Nach den Wahlen in Südafrika: Gnu-Jagd am Kap
Am Freitag tritt Südafrikas neugewähltes Parlament erstmals zusammen. Der ANC hat keine Mehrheit mehr – wie es weitergeht, ist offen.
Stattdessen erleben sie einen Krieg der Worte zwischen rivalisierenden Parteien, von denen sie eigentlich erwarten, gemeinsam die riesigen Probleme des Landes zu lösen.
Am Freitag tritt das neugewählte Parlament erstmals zusammen und die 400 Abgeordneten werden eingeschworen, um die siebte Legislaturperiode des demokratischen Südafrika einzuläuten. Sie müssen dann als erstes den Staatspräsidenten und den Parlamentspräsidenten wählen. Südafrikas Oberster Richter Raymond Zondo hat bekräftigt, dass dies bei der Eröffnungssitzung in Kapstadt tatsächlich passieren soll.
Aber Unsicherheit hängt über dem Prozedere, nachdem die neue Partei MK (uMkhonto weSizwe – Speer der Nation) des vom regierenden ANC abgespaltenen Expräsidenten Jacob Zuma geschworen hat, es zu blockieren.
Erzfeinde wie Katz und Maus
Zuma und Zondo sind Erzfeinde. Zondo leitete die juristische Untersuchung, deren Arbeit 2021 zur Verhängung einer Haftstrafe gegen Zuma führte, nachdem er sich weigerte, vor Gericht zu den Korruptionsvorwürfen gegen ihn aus seiner Amtszeit 2009-18 auszusagen.
Nun hat Zuma mit seiner neuen Partei MK auf Anhieb bei den Wahlen fast 15 Prozent geholt und den regierenden ANC (African National Congress) um seine absolute Mehrheit gebracht. Vor Gericht klagt die MK gegen angebliche Wahlfälschung, weil sie noch mehr Stimmen beansprucht. Und die 58 MK-Abgeordneten wollen die Parlamentseröffnung boykottieren. Einige kleinere Parteien könnten sich dem Boykott anschließen.
Laut Verfassung muss mindestens ein Drittel der Abgeordneten anwesend sein, damit das Parlament beschlussfähig ist, also mehr als 133 der 400 Parlamentarier. Das dürfte kein Problem sein, aber der MK-Boykott wirft seinen Schatten voraus. Das Parlament hat bereits alle Arrangements für Transport und Unterkunft der gewählten MK-Abgeordneten abgesagt.
Auch wenn die Parlamentssitzung korrekt eröffnet wird, ist noch lange nicht klar, dass sie Südafrika eine neue Regierung beschert. Zum ersten Mal hat der seit 1994 regierende ANC keine Mehrheit mehr, da er nur noch rund 40 Prozent der Stimmen bekam. Er braucht Mehrheitsbeschaffer.
Auf der Suche nach Koalitionspartnern
Die aussichtsreichste Koalitionsoption ist ein Bündnis des ANC mit der zentristisch-liberalen größten Oppositionspartei DA (Democratic Alliance), die 22 Prozent der Stimmen bekam. Das wird wird von Teilen des ANC und breiten Schichten der schwarzen Bevölkerung abgelehnt, weil die DA teilweise aus der einstigen weißen Apartheidpartei NP (National Party) hervorgegangen ist. Die Alternative eines ANC-Bündnisses mit der linksextremen Oppositionskraft EFF (Economic Freedom Fighters), die bei 9,5 Prozent landete, hat Schockwellen durch Südafrika gesendet, da das einen scharfen Politikwechsel bedeuten würde.
So wirbt der ANC jetzt für eine Regierung der Nationalen Einheit (GNU). Die gab es bereits unter Südafrikas erstem demokratisch gewähltem Präsidenten Nelson Mandela. Nach seiner Wahl 1994 saßen bis 1997 Vertreter anderer Parteien, darunter die vorherige Apartheidpartei NP (National Party), mit in der Regierung, um den Übergang von der weißen Minderheitsherrschaft zur Demokratie unter schwarzer Führung inklusiv zu gestalten.
Doch damals war der ANC geeint und Mandela verkörperte die Einheit der gesamten Nation. Heute ist der ANC zerrissen und Präsident Cyril Ramaphosa gilt als Spalter. Die Suche nach Koalitionspartnern für den ANC ist unter anderem daran gescheitert, dass einige Anwärter Ramaphosas Rücktritt als Preis für eine Beteiligung an einer ANC-geführten Regierung nannten und der ANC das ablehnte. Auch die MK hat dies gefordert, denn Ramaphosa und Zuma sind tief verfeindet, vor allem seit Ramaphosa 2017-18 für Zumas Sturz erst als ANC-Führer und dann als Staatspräsident sorgte.
Tiefe Gräben in der Außenpolitik
Die Idee einer Regierung der Nationalen Einheit hingegen steht vor dem Problem, dass die EFF nicht will, dass DA als Partei von „Landdieben“ in der Regierung sitzt. „Wir setzen uns nicht neben Leute, die lange von Kolonialismus und Apartheid profitiert haben“, sagte EFF-Vizepräsident Floyd Shivambu. DA-Führer John Steenhuisen hat in der Vergangenheit EFF als „Staatsfeind Nummer Eins“ bezeichnet.
Tiefe Gräben gibt es auch in der Außenpolitik. EFF und ANC werfen Israel Völkermord in Gaza vor, DA gilt als israelfreundlich. Die DA ist insgesamt prowestlich, während Südafrikas ANC-Regierung das BRICS-Bündnis mit den größten Schwellenländern sowie Russland und China pflegt.
Für EFF ist die ANC-Option einer Regierung der Nationalen Einheit ein Zeichen von „Arroganz“, wie die Partei erklärte. „Ihr könnt nicht diktieren, wie es weitergeht, als hättet ihr die Wahlen gewonnen“, schimpfte EFF-Führer Julius Malema, an den ANC gerichtet. Insofern ist eine funktionierende Regierung der Nationalen Einheit schwer vorstellbar. Und Südafrikas politische Zukunft erscheint völlig offen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Die Wahrheit
Der erste Schnee
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen