Streit um Bürgergeld: Eine Formel mit Rückwärtsgang 

Im Jahre 2025 könnte es beim Bürgergeld eine Nullrunde geben, dank einer Anpassungsformel mit Tücken. Verbände schlagen Alarm.

Ein leerer Flur in einer Behörde.

Hier gibt es das Bürgergeld: Jobcenter in Hagen Foto: Funke Foto Services/imago

BERLIN taz | Keine Nullrunde beim Bürgergeld im Jahre 2025! Das forderte jetzt ein Zusammenschluss aus acht Wohlfahrts- und Sozialverbänden, Gewerkschaften und Arbeitslosengruppen. Die Initiatoren, darunter der DGB, der Paritätische Gesamtverband, die Diakonie, VdK und der SoVD wandten sich mit einem Appell an Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), die Anpassungsformel für die Erhöhung des Bürgergeldes doch bitte wieder zu ändern. „Eine Nullrunde darf es nicht geben“, sagte Joachim Rock, kommender Hauptgeschäftsführer des Paritätischen.

Nullrunde beim Bürgergeld im Jahre 2025? Man reibt sich die Augen, schließlich ist das Bürgergeld Anfang des Jahres 2024 doch um zwölf Prozent gestiegen, der Regelsatz erhöhte sich um 61 Euro auf nunmehr 563 Euro. Die Anpassungsformel für die jährliche Erhöhung des Bürgergeldes hatte die Inflation stärker berücksichtigt.

Umgehend beschworen Union und FDP das „Lohnabstandsgebot“, bloß nicht zu hoch sollte es sein, das Bürgergeld. Und nun das: die nächste Erhöhung ab 2025 werde „sehr, sehr niedrig“ ausfallen, hatte Heil schon angekündigt.

Wieso aber könnte es eine Nullrunde geben, obwohl doch die Preise weiter steigen, wenn auch nicht mehr so krass wie in den vergangenen Jahren? Schuld an der Nullrunde ist eine Besonderheit der jährlich angewandten Fortschreibungsformel. Diese gilt seit der Einführung des Bürgergeldes im Jahre 2023.

Zwei Teile der Fortschreibungsformel

Diese Formel besteht nämlich aus zwei Teilen, der sogenannten Basisfortschreibung und der sogenannten „ergänzenden Fortschreibung“. Dabei gibt es gewissermaßen einen eingebauten Rückwärtsgang, den man erst auf den zweiten Blick erkennt. Für die Rechnung muss man Mathe mögen.

Die Basisfortschreibung beruht auf einem Mischindex. Dieser setzt sich zu 70 Prozent aus der Entwicklung der Preise zusammen und zu 30 Prozent aus der Entwicklung der Nettolöhne. Die Entwicklung wird in zwei Zeitspannen gemessen und diese beiden Zeitspannen werden dann wiederum miteinander verglichen, um die prozentuale Erhöhung durch die Basisfortschreibung zu ermitteln.

Für die Erhöhung des Regelbedarfs zum 1. Januar 2024 zum Beispiel waren das die Zeiträume von Juli 2021 bis Juni 2022 verglichen mit den Zeiträumen von Juli 2022 bis Juni 2023. Diese Basisfortschreibung kam auf eine Steigerung von neun Prozent.

Zu dieser Steigerung kam dann noch in einem zweiten Schritt die ergänzende Fortschreibung hinzu, die die aktuellere Preisentwicklung berücksichtigte. Dabei wurden für die Erhöhung im Jahr 2024 die regelbedarfsrelevanten Preise im zweiten Quartal 2023 mit dem entsprechenden Dreimonatszeitraum des Jahres 2022 verglichen. Auch hieraus ergab sich eine Prozentzahl, das waren nochmal gut neun Prozent.

Die Besonderheit der Formel besteht nun darin, dass diese beiden Steigerungen dann nicht etwa einfach zum früheren Regelsatz hinzu addiert wurden, der betrug 502 Euro im Jahre 2023, die Erhöhung wäre bei einer einfachen Addition also im Jahre 2024 noch höher ausgefallen. Nein, die prozentualen Erhöhungen werden nur zu dem Betrag hinzu addiert, der sich ergibt, wenn man zum Jahre 2023 nur eine Basisfortschreibung gemacht hätte.

Laut der Basisfortschreibung ergab sich daher für das Jahr 2023 nur ein rechnerischer Betrag von 469 Euro, so das Bundesarbeitsministerium in einer Erklärung auf Anfrage der taz. Dieser Eurobetrag wurde dann erst mit der Basisfortschreibung von 9,07 Prozent fortgeschrieben und das Ergebnis, etwa 512 Euro, dann nochmal mit der ergänzenden Fortschreibung von 9,9 Prozent erhöht. So kam man auf die 563 Euro für das Jahr 2024, die im Vergleich zum Regelsatz im Jahre 2023 eine rechnerische Erhöhung von zwölf Prozent bedeuteten.

„Keine fiktiven Rechengrößen“

Was heißt dies nun für das Jahr 2025? Es bedeutet, dass bei der Vorausberechnung des Regelsatzes zum 1. Januar 2025 die beiden Stufen der prozentualen Erhöhungen (durch Basis- und ergänzende Fortschreibung) nicht zu dem aktuellen Regelsatz von 563 Euro hinzu addiert werden. Man addiert sie eben nur zu einem fiktiven Wert, der sich aus der Basisfortschreibung des Vorjahres ergibt. Dies war der genannte Zwischenwert von 512 Euro.

Mit einer Basisfortschreibung von 4,66 Prozent und einer ergänzenden Fortschreibung von drei Prozent – was ja realistisch ist angesichts der gesunkenen Inflationsraten – käme am Ende nur ein neuer Regelsatz von 552 Euro für das Jahr 2025 heraus, errechnen die Verbände im Positionspapier. Dies wäre eine Absenkung, die aber gesetzlich nicht zulässig ist. Am Ende stünde also eine Nullrunde im Jahre 2025.

In dem Positionspapier fordern die Initiatoren unter anderem eine „kurzfristige Reform der Fortschreibungsregel“. Ausgangspunkt der Fortschreibung für 2025 müsse der geltende Regelbedarf sein und „nicht eine fiktive Rechengröße“. Im Gegenzug könne bis zu einer grundlegenden Reform auf die sogenannte „ergänzende Fortschreibung“ verzichtet werden, heißt es in dem Papier. Nur war diese ergänzende Fortschreibung ja mal extra eingeführt worden, um Preissteigerungen zeitnäher zu berücksichtigen. Der eingebaute „Rückwärtsgang“ war auf den ersten Blick nicht so ersichtlich.

Die Chancen für eine erneute Änderung stehen schlecht. „Die Fortschreibung der Regelbedarfsstufen zum 1. Januar 2025 erfolgt gemäß den gesetzlichen Vorgaben auf validen und überprüfbaren Daten des Statistischen Bundesamtes. Im Rahmen der Fortschreibungs-Verordnung besteht somit kein Entscheidungsspielraum für die sich ergebenden Beiträge“, heißt es im Bundesarbeitsministerium auf Anfrage der taz.

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