Geflüchtete Auszubildende: Baggern um Azubis

In Berlin dürfen Sprach­schü­le­r*in­nen für einen Tag bei einem Berliner Tiefbauunternehmen Hand anlegen. Das hofft, so Nachwuchs anwerben zu können.

Eine Baggerführerin in einer Baggerkabine.

Bau statt Büro? Elaheh Dehbozorgi probiert es aus Foto: Viktor Strasse/NUiF

BERLIN taz | Im Führerhäuschen des Baggers bedient Elaheh Dehbozorgi einen Hebel. Die Baggerschaufel öffnet sich, ein Haufen Erde rumpelt mitten auf den Hof des Tiefbauunternehmens Frisch und Faust in Berlin. Die Gruppe um den Bagger herum klatscht. „Wenn sie jetzt noch rechnen kann, hat sie den Job“, ruft der kaufmännische Leiter und Prokurist Dieter Mießen fröhlich.

Dehbozorgi ist eine von mehreren Teilnehmenden eines Berufssprachkurses, die an diesem Tag mit ihrer Lehre das Berliner Unternehmen besuchen. „Taste the Job – Azubi für einen Tag“ heißt die Veranstaltung, die junge Geflüchtete und Zugewanderte für eine Ausbildung erwärmen soll.

Das soll den jungen Menschen eine Perspektive geben, genauso aber den Unternehmen: „Der Fachkräftemangel beschäftigt uns schon seit einigen Jahren“, erklärt Mießen. Mit der Coronapandemie sei es noch deutlich schlimmer geworden. Davor habe das Unternehmen mit seinen rund 200 Mitarbeitenden immer alle Ausbildungsplätze besetzen können. Für das kommende Ausbildungsjahr aber seien zwölf Plätze noch unbesetzt.

Frisch und Faust wirbt schon lange gezielt um Azubis mit Migrations- und auch mit Fluchtgeschichte. Das Unternehmen organisiert Baustellentage, bietet Praktika an, geht auf Messen und in Schulen. Und es ist Mitglied im Netzwerk Unternehmen integrieren Flüchtlinge, das den Besuch der Sprach­schü­le­r*in­nen an diesem Tag organisiert hat. Gerade für Zugewanderte seien solche Einblicke wichtig, sagt Mießen. Viele könnten sich unter dem dualen Ausbildungssystem in Deutschland und den vielen möglichen Ausbildungsberufen wenig vorstellen.

Um die Wette schrauben

Und so dürfen Elaheh Dehbozorgi und ihre Mit­schü­le­r*in­nen einen Erdhaufen wegbaggern, einem Kanalroboter zuschauen, wie er ein Rohr reinigt und um die Wette Rohrverbindungen zusammenschrauben. Alles unter den wohlwollenden Blicken von Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), und von Michael Kellner, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium und Mittelstandsbeauftragter der Bundesregierung.

Der Grünen-Politiker ist denn auch der Grund, warum Dehbozorgi beim Rohrschraubwettbewerb nicht punkten kann: Während sie zusammen mit dem Azubi Buba Jammeh versucht, Muttern festzuziehen, fragt Kellner sie aus: Wo sie herkomme, was sie mache, was ihre Pläne seien. Sie sei Softwareentwicklerin, antwortet die junge Iranerin. Seit einem Jahr ist sie in Deutschland, hat hier Asyl beantragt.

Das Baggerfahren habe Spaß gemacht, erzählt die zierliche junge Frau mit der weißen Bluse und dem Goldkettchen. So ganz sei es aber nicht ihr Ding. Am liebsten wolle sie in ihrem Bereich arbeiten, doch die Anerkennung ihres Abschlusses sei langwierig und kompliziert. Eine Ausbildung könne sie sich schon vorstellen – vielleicht im Bereich der Altenpflege. Aber sicher sei sie noch nicht.

Was Dehbozorgi beschreibt, sehe sie in den Sprachkursen derzeit häufig, sagt Sprachlehrerin Anna Eckold. Viele Teilnehmende hätten eine Hochschulbildung, könnten in ihren Berufen aber vielfach nicht arbeiten, weil die Anerkennung ihrer Qualifikation so langwierig oder geradezu unmöglich sei. „Wir haben im Kurs auch einen palästinensischen Mediziner aus Syrien, der kann überhaupt nicht absehen, ob und wenn ja, wann er jemals in Deutschland in seinem Beruf arbeiten kann“, sagt Eckold.

Worte des Lobs

Bei den Ukrainer*innen, derzeit die größte Gruppe im Kurs, käme noch dazu, dass viele immer noch hofften, bald wieder nach Hause zurückkehren zu können. „Das hilft natürlich nicht dabei, alle nötige Energie in diese doch sehr schwierige deutsche Sprache zu stecken.“

Vielen ihrer Sprach­schü­le­r*in­nen falle es schwer, sich umzuorientieren, erzählt die Lehrerin. „Zum einen, weil handwerkliche Berufe oft eher als Abstieg gesehen werden. Zum anderen haben viele Teilnehmende aber gar kein Bild davon, was es mit einer Ausbildung alles für Berufsbilder in Deutschland gibt.“ Dafür seien Besuche wie der heutige sehr hilfreich. „Ich könnte mir einige meiner Teilnehmenden als Azubi hier vorstellen“, sagt Eckold. „Sie selber können das aber glaube ich noch nicht.“

Später lobt der Mittelstandsbeauftragte das Engagement von Frisch und Faust in höchsten Tönen. Die Gruppe steht nun in einer Werkhalle des Unternehmens. Hinter dem Politiker stapeln sich in einem Regal die Autoreifen, die Sprach­schü­le­r*in­nen bedienen sich an der aufgebauten Tafel mit Kaffee und Kuchen. Flaschenöffner in Form eines Bauhelms werden verteilt. Auszubildende mit Flucht- und Zuwanderungshintergrund seien in den letzten Jahren „zu einer wichtigen Zielgruppe für die Unternehmen geworden“, erklärt Kellner.

Dieter Mießen kann das nur bekräftigen: Von den aktuell 35 Azubis von Frisch und Faust seien fünf geflüchtet oder zugewandert. Einer von ihnen, Buba Jammeh, hat an diesem Nachmittag Dehbozorgi und ihren Mit­schü­le­r*in­nen beim Verschrauben der Rohrverbindungen geholfen. Er komme aus Gambia, erzählt er. 2019 sei er nach Deutschland geflüchtet, seit 2022 mache er die Ausbildung zum Tiefbaufacharbeiter mit Schwerpunkt Straßenbau.

Mit Anlauf in die Ausbildung

Die Ausbildung ist für ihn in mehrerlei Hinsicht existenziell: Jammeh hat eine Ausbildungsduldung, die ihn vor der Abschiebung schützt. „Ich kann, wenn ich fertig bin, hier übernommen werden“, sagt er. Das sichert ihm für weitere zwei Jahre einen Aufenthaltstitel. „Wir sind froh, diese helfenden Hände gefunden zu haben“, sagt Mießen.

Zu Frisch und Faust ist Jammeh über eine Maßnahme der Bundesagentur für Arbeit (BA) gekommen. Nach einem ersten Praktikum konnte er bleiben – zunächst über die sogenannte Einstiegsqualifizierung. Dieses sozialversicherungspflichtige Praktikum von bis zu einem Jahr wird von der BA finanziell gefördert. „Der große Vorteil der EQ ist, dass sie den Zugang zur Berufsschule ermöglicht“, sagt Achim Dercks von der DIHK. „Die Leute können dann mit Anlauf in die Ausbildung starten.“

Gerade die Sprachbarriere sei ein großes Problem, ergänzt Mießen. „In der Berufsschule müssen die Azubis ab dem ersten Tag mit der Sprache klarkommen.“ Schon nach wenigen Wochen stünden dann die ersten Klassenarbeiten an. „Eigentlich bräuchte es für Nicht-Muttersprachler einen Zeitzuschlag in den Prüfungen, wie es ihn auch für Menschen mit ADHS gibt“, fordert Mießen. „Denn wenn die erste Sechs geschrieben ist, dann startet eine Spirale des Misserfolgs. Da wieder herauszukommen, ist extrem schwer.“

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