Maurice Conrad
Änder Studies
: In Mainz hat die AfD bei der Europawahl keine Prozentpunkte gewonnen. Ganz Deutschland kann etwas von uns lernen

Foto: Cedric Büchling

Es lebt sich gut in Mainz. Wo Rieslingschorle fließt und man den Karneval noch Fassenacht nennt, ist etwas anders als in vielen Teilen Deutschlands: Die rechtsextreme AfD hat bei der jüngsten Europa- und Kommunalwahl gerade mal 6 Prozent bekommen. Das ist wenig, aber viel wichtiger ist: Es ist ziemlich genau so viel wie bei der letzten Wahl. Und progressive Kräfte haben sogar etwas gewonnen. In der SWR-Wahlrunde am Wahlabend war man bei der Mainzer AfD gleich so verdattert über das Ergebnis, dass man prompt die Zahlen infrage stellte: Vollkommen gegen den Bundestrend? Das könne nicht sein.

Doch. Kann sein. Man kann sagen, hier hat der Rechtsruck der letzten Jahre und Monate nicht stattgefunden. Und dafür gibt es gute Gründe. Wer in Mainz lebt, bemerkt schnell, dass die Stadtgesellschaft weltoffen ist und zusammenhält. Und das ist keine Floskel. Als Anfang 2024 gegen die Deportationspläne der AfD protestiert wurde, waren wie selbstverständlich auch die lokale CDU und die hiesigen Freien Wähler Teil der Demonstrationen. Das stand nicht mal zur Debatte.

In Mainz gibt es keine „Zugezogenen“, kein Argwohn gegenüber Menschen, die neu in die Stadt kommen. Diese Haltung ist tief verankert an Rhein und Main. Die Mainzer Lebensart hat etwas Antiautoritäres. Die Fassenachtsvereine sind das wahrscheinlich größte Bollwerk gegen die Faschisten. Dort schmeißt man Nazis im Zweifel einfach raus und lässt sie gar nicht erst versuchen, lokale Strukturen zu übernehmen. Wie dieses Jahr, als der Fraktionsvorsitzende der AfD nicht am Rosenmontagszug teilnehmen durfte.

Die AfD und auch ihre politischen Vertreter sind in der Stadt isoliert: ein paar alte Herren, die im Prinzip schon seit Jahren in der rechtsradikalen Szene unterwegs sind. Wer heute für die AfD im Stadtrat sitzt, saß vor 20 Jahren noch für die rechten Republikaner im selben Gremium. Unter jungen Menschen ist es hier nicht attraktiv, rechtsradikal zu sein. Kein Schobbe für Nazis lautet das Motto. Ihnen wird also keine Weinschorle serviert.

All das funktioniert natürlich nicht im luftleeren Raum. Mainz betreibt seit Jahren erfolgreiche Wirtschaftspolitik, und das führt zu einer allgemeinen ­Aufbruchsstimmung. Der Rest der Bundesrepublik sollte von uns lernen, denn Mainz ist keine Insel. Die Stadt liegt in Deutschland, hier werden Häuser aus Stein gebaut, und auch sonst geht es ganz irdisch zu. Mainz ist nicht mal eine typische Ausreißerkommune mit horrend hohen Gewerbeeinnahmen, sondern seit 30 Jahren chronisch hoch verschuldet und erst durch Bion­tech kurzzeitig schuldenfrei gewesen. Keine Sorge: Auch die Mainzer Stadtkassen sind wieder leer.

Dass Mainz Biotechnologiestandort ist, muss nicht so bleiben. Bion­tech kann die Stadt verlassen, wenn es anderswo attraktiver ist. Mainz ist immer noch eine 200.000-Einwohner-Stadt und nicht Berlin oder Hamburg. Aber wenn eine Stadtgesellschaft ein attraktives Klima bietet, werden Fachkräfte zuziehen und Unternehmen Standorte ausbauen.

Gesellschaftliches Klima ist eine reale Ressource, die ganz direkte Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung von Regionen hat – und damit auf den Erfolg oder Misserfolg der Faschisten. Die wollen nämlich das Gegenteil, sie wollen ein Umfeld aus Nationalismus, Abschottung und Fremdenfeindlichkeit, wodurch Wirtschaftsstandorte abgehängt werden.

Kein Schobbe für Nazis. Ihnen wird keine Weinschorle serviert

Das gesellschaftliche Klima fängt bei uns selbst an. Lasst uns alle ein bisschen Mainz sein.

Maurice Conrad, 23, ist Klima­aktivist*in, Mitglied im Mainzer Stadtrat für die Grünen und Software­engineer.