Lyrik als Fußball-Kontrastprogramm: „Gedichte können weh tun“

Lyrik passt als kürzeste Form der Literatur zur Instagram-Aufmerksamkeit: Christoph Danne und Tina Ilse Maria Gintrowski beweisen das in Bremerhaven.

Getrocknete Landschaft mit einem Kirchenturm im Hintergrund

Katalonische Landschaft: Christoph Danne hat sie versucht, poetisch zu vermessen Foto: Eric Renom/dpa

taz: Herr Danne, Sie lesen mit Tina Ilse Maria Gintrowski in Bremerhaven Lyrik. Fühlen sie sich wohl als Kontrastprogramm zum Fußball?

Christoph Danne: Ja, total! Es ist einfach ein Alternativangebot zum Fußball, ich bin gespannt, wer es annehmen wird. Ich selbst gucke auch gerne Fußball. Aber ich schaue schon seit zehn Tagen jedes Spiel und freue mich, auch mal etwas anderes machen zu können.

Sie haben keine Angst, dass Ihnen die Leute wegbleiben?

Nein, überhaupt nicht. Wir Ly­ri­ke­r:in­nen sind da hart im Nehmen. Wir sind kleine Runden gewöhnt, manchmal lese ich vor 80, manchmal auch nur vor zehn Leuten. Ich freue mich immer über Zuhörende, aber letztlich liefern wir immer die gleiche Show ab, egal wie viele kommen.

Was bedeutet Lyrik im Jahr 2024?

Lyrik ist die kürzeste und kompakteste Form, die die Literatur zu bieten hat. In unserer schnelllebigen Welt mit Instagram-Aufmerksamkeitsspannen ist es ein passendes Format, um zu einer neuen Perspektive zu gelangen. Es sind kurze Szenen und wenig Text, die die Lesenden in ganz neue Welten eintauchen lassen. Lyrik ist nicht unbedingt zugänglicher als ein Roman, aber von Textmenge und Zeit, die investiert werden muss, viel überschaubarer. In meiner Mittagspause nehme ich immer einen Lyrikband mit. Dann trinke ich einen Kaffee und lese ein oder zwei Gedichte und klappe das Buch wieder zu. Man kann in nur wenigen Zeilen der Schönheit begegnen.

Woher kommt Ihre Inspiration?

Jahrgang 1976, ist Lyriker, Buchhändler und Verleger. Seine Texte wurden ins Spanische und Arabische übersetzt, vertont und inszeniert.

Für mich liegt die Inspiration auf der Straße. Ich bin viel unterwegs, weswegen ich mich in meinen Texten oft der Fremde widme. In meinem Band „Firnis & Revolte“ habe ich versucht, katalonische Landschaften poetisch zu vermessen, die Menschen und ihr Leben abzubilden. Es sind oft ganz kleine Szenen, die beim Kaffeetrinken oder beim Spazierengehen entstehen.

Haben Sie einen persönlichen Bezug zu dieser Region?

Ich war schon als kleiner Junge mit meinen Eltern in den Sommerferien dort. Ich kenne die Strände, Straßen und Menschen von früher und komme heute selbst mit meinen Kindern wieder dorthin zurück. Es ist ein Zufall und ich bin froh darüber. Es ist ein Stück Zuhause in der Fremde.

Ihre Gedichte haben etwas Tröstliches. Wollen Sie Ihre Le­se­r:in­nen ermuntern?

Lyriklesung: Christoph Danne und Tina Ilse Maria Gintrowski lesen aus „Firnis & Revolte“ und „Desperangsto. Love and Ich“. Sa 29. 6., 19.30 Uhr, Das Beet, Kistnerstr. 54, Bremerhaven, Eintritt frei

Das ist eine Facette, was ich mit den Le­se­r:in­nen machen möchte. Ob das klappt und wie die ­Le­se­r:in­­nen die Gedichte auffassen, stellt sich natürlich erst im Nachhinein heraus. Gedichte können trösten. Sie sind aber auch oft Erinnerungsarbeit, um eigene Dinge, die einen beschäftigen, abzuarbeiten. Gedichte können weh tun, in den Arm nehmen und schmerzlich die Realität abbilden. Je­de:r Le­se­r:in wird etwas anders darin finden.

„Firnis & Revolte“ ist Ihr elfter Gedichtband. Reicht das zum Leben?

Nein, definitiv nicht. Aber ich kann auch nicht ohne Lyrik leben. Ich bin seit etwa 20 Jahren in der Szene unterwegs und kenne nur zwei oder drei, für die diese Kunstform zum Leben reicht. Für meinen Broterwerb arbeite ich nebenher im Buchladen, das passt thematisch auch gut zusammen. Im Moment arbeite ich etwa die Hälfte der Woche dort, die andere widme ich dem Schreiben. Mein drittes Standbein ist ein kleiner Verlag, in dem ich unter anderem die Werke von Tina Ilse Maria Gintrows­ki, die auch am Samstag liest, verlege.

Würden Sie lieber nur dichten?

Wenn ich erzähle, dass mir das Schreiben von Gedichten nicht zum Leben reicht, erreichen mich oft mitleidige Blicke. Für viele ist das ein Dilemma, aber ich sehe das als die Garantie meiner künstlerischen Freiheit: Ich kann die nächsten Jahre nichts Schreiben oder alles, was ich möchte, weil ich davon nicht leben muss.

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