30 Jahre nach AMIA-Anschlag: Gericht verurteilt Argentinien

85 Tote forderte das Attentat auf eine jüdische Organisation. Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte hat nun eine staatliche Mitschuld festgestellt.

Vogelperspektive auf ein eingestürztes Haus. In den Ruinen befinden sich eine Menge Menschen, die versuchen, Überlebende zu bergen

Eine Vielzahl an Rettungshelfern suchte nach dem Anschlag auf die jüdische Gemeinde AMIA am 18. Juli 1994 nach Überlebenden in den Trümmern des eingestürzten Gebäudes Foto: Eduardo Novone/dpa

BUENOS AIRES taz | 30 Jahre nach dem Anschlag auf das Gebäude der AMIA hat der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte (Corte IDH) Argentinien wegen Verletzung der Sorgfaltspflicht und Vertuschung verurteilt. „Dieses Gericht kommt zu dem Schluss, dass der Staat einen schwerwiegenden Verstoß gegen seine Pflicht zur Untersuchung eines der größten Terroranschläge in der Geschichte der Region begangen hat“, heißt es in der Urteilsbegründung.

Bei dem Bombenanschlag am 18. Juli 1994 auf das Gebäude der jüdischen Hilfsorganisation im Zentrum von Buenos Aires waren 85 Menschen getötet, 300 verletzt und mehr als 400 umliegende Wohnungen und Geschäfte zerstört oder beschädigt worden. Es ist der blutigste Terrorakt, der je in Argentinien verübt worden ist. Bis heute hat sich niemand des Anschlags bezichtigt.

Die Ermittlungen wurden von einer Serie von Pannen, Ungereimtheiten und dem wiederholten Auswechseln von Ermittlern, Staatsanwälten und Richtern begleitet. Für den Anschlag selbst wurde niemand verurteilt. Die Reihe der Verdächtigen reicht von Iran, Syrien und der libanesischen Hisbollah bis zu deren Helfern und Helfershelfern in Argentinien selbst.

Das Gericht macht den argentinischen Staat einstimmig dafür verantwortlich, dass er keine angemessenen Maßnahmen zur Verhinderung des Anschlags ergriffen und sich an dessen Vertuschung beteiligt hat, anstatt sich um die Aufklärung zu bemühen. Er wies den argentinischen Staat an, alle Hindernisse zu beseitigen, die einer Aufklärung im Wege stehen. So stehe die Geheimhaltung der Informationen der Geheimdienste im klaren Widerspruch zum in der amerikanischen Menschenrechtskonvention verankerten Recht auf Informationen.

„Das Versäumnis des Staates, seine Ermittlungspflicht zu erfüllen, die ungerechtfertigten Verzögerungen im Verfahren und allgemein die fehlende Aufklärung und die Situation der Straflosigkeit haben bei den Familien der Opfer Gefühle der Angst, Trauer und Frustration hervorgerufen,“ so das Gericht. Es verurteilte Argentinien zu einer Entschädigung der Angehörigen der Opfer und zur Anerkennung seiner Verantwortung bei einem öffentlichen und internationalen Akt.

„30 Jahre nach dem Anschlag auf die AMIA endlich ein Urteil zur Wiedergutmachung“, schrieb die Gruppe der Angehörigen und Freunde der Opfer „Memoria Activa“ auf der Plattform X. Das Urteil zeige, „dass Gerechtigkeit ein knappes Gut ist, aber dass es sie gibt, und dass 30 Jahre ungleicher Kämpfe es wert sind, ein bisschen weniger Straflosigkeit zu haben, wie klein die Strafe auch sein mag“, hieß es dort weiter.

„Memoria Activa“ hatte die Beschwerde gegen den argentinischen Staat im Juli 1999 bei der Interamerikanischen Menschenrechtskommission eingereicht. 2019 stellte die Kommission die Verantwortung des argentinischen Staates fest, weil er es versäumt hatte, den Anschlag zu verhindern, obwohl er über die entsprechenden Informationen verfügte. Im Januar 2024 erließ der Corte IDH das Urteil, das am Freitag veröffentlicht wurde. Die Kommission und der Gerichtshof sind der 33 Mitglieder zählenden Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) unterstellt und haben ihren Sitz in der Hauptstadt Costa Ricas, San José.

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