Modemagazin „Vogue“ will politisch sein: Welt verbessern im Prada-Kleid

Die deutsche „Vogue“ hat sich politisiert. Auch, weil die Werbewelt von Diversität profitieren will. Margot Friedländer auf dem Cover passt dazu.

Cover eines Magazins.

Die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer auf dem Titel der Juli/August-Ausgabe von „Vogue“ Foto: Mark Peckmezian/Vogue Germany/dpa

Foto von Kerstin Weng.

Kerstin Weng, Chefredakteurin von Vogue Germany Foto: Abaca Press/imago

Man kann den Scherz schon mal bringen: Die Vogue ist jetzt woke. Zum Relaunch der deutschen Ausgabe des Modemagazins von Condé Nast im April 2022 brachte die neue Chefredakteurin Kerstin Weng mit Badmomzjay die erste Rapperin samt der Zeile „Stand Up Speak Out“ auf das Cover. Dazu schrieb Weng in den sozialen Medien: „Ich sehe die hochgezogenen Augenbrauen einiger Leute direkt vor mir. Diesen Menschen möchte ich sagen: Das ist unsere Relaunch-Ausgabe. Mit neuer Schrift, neuem Layout, neuen Rubriken – und auch mit einer neuen Haltung.“ Was Vogue sei und was nicht, möchte sie nicht über „gesellschaftliche Zirkel“ definieren, „sondern über Relevanz“. Und setzte noch den Hashtag #zeitgeist dazu.

Dieser Zeitgeist ist interessant. Denn die hochgezogenen Augenbrauen dürften sich in Grenzen gehalten haben, trifft man doch mit einer gewissen politischen Haltung einen Nerv. Etwas, das Alexandra Bondi de Antoni, die 2017 als Onlinechefin zur Vogue Deutschland kam, mit einer Repräsentationskampagne von People of Color begann, setzt Weng nun seit ein paar Jahren konsequent weiter um.

Die traditionell wichtige September-Ausgabe erscheint mit dem sogenannten Plussize-Model Ashley Graham auf dem Titel. Kim Petras, Transperson und erfolgreicher Popstar mit deutschen Wurzeln in den USA, ziert ein weiteres Cover. Auch die Grünen-Politikerin Aminata Touré (Plussize, Schwarz und irgendwie links) ist einmal auf dem Titel abgebildet.

Aktivismus verkauft sich immer besser

Und sonst? Ukrainische Designer kommen zu Wort. Teilnehmerinnen der Special Olympics werden gestylt. Es geht um „change“. Die Abkürzung FLINTA* muss nicht mehr erklärt werden und ein Beitrag zur Fussball-EM beschäftigt sich mit Patriotismus. Natürlich wird die Journalistin Düzen Tekkal interviewt, das neue Buch der jüdischen Girlboss-Autorin Mirna Funk wird vorgestellt und Klimaktivistin Luisa Neubauer hat in der neuen Vogue auch ihren Platz.

Reichte es früher ein sehr, sehr dünnes Model auf das Cover zu setzen, um Aufmerksamkeit zu erlangen, muss es heute die 102-jährige Holocaust-Überlebende Margot Friedländer sein. Journalistisch ist das ziemlich genial und erinnert an gutes altes Magazinmachen, das es in Deutschland so kaum noch gibt. Denn was gibt es schöneres als das Alter, das Überleben und vor allem die Message von Friedländer, dass wir doch alle Menschen sind? Es ist auch nicht geschmacklos, wie einige fanden. Immerhin findet in Israel mit der „Miss Holocaust Survivor“ seit Jahren ein Schönheitswettbewerb für Überlebende statt. Der Titel ist eine Feier des Lebens.

Kerstin Weng, die auf die streng hanseatisch wirkende Christiane Arp folgte und die von der InStyle kam, macht einen beachtlichen Job. Die Auflage sinkt zwar kontinuierlich und hat sich seit 2015 laut IVW-Zahlen mehr als halbiert auf rund 88.000 Druckexemplare. Aber das dürfte den meisten Modemagazinen so gehen.

Online zieht's

Weng und ihr Team haben es dafür geschafft, eine Millionen Follower bei Tiktok zu versammeln. Sie haben sogar Modefürstin Anna Wintour für ein Vogue-Event nach Germany bekommen. Gerade hat Swarowski eine ganze Österreich-Ausgabe gesponsert. Auf dem Titel ist die Schauspielerin Verena Altenberger zu sehen, die sich – laut Editorial – politisch äußert, progressiv und laut ist. Im Heft: Texte zu Femiziden, Trachten, Wiener Modedesignern, klar, Conchita Wurst. Ist doch gelungen!

Also alles toll und super und richtig – nur bekommt man eben doch auch etwas Bauchschmerzen. Dass Friedländer Mode der Prada-Zweitlinie „Miu Miu“ trägt und auch dieses Modehaus mit der italienischen Mafia verwoben, Kleidung zu Dumpinglöhnen von Arbeiterinnen ohne Tarifvertrag nähen ließ, ja mei, das sind wohl die Widersprüche, die man im Kapitalismus aushalten muss. Genauso wie Greta Thunberg auf dem Cover der skandinavischen Ausgabe.

Aber wie gut geht es zusammen, wenn man die Autorin Mosh­tari Hilal zu ihrem Buch über als hässlich markierte Körper interviewt und ein paar Seiten zuvor für Wellnesspflaster und teure Lippenstifte geworben wird? Engagement wird bei Vogue zum Werbeumfeld für Modemarken, deren Preise in den letzten Jahren so sehr gestiegen sind, dass sie sich jetzt nicht mehr die Reichen, sondern nur noch die Superreichen kaufen können (Das wird in Ausgabe 6/24 auch kurz thematisiert).

Wenn man heute als Influencerin/Businesswomen/Content-Creatorin erfolgreich sein will, dann gehört Haltung eben dazu. Dass sich in der Juni-Ausgabe eine bekannte deutsche Schauspielerin als queer outet, und das im großen Interview mit einem Rechtsruck begründet wird, verliert bei der Zielgruppe auch nicht an Glaubwürdigkeit, wenn in der Woche drauf ein Podcast von ihr und ihrer Partnerin veröffentlicht wird. Follower wollen ohnehin nur wissen, ob man sich mit dem Vorbild wohlfühlen kann. Und in Zeiten, in denen es reicht, die (westdeutsche) Demokratie zu verteidigen, um auf der richtigen Seite zu stehen, braucht es da eben nicht viel. Aber ab wann wird die politische Haltung zur leeren Hülse?

Lifestylesegment Diversität

Nichts davon ist dem Team der Vogue vorzuwerfen, es ist ja eine allgemeinere Entwicklung. Zu den Protesten der Black-Lives-Matter-Bewegung wurde es vielleicht erstmals so deutlich sichtbar: Wer auf Demos geht, kann das auch in ästhetisch ansprechenden, wie Modeshots inszenierten Fotos, festhalten. Damals war nicht nur Instagram voll von Bildern, im Juni 2020 veröffentlichte auch die Website der deutschen Vogue Streetstyle-Fotografien von De­mo­teil­neh­me­r:in­nen mit Protestschildern in der Hand.

Als Russland die Ukraine überfiel, weinten Influencerinnen in die Kamera, bevor sie die nächste Markenkooperation teilten und wenn sich Frauen zur Businessvernetzung treffen – Moderatorinnen mit Migrationshintergrund neben CSU-Politikerinnen – dann gehört es eben dazu, sich engagierte Speakerinnen zu buchen. Da wird auch schon mal das potentielle Opfer eines sexuellen Übergriffs als Female-Empowerment-Maskottchen eingeladen, um ein progressives Umfeld für Geschäftsabschlüsse und Werbepartner zu schaffen.

Engagement wird bei „Vogue“ zum Werbeumfeld für Modemarken, die sich nur noch die Superreichen leisten können

Natürlich ist auch die Mode längst in diesem Sinne politisch. Heidi Klum quietscht „Diversityyyy“ und die Kufiya ist zum lautesten Modestatement der jüngeren Geschichte geworden. Und das ist deswegen alles so leicht und schön und einfach, weil es keinerlei Konsequenzen oder progressive Ideen dafür braucht. Für diesen #zeitgeist macht die deutsche Vogue das perfekte Magazin.

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