MannSein-Event: Kuscheln, Eisbaden & Brusttrommeln

Auf Europas größtem Männer-Event tauschen sich in Berlin am Wochenende Männer über das „Mannsein“ aus. Es wird gekuschelt, gekämpft und eisgebadet.

Maori, die den Haka tanzen

Auf der MannSein tanzen Männer grölend und brusttrommelnd den Maorischen Kriegertanz Haka Foto: Lineair/Ullstein

BERLIN taz | Wann ist ein Mann ein Mann? Wenn er empathisch und sanft ist? Stark und kriegerisch? Oder, wie Herbert Grönemeyer singt, „baggert wie blöde“? Diese Frage beschäftigt nicht nur den Bochumer Musiker. Sie beschäftigt auch die rund 350 Männer, die sich an diesem Wochenende in den Tegeler Seeterrassen zur diesjährigen „MannSein“, dem größten Männer-Event Europas, versammeln. In Vorträgen und Workshops, Kuschel- und Kampfgruppen, beim Eisbaden und Haka-Tanzen suchen sie gemeinsam nach Antworten.

Seit 2014 wird das Event jährlich von „MalEvolution“ organisiert, eine Art moderner Männerbund, gegründet von dem Berliner Männercoach John Aigner. Zwei Tage lang referieren Väter- und Männerrechtler, Männercoaches und Männerpsychologen (darunter auch Schauspieler von „Berlin Tag und Nacht“) über „Männerthemen“: „Wie dein Sohn von deiner Männlichkeit profitiert“ oder „Was ich von meinem Vater gebraucht hätte“, lauten einige der Vortragstitel. Ein Presseticket bekommt die taz auf Anfrage nicht. Das Event sei für die Teilnehmer „sehr intim“.

„Männer leiden sehr darunter, dass das bisherige Männerbild zusammengebrochen ist und ihnen noch nicht gelungen ist, ein Bild des zukünftigen Mannes aufzubauen“, erzählt einer der Redner, Gerald Hüther, der taz. Er beobachte mit Sorge, dass die Autonomie des Mannes verloren gehe. Männer folgten nicht mehr ihrer Intuition, sondern probierten lediglich den Erwartungen der Partnerin gerechtzuwerden. „Das fängt beim Vegan sein an und hört beim Windelwickeln auf.“ Mit seinem Vortrag auf der MannSein möchte er Männern in dieser „komplizierten Übergangsphase“ eine Gelegenheit bieten, sich besser zurechtzufinden.

Hüther ist Neurobiologe und Autor des Buches „Das schwache Geschlecht und sein Gehirn“. Demzufolge sind nicht etwa die Frauen schwach, nein, es sind die Männer. Warum? Ihnen fehlt das zweite X-Chromosom. Daher seien sie konstitutionell schwächer als Frauen, weil sie von Anfang an „nach Halt“ suchten.

Die „weiblichen Fähigkeiten“ könne man von Frauen erlernen, die mit dem weiblichen Pol auf natürliche Weise verbunden seien, glaubt ein weiterer Redner, Männercoach Ansgar Schmitz. Gleichberechtigung könne jedoch nur entstehen, wenn die Frau in ihrer „weiblichen Energie“ und der Mann in seiner „männlichen Energie“ klar verankert sei.

Kein beabsichtigter Antifeminismus

Die Männer, die sich hier versammeln, sind keine bekennenden Antifeministinnen: Schmitz spricht über die Bedeutung von Gleichberechtigung, Hüther von einer „neu überdachten Emanzipationsbewegung nicht als Mann oder Frau, sondern als Mensch“. Männer sollen Zärtlichkeit zeigen, Sorgen und Ängste teilen. Klingt nicht verkehrt, wäre es nicht dieselbe Konferenz, auf der Männer grölend und brusttrommelnd den Haka (Kriegertanz der Maori) tanzen, auf dem „Männerspielplatz“ „Kräftemessen, Rangeln und Boxen“ und ihre „männliche Energie beim Baden in rund 300 Kilogramm Eis aktivieren“.

Gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht, findet auch Männerpsychologe Björn Süfke. Vor zwei Jahren hielt er auf der MannSein einen Vortrag, er würde jedoch „niemals wieder dort auftreten“, sagt er der taz. „Statt an einer Überwindung von Geschlechterstereotypen zu arbeiten, wurden dort Stereotype verstärkt, wenngleich nicht immer in böser, sondern oft einfach naiver Absicht.“ Es seien vor allem Redner aufgetreten, die „eine Stärkung des Maskulinen“, oder eine „Besinnung zur Männlichkeit“ propagierten.

Auch Männlichkeitsforscher Christoph May kritisiert MannSein als eine „maskulistische, antifeministische Veranstaltung“. Dass Männer sich Orientierung verschaffen wollen, sei nicht verwerflich. In den vergangenen Jahren seien auf dem Event jedoch Vorträge von Pick-up Artists, Väterrechtlern und Maskulinisten gehalten worden, in denen die Frau als Sexobjekt gehandhabt wird. Durch Rituale, wie gemeinschaftliches Knurren und sich auf die Brust trommeln, reproduzierten sie ein archaisches Männerbild.

Zudem werde der Diskurs emotional, nicht wissenschaftlich geführt. „Es geht kaum um Strukturen, sondern nur um Emotionen. Wörter, wie Patriarchat und Feminismus werden nicht in den Mund genommen“, sagt May. Das größte Problem sieht er in dem Ausschluss von Frauen. Im Patriarchat brauche es keine Räume ausschließlich für Männer, „vielmehr braucht es Interesse und Bewusstsein für die gewaltvollen und sexistischen Lebensrealitäten von Frauen und Queeren“.

Maskulinistische Angebote in Berlin

Auch außerhalb des Events tendieren die Angebote der Veranstalter und Redner zu Maskulinismus und Antifeminismus. MannSein-Initiator John Aigner veranstaltet in Berlin das ganze Jahr über Männerworkshops und -coachings mit dem Versprechen, dadurch ein „potenter, selbstbewusster Mann mit Lebensvision, einem erfüllten Sex- und Liebesleben sowie männlicher Führungsstärke“ zu werden. Teil des Netzwerkes „MalEvolution“ sind auch die Berliner Männerblogger Sven Philipp und Martin Rheinländer, die in ihrem Blog und Youtube-Kanal „Männlichkeit Stärken“ Männern Tipps geben, wie sie Frauen ansprechen, ins Bett bekommen oder die Ex-Freundin zurückgewinnen.

Kann es eine Konferenz geben, bei der es um das „Mannsein“ geht, die nicht kritisch zu bewerten ist? Ja, glaubt May: „Wenn sie sich an alle Geschlechter richtet, das Programm sich für die Lebensweltlichkeiten von Frauen und Queeren interessiert und sowohl im Publikum als auch dem Podium alle Geschlechter vertreten sind.“ Zudem müsse über Strukturen gesprochen und der Fokus auf Wissenschaft, nicht auf Emotionen gelegt werden.

„Der Emotionsdiskurs ist ein Abwehrdiskurs, wenn er nur unter Männern stattfindet und die Strukturen außer Acht lässt“, sagt der Männlichkeitsforscher. „Dann können die weinen, ringen, reden und kuscheln so viel sie wollen, das Männerbündische wird sich dadurch nur weiter bestärken.“

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