piwik no script img

das wird„Innerhalb einer Stunde sind zehn von ihnen hingerichtet worden“

Heute wird in Hamburg an die größte antifaschistische Widerstandsgruppe der Stadt während des Nationalsozialismus erinnert

Interview Robert Matthies

taz: Frau von Borstel, heute und in den nächsten Tagen jähren sich zum 80. Mal die Hinrichtungen von 15 ihrer Mitglieder – wer war die Bästlein-Jacob-Abshagen-Gruppe?

Heike von Borstel: Es war die größte Hamburger Widerstandsgruppe. Während des Zweiten Weltkrieges war sie mit bis zu 300 Mitgliedern in über 30 Betrieben organisiert. Darunter waren vor allem die großen Werften Blohm+Voss, die Howaldtswerke und metallverarbeitende Betriebe. Die meisten dieser Betriebe waren schon lange auf Rüstungsproduktion umgestellt worden, als sich die Gruppe gegründet hat.

Wie ist sie entstanden?

1939 kamen viele Hamburger Kommunisten direkt aus der Haft in den Konzentrationslagern. Sie waren der ersten große Verhaftungswelle 1933 zum Opfer gefallen und haben die anschließende Folter im Hamburger Stadthaus, in KZs und in Zuchthäusern überlebt. Die Anfänge lagen im KZ Sachsenhausen, wohin viele nach den Zuchthausstrafen gebracht worden waren und ohne weitere Urteile unter so genannter Schutzhaft standen. Dazu gehörten auch Robert Absagen, Bernhard Bästlein, Franz Jacob, Oskar Reincke, Hans Christoffers und viele andere. Dort haben sie sich auch ausgetauscht über Möglichkeiten für eine breite, gut organisierte Widerstandsarbeit nach ihrer möglichen Entlassung.

Konkret umgesetzt wurden die Pläne aber erst später?

Die konkrete Planung begann 1941. Da gab es eine konstituierende Sitzung in Robert Abs­hagens Wohnung. Bis dahin hatten sie viele alte Kontakte in den Betrieben zu illegal arbeitenden Genossen hergestellt. Die waren ja nicht alle verhaftet worden.

Heike von Borstel69, war Lehrerin und ist seit 1978 bei der VVN/BdA mit dem Schwerpunkt Erinnerungsarbeit aktiv.

Wie war die Gruppe organisiert?

Sie hatten eine dreiköpfige Leitung. Bernhard Bästlein hat die politische Leitung übernommen, Oskar Reincke die Organisation, und Robert Abshagen und später Franz Jakob waren für die Propaganda zuständig. In den Betrieben wurden dreiköpfige Betriebszellen gebildet, die nur einen Verbindungsmann zur nächsthöheren Leitung hatten, zum Schutz auch bei eventuellen Verhören. Allein bei Blohm+Voss gab es 15 solcher Betriebsgruppen.

Und es gab geheime Treffpunkte in der Stadt?

Es gab zum Beispiel einen Kiosk auf dem Rathausmarkt, wo Informationen ausgetauscht wurden, ein Atelier am Rödingsmarkt und auch Läden in verschiedenen Stadtteilen, wo sich die Kommunisten treffen konnten.

1942 wurden viele Mitglieder der Gruppe verhaftet und verurteilt, 70 von ihnen ermordet.

Gedenkveranstaltung zum 80. Jahrestag der Hinrichtungen von 15 Mitgliedern der Bästlein-Jacob-Abshagen-Gruppe: heute, 17 Uhr, am Torhaus des Hamburger Untersuchungsgefängnisses, Holstenglacis 3

Lesung zum Hamburger Widerstand: Mo, 15. 7., 18.30 Uhr, Geschichtsort Stadthaus

Es waren am 26. Juni 1944 allein zehn Enthauptungen innerhalb einer halben Stunde. Daran wollen wir heute erinnern.

Sie wissen all das auch, weil sie einen persönlichen Bezug zur Gruppe haben?

Ich war lange verheiratet mit dem Sohn eines jener Widerstandskämpfer, die am 26. Juni hingerichtet wurden, Wilhelm Stein. Mein Mann war sein einziger Sohn. Das war für mich der Anstoß, seit 1978 bei der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten mitzumachen. So habe ich viele der überlebenden ehemaligen Widerstandskämpfer kennengelernt und mache seitdem Erinnerungsarbeit und antifaschistische Arbeit. Wilhelm Steins Enkel wird bei der Veranstaltung an seinen Großvater erinnern.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen