Audre Who?

Am Freitag wird in Kreuzberg offiziell die Audre-Lorde-Straße eingeweiht. Es ist ein weiterer Schritt auf dem langen Weg von einer weißen, patriarchal geprägten hin zu einer inklusiveren städtischen Erinnerungskultur

Die Dichterin, Autorin und Aktivistin Audre Lorde in den 1970er Jahren – vor ihrer Zeit in Berlin Foto: CSU Archives/Everett Collection/picture alliance

Von Lilly Schröder

Wen gilt es zu würdigen: eine „Schwarze, Lesbe, Feministin, Mutter, Dichterin und Kriegerin“ oder einen weißen Antiliberalisten und Demokratiegegner? Audre Lorde oder Otto von Manteuffel? Der wenig entscheidungsfreudige Beschluss des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg lautete: Halb-halb. Das Ergebnis: Ein Teil der Manteuffelstraße wird zur Audre-Lorde-Straße.

Das soll nun gebührend gefeiert werden: Am Freitagnachmittag begeht der Bezirk die Umbenennung des nördlichen Teils der Manteuffelstraße zwischen Oranienstraße und Köpenicker Straße nach der afroamerikanischen, 1934 geborenen Bürgerrechtlerin Audre Lorde mit einem Festakt.

1984 war Lorde als Gastprofessorin für afroamerikanische Literatur zum ersten Mal nach Berlin gekommen, wo sie bis zu ihrem Tod 1992 einen Teil ihres Lebens verbrachte. Und wo sie die Afrodeutsche Bewegung entscheidend prägen sollte.

„Das Thema Rassismus war in den 1980er und 90er Jahren in Deutschland noch ein starkes Tabu“, sagt Katharina Oguntoye. Sie war eine enge Wegbegleiterin und Mitstreiterin der Aktivistin. „Man hatte die Holocaust-Diskussion und die Ausländerfeindlichkeit, aber jetzt auch noch eine Rassismus-Debatte, das wollte keiner.“ Audre Lorde habe in der Frauenbewegung die Diskussion darüber angestoßen. Sie regte Oguntoye und weitere Schwarze Frauen an, ihre Erfahrungen aufzuschreiben. Daraus ging 1986 das Buch „Farbe bekennen“ hervor, das heute als „Gründungsdokument“ der Bewegung gilt. Es ist das erste in Deutschland publizierte Buch, das Afrodeutschen, vor allem Frauen, die Möglichkeit gab, sich als nationale Gruppe darzustellen. Oguntoye ist Mitherausgeberin, so wie auch ihre Mitstreiterin May Ayim. „Wir waren überwältigt in unserem jungen Alter für eine gesamte Bevölkerungsgruppe zu sprechen“, sagt Oguntoye heute. Lorde habe sie darin bestärkt, dass ihre Geschichten wichtig für die Sichtbarkeit von Schwarzen Menschen in Deutschland seien. Die Straßenumbenennung zu ihren Ehren sei daher eine „tolle Sache“ für Berlin, die diese Aktivistin einer breiteren Öffentlichkeit bekannt macht.

Die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) hatte bereits 2019 beschlossen, eine Straße nach ihr zu benennen. Nach einer An­woh­ne­r*in­nenbefragung, bei der unterschiedliche Straßen zur Disposition standen, wählte der Bezirk den Abschnitt der Manteuffelstraße. Sie ist benannt nach dem Preußischen Ministerpräsidenten und Außenminister Otto Theodor von Manteuffel (1805–1882). Neben seiner hochkonservativen Politik war dieser vor allem für seine Feindlichkeit gegenüber dem konstitutionellen Liberalismus sowie der Unterdrückung 1848er Bewegung bekannt.

Mit der Ehrung des Demokratiefeinds soll jetzt Schluss sein. Na ja, so halb: Nur der nördliche Teil wird umbenannt, der südliche Abschnitt zwischen Skalitzer Straße und Paul-Lincke-Ufer wird weiterhin seinen Namen tragen. Warum? „Es stand gar nicht zur Diskussion, die gesamte Manteuffelstraße umzubenennen“, erklärt eine Sprecherin des Bezirksamts unumstößlich.

Bei Oguntoye stößt das auf Unverständnis. Im Bezirksamt könne ihr „kein Mensch erklären“ warum nur die halbe Straße umbenannt wird. „Das ist bürokratischer Unsinn“, kritisiert sie. Und nicht nur da holpert es: Die Umbenennung war im Amtsblatt veröffentlicht worden, von den An­woh­ne­r*in­nen hatten das viele nicht mitbekommen. Seit September 2023 heißt der nördliche Teil bereits offiziell Audre-Lorde-Straße. Bis Mai hingen dort jedoch nur die alten Straßenschilder, bei Google Maps hingegen ist sie seitdem nur unter Audre-Lorde-Straße zu finden. „Das führt zu großen Verwirrungen“, sagt Oguntoye.

Doch nicht nur das: Damit, dass der Bezirk nur einen Teil der Straße umbenennt, hat er sich weitere Probleme eingehandelt. Denn dadurch haben sich sowohl in der Audre-Lorde-Straße als auch in der verbliebenen Manteueffelstraße Nummerierungslücken bei den Hausnummern ergeben. Laut Berliner Vermessungsgesetz müssen alle Grundstücke mit einer eindeutigen Hausnummer versehen sein. Daher muss nun eine Neunummerierung durchgeführt werden, wie der Bezirk mitteilt. „Politik und Bürokratie sollen das Gemeinwesen organisieren, aber das ist eher Desorganisation“, kritisiert Oguntoye.

„Der Prozess ist nicht ganz so gelaufen, wie er laufen sollte“, räumt auch die Sprecherin des Bezirksamts gegenüber der taz ein. Statt der üblichen 12 Monate von der Abstimmung bis zur Umbenennung, vergingen bei der Audre-Lorde-Straße fast 5 Jahre.

Auch anderen Umbenennungen liefen schleppend. „Grund dafür sind in der Regel Anwohner*innen, die Einspruch gegen die Straßenumbenennungen erheben“, erklärt Christian Kopp vom Verein Postkolonial, der sich auch für Umbenennungen stark macht. In der ehemaligen M*Stra­ße in Mitte etwa liefen nach dem Beschluss der dortigen BVV Widerspruchsverfahren, An­woh­ne­r*in­nen klagten. Ähnlich war es bei Umbenennungen im sogenannten Afrikanischen Viertel, die die BVV Anfang 2018 beschlossen hatte.

Die Person Audre Lorde (1934–1992) war eine afroamerikanische Dichterin und Aktivistin, die weltweit die feministische, queere, Schwarze und BiPoC-Bewegungen inspirierte. In den 1980er Jahren lebte sie in Berlin und hatte einen zentralen Einfluss auf die Afrodeutschebewegung, besonders auf die Schwarze feministische Bewegung.

Die Veranstaltung Am Freitag, den 28. Juni wird ab 17 Uhr die Audre-Lorde-Straße in Kreuzberg sowie ein Gedenkzeichen für die Aktivistin eingeweiht. Die Veranstaltung findet in Kooperation mit „Dekoloniale Einnerungskultur in der Stadt“ statt. (lisch)

„Manche An­woh­ne­r*in­nen wollen nicht wahrhaben, dass es Schwarze Ber­li­ne­r*in­nen gibt, die lokalpolitisch mitreden und sich auch auf der Landkarte einschreiben wollen“, sagt Kopp. Einige argumentierten auch, dass der Kolonialismus nicht so schlimm gewesen sei, man „solle nicht übertreiben“.

Doch der öffentliche Raum spiegelt sowohl die städtische Erinnerungskultur als auch das damit verbundene Gesellschaftsbild wider. „Es geht um die grundsätzliche Diskussion über Kolonialgeschichte, darum, Opfer und widerständige Personen zu ehren und nicht die Verbrecher“, sagt Kopp. An der Ehrung deutscher Kolonialverbrecher hatte es in Berlin bislang nicht gemangelt: Der Lüderitz- und Nachtigalplatz, die Petersallee oder das Gröbenufer sind nur einige Beispiele – die inzwischen umbenannt sind, meist auf das Betreiben von Initiativen. Nun stehen Personen der Kolonial- oder Gegenwartsgeschichte, wie Manga Bell, Cornelius Fredericks, Anna Mugunda oder eben May Ayim auf den Schildern.

Und es gibt noch ein Ungleichgewicht: Gerade mal 10 Prozent der Straßen mit Personennamen sind nach Frauen benannt. Auch hier gibt es noch einiges zu tun.