbuch-Autor Karl-Hermann Klare hervor, dass ehemalige Nazi-Juristen in München über Auerbach zu Gericht saßen: „Auerbach war der Protagonist einer Zumutung.“ Den Deutschen galt der prominente, durchsetzungsstarke Mann als „Störenfried“, erinnerte er sie doch an ihre Verbrechen als Mitwisser oder Mittäter.

Ein Begriff wie „Helfershelfer“ mache die NS-Opfer noch nachträglich zu Komplizen des Regimes

Vom „Mythos der Kollaboration“ als Entlastungs-Narrativ sprach Frank Mecklenburg, Forschungsdirektor des New Yorker Leo Baeck Instituts. Diese „Schuld-Konstruktion setzt Täter und Opfer gleich, als seien alle Täter und alle Opfer gewesen.“ Ein Begriff wie „Helfershelfer“ mache die NS-Opfer noch nachträglich zu Komplizen.

Die Anschuldigungen gegen Carl Katz hätten sich als unhaltbar erwiesen, wie die Bremer Publizistin Sabine Pamperrien betonte. Doch in der Historiographie lebten sie fort. Das Standardwerk der Hamburger Historikerin Beate Meyer „Tödliche Gratwanderung. Die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland zwischen Hoffnung, Zwang, Selbstbehauptung und Verstrickung“ (2011) enthalte indifferente Aussagen zum Fall Katz. Das deute auf mangelnde Recherche hin, sagte Pamperrien, die bald ihre Widerlegungen veröffentlichen will.

An der Bruchstelle zwischen NS-Diktatur und junger Bundesrepublik herrschten skandalisierende Diffamierung, die Verleumdung der Opfer, der Selbstentlastung der Nachkriegsgesellschaft. Wie nun aus historischem Abstand ein Zwangssystem analysieren, das Opfer in unmenschliche Taten verstrickte? Die Tagung zeigte die Zeitgebundenheit zeithistorischer Arbeiten zur NS-Kollaboration. Vor allem sensibilisierte sie dafür, wie sehr das jeweilige gesellschaftliche Klima auf die Historiografie ausstrahlt.

Die Ermittlungen gegen Carl Katz wurden eingestellt, er starb 1972 hoch geehrt. Philipp Auerbach, 1952 wegen unvollständiger Buchführung und unberechtigtem Führen eines Doktortitels zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt, nahm sich das Leben. 1954 wurde er rehabilitiert.

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