Künstler zu Zoff ums Keupstraßen-Mahnmal: „Nachträgliche Erniedrigung“

20 Jahre nach dem NSU-Attentat in der Kölner Keupstraße gibt es dort den von Ulf Aminde entworfenen Erinnerungsort immer noch nicht. Ein Skandal, findet er.

Grafische Darstellung des geplanten Mahnmals an der Keupstraße

So könnte das geplante Mahnmal aussehen, wenn es denn mal realisiert wird Foto: Studio Ulf Aminde.

taz: Herr Aminde, 2004 hat die rechtsextreme Terrororganisation NSU die An­woh­ne­r:in­nen der migrantisch geprägten Kölner Keupstraße mit einem Nagelbombenanschlag attackiert. Erst 2014 hat der Stadtrat den Bau eines Mahnmals beschlossen – doch entstanden ist es noch immer nicht. Ist das nicht skandalös?

Ulf Aminde: Das ist definitiv ein Skandal! Sie müssen sich klarmachen, was das für die An­woh­ne­r:in­nen bedeutet: Schon 2001 hat der NSU ein erstes Attentat in der Kölner Probsteigasse verübt. 2004 explodierte dann die Bombe mit ihren 800 etwa 10 Zentimeter langen Zimmermannsnägeln in der Keupstraße. Dabei wurden 22 Menschen verletzt, 4 von ihnen schwer. Dieser terroristische Bombenanschlag war auf Massenmord ausgerichtet.

ist Künstler und lebt in Berlin. Er ist Professor an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee. Das Konzept für das Keupstraßen-Denkmal hat er mit der Autorin Svenja Leiber nach vielen Treffen und Geprächen mit Anwohner:innen, Betroffenen und Initiativen entwickelt.

Trotzdem hat die Polizei Verdächtige ausschließlich in kriminellen migrantischen Milieus gesucht, die nur in der Phantasie der Ermittelnden existierten.

Genau. Erst durch die Selbstenttarnung des NSU wurde 2011 klar, dass Neonazis für diesen Terror verantwortlich sind. Sieben lange Jahre vorher wurden stattdessen die Be­woh­ne­r:in­nen der Keupstraße grundlos verdächtigt, selbst hinter diesem Anschlag zu stecken. Nicht umsonst sprechen sie darüber als ‚Bombe nach der Bombe‘.

Ihr Entwurf für ein Mahnmal ist schon 2016 von einer rund 20-köpfigen Jury ausgewählt worden. Was genau hat den Bau bis heute verhindert?

Der ideale, einzig sinnvolle Platz für das Mahnmal ist der Eingang der Keupstraße – das sehen die Betroffenen und auch ich so. Aber dieser Platz war Teil eines größeren Geländes, das einer Gruppe privater In­ves­to­r:in­nen gehörte. Und die hat sehr klar gemacht, dass sie in keinster Weise bereit ist, dieses kleine Teilgrundstück als Erinnerungsort abzugeben.

Und dann?

Interessant war, dass Teile der Politik und auch der Presse daraufhin nicht den Investor:innen, sondern den An­woh­ne­r:in­nen und auch mir vorgeworfen haben, den Bau zu verhindern. Zwar hat Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker, die 2015 selbst Opfer des Anschlags eines Rechtsextremen geworden ist, immer wieder versucht, sich deutlich für das Mahnmal einzusetzen. Dennoch habe ich den Eindruck, dass die Stadt nicht alle ihre Einflussmöglichkeiten genutzt hat, um die In­ves­to­r:in­nen zum Verkauf dieses Erinnerungsortes zu bewegen.

Warum?

Als sich die ursprünglichen In­ves­to­r:in­nen entschlossen haben, das gesamte Gelände mit deutlichem Mehrwert an eine nächste Investorengruppe weiterzureichen, war der Mahnmal-Standort plötzlich völlig in Ordnung.

Die ursprünglichen Investoren haben also schlicht um mehr Geld gepokert?

Natürlich, selbstverständlich.

Aber warum ist es so wichtig, dass ausgerechnet der Eingang der Keupstraße Standort des Mahnmals wird?

Für die Erinnerung braucht es die Gegenwart vor Ort. Es muss erlebbar werden, wer und was da angegriffen wurde – denn die Keupstraße wurde von den Neonazis wegen ihrer erfolgreichen migrantischen Ökonomie ganz gezielt als Anschlagsziel ausgewählt. Getroffen werden sollte die migrantische Community mit ihren unglaublich beeindruckenden, erfolgreichen Leben. Das Mahnmal soll genau an diesem besonderen Ort eine Gesellschaft der Vielen einfordern, die aus der Perspektive der Betroffenen Diskriminierung und Rassismus anklagt.

Was macht die Keupstraße so besonders?

Die Keupstraße ist ein Paradebeispiel für eine Gesellschaft, die auf Einwanderung aufbaut, in der Migration ein selbstverständlicher Teil ist. An der Keupstraße können wir erkennen, wie sich die erste Generation der sogenannten Gast­ar­bei­te­r:in­nen entschieden hat, aus den Fabriken auszuziehen und ihre eigenen Geschäfte, ihre eigene Ökonomie aufzubauen – und damit ein neues, eigenes Selbstbewusstsein.

Wie sieht Ihr Entwurf für das Mahnmal konkret aus?

Es geht nicht um irgendeine Plakette, die irgendwo aufgehängt wird. Stattdessen wird die 24 mal 6 Meter große Grundplatte des Hauses, vor dem die Nagelbombe explodiert ist, eins zu eins an den Eingang der Keupstraße kopiert. Diese Betonplatte wirkt wie eine Skulptur, ist aber auch gemeint als ein Platz, den Menschen jeden Tag benutzen können, als Treffpunkt. Dazu kommt eine digitale App, mit der auf den Smartphones entlang der Betonplatte virtuelle Wände in die Höhe wachsen, auf denen Filme angeschaut werden können.

Was werden diese Filme zeigen?

Darin sprechen Überlebende des Anschlags über die Zeit vor, während und nach dem Attentat, teilen ihre Erfahrungen und Perspektiven, zusätzlich zu einer politisch-historischen Einordnung. Es entsteht also ein kritisches filmisches Archiv, das sich erweitert. Denn durch zusätzlich dazugeladene Filme wird sich dieser Erinnerungsort ständig vergrößern. Dazu wird es ein mehrheitlich aus Betroffenen bestehendes Gremium geben, das jährlich entscheidet, welche Filme hinzugefügt werden. Ich verstehe das Ganze als ein Haus, das von Nazis nicht mehr angegriffen werden kann.

Und wann wird das Mahnmal endlich entstehen?

Leider streitet sich die Gentes-Gruppe als neuer Investor gerade vor Gericht mit ihren Nachbarn. Und leider soll auch nach Ende dieses Rechtsstreits genau der Ort des Mahnmals als Einfahrt für die Großbaustelle genutzt werden, mit der Gentes ein unmittelbar dahinterliegendes Bauprojekt realisieren will. Erst wenn das fertiggestellt ist, wird das Mahnmal nach bisheriger Planung gebaut werden können.

Es ist also weiter völlig unklar, wann das Mahnmal realisiert wird?

Leider ja. Der Eingang dieser Großbaustelle sollte deshalb verlegt werden. Dann könnte die Errichtung des Mahnmals sofort beginnen.

Mit Gesprächen, Diskussionen und Lesungen, mit Theater, Musik und Filmen erinnert an diesem Wochenende das Kulturfest „Birlikte Gedenken und Kulturfest“ rund um die Keupstraße in Köln an den rechtsextremen Anschlag vor 20 Jahren. „Birlikte“ ist türkisch und bedeutet heißt „gemeinsam“ oder „zusammen“. Das Festival startet am Samstag, 8. Juni 2024, mit einem Warm-Up um 15 Uhr. Die Hauptacts sind am Sonntag, 9. Juni 2024, ab 12 Uhr zu sehen.

Sind all diese Verzögerungen nicht total enttäuschend?

Die Stadt Köln ist in ihrem Herzen angegriffen worden – und hat das jahrelang ignoriert. Die An­woh­ne­r:in­nen sind durch die 7 Jahre Täter-Opfer-Umkehr mehr als enttäuscht: Da gibt es eine Verunsicherung, eine Enttäuschung, einen Schmerz, der unermesslich ist. Andererseits: Die immer wieder erneuerte Forderung nach diesem Mahnmal, die von ganz vielen Initiativen und Einzelpersonen erhoben wird, ist bereits Teil eines aktiven Erinnerns. Sichtbar gemacht wird dadurch ein Unrechtsverhältnis – und eine weiße Mehrheitsgesellschaft, die über Politik, über Behörden, auch über die Presse sehr deutlich gemacht hat, dass die Betroffenen, die Bombenopfer und ihre Familienangehörigen quasi nicht Teil dieser Gesellschaft sind.

Ist das Fehlen des Mahnmals auch 20 Jahre nach dem Anschlag nicht eine weitere nachträgliche Verhöhnung und Erniedrigung der gesamten migrantischen Community?

Viele sehen das so, ja.

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