Am 15. Juni ist wieder Marzahn Pride: Regenbogen im braunen Kiez
Mit dem ersten Queer-Beirat Berlins ist der Bezirk Marzahn-Hellersdorf Vorreiter bei queerpolitischen Belangen. Mehr Budget für Stellen und Beratung.
„Damit wären wir dann der personell bestausgestattete Bezirk, was das Thema Queer angeht“, sagt Lemm. Auch weil Krah – seit zwei Jahren Beauftragte für „Queer, Städtepartnerschaften und freiwilliges Engagement“ – ihren Job als Queerbeauftragte demnächst zu 100 Prozent ausüben kann. Und nicht wie bisher nur zu 60 Prozent.
Damit hat sie zum Beispiel mehr Zeit für den Queer-Beirat. Das ist ein vom Bezirksamt berufenes Gremium, das selbständig und unabhängig arbeitet. Auch hier war der Bezirk Vorreiter: Es handelte sich mit Gründung im März 2023 um den ersten bezirklichen Beirat dieser Art in Berlin.
Der Queer-Beirat versteht sich als überparteilich und vertritt die Interessen von LSBTIQ* im Bezirk und steht dem Bezirksamt beratend zur Seite. „Wir behandeln Themen, planen gemeinsam Veranstaltungen, koordinieren Termine, versuchen uns in die Geschicke von Bezirksamt und BVV einzumischen“, sagt Vanessa Krah. Und wenn dort etwas passiert, was dem Beirat nicht gefällt, kommt „ein böser Brief“ mit einer Stellungnahme. „Viel mehr als das gibt es dann auch nicht“, räumt Krah ein, „es gibt unsererseits keine Sanktionsmöglichkeiten.“
Die Vielfalt der queeren Gemeinschaft
Trotzdem ist Krah froh, dass es den Beirat „mit den wichtigsten queeren Akteur:innen des Bezirks und den verschiedenen Perspektiven“ gibt. Schließlich könne sie als einzelne Person ja nicht die gesamte Vielfalt der queeren Gemeinschaft abbilden. „Es ist eine der ersten Maßnahmen, die ich umsetzen konnte.“
Queerbeauftragte wie Vanessa Krah gibt es nicht nur in Marzahn-Hellersdorf. Ann-Kathrin Biewener als Beauftragte für queere Lebensweisen in Tempelhof-Schöneberg – von Bezirk zu Bezirk variieren Name und Zuständigkeitsbereiche – war die Erste und ist schon seit 2017 im Amt. Sabine Pöhl ist in Lichtenberg Diversity- und Queerbeauftragte und in Mitte arbeitet Martin Vahemäe-Zierold als „Beauftragte Person für Queer und Antidiskriminierung“. Pankow folgte zu Anfang Juni dieses Jahres mit der Queerbeauftragten Jenny Bluhm. (heg)
Im Beirat arbeiten queere Vertreter:innen von Vereinen und Organisationen wie Maneo oder Lesben* Leben Familie (LesLeFam), von LSU, SPD queer, LSVD, von Jugendfreizeiteinrichtungen und dem Stadtteilzentrum sowie engagierte Einzelpersonen zusammen. Außerdem kann jede Fraktion der BVV einen Gast entsenden – wenn auch ohne Stimmrecht. „Dieser Draht in die Fraktionen ist von Vorteil“, sagt Krah.
„Seit Vanessa Krah im Amt ist, ist das Thema deutlich präsenter“, findet Bezirksstadtrat Gordon Lemm. Es geht ums Netzwerken und darum, Themen in die Öffentlichkeit zu bringen. Es geht darum, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es in Marzahn-Hellersdorf auch jenseits des Marzahn Prides eine Community gibt, die gesehen werden möchte, die Rechte einfordert.
Eines der größten Projekte der Queerbeauftragten ist es, für eine Verbesserung der Beratungs- und Angebotsstruktur im Bezirk zu sorgen. „Wir haben bisher eigentlich fast gar keine professionellen Hilfsangebote für queere Menschen“, sagt Krah. Egal, ob zum Thema Outing, Regenbogenfamilie oder ältere queere Mitbürger:innen.
Budget der Queerbeauftragten erhöht
Trotz Kürzungen in vielen Bereichen wurde das Budget der Queerbeauftragten sogar erhöht: Waren es zu Beginn noch 20.000 Euro jährlich für Zuwendungen an Träger, sind es jetzt 50.000 Euro. Das liegt auch daran, dass es zum Zeitpunkt des Beschlusses über die Budgeterhöhung noch eine rot-rot-grüne Mehrheit in der BVV gab, erklärt Lemm. Mittlerweile ist der Bezirk von der CDU regiert.
Mit dem Geld will Krah unter anderem eine Beratungsstelle für Regenbogenfamilien und queere Kinder und Jugendliche gründen. „Wir hoffen, noch in diesem Jahr einen Träger zu finden“, sagt sie. Die Beratungsstelle soll mit einem Büro an das Familienzentrum des DRK andocken.
Zurück zur Sitzung des Queer-Beirats: In den gut zwei Stunden geht es unter anderem um die Veranstaltungen im Pride Sommer. Allein in der Pride Week im Vorfeld des Marzahn Prides am 15. Juni – dem Höhepunkt – finden gut ein Dutzend Veranstaltungen statt, die Krah der Runde vorstellt. Ein Ausflug mit Picknick in die bekannten „Gärten der Welt“ ist genauso dabei wie eine Lesung divers erzählter Kinderbücher und Workshops, Filmabende oder Fortbildungen für Führungskräfte im Bezirksamt.
„Viele Einrichtungen machen mit“, sagt Krah. „Das zeigt, wie engagiert die queere Gemeinde ist, und dass das Thema angekommen ist.“ Es geht um Sichtbarkeit und Akzeptanz von queeren Lebensentwürfen – auch Marzahn-Hellersdorf ist ein „Ort der Vielfalt“.
Damit die Zuständigkeiten klar sind
In der Sitzung des Queer-Beirates geht es mitunter kleinteilig zu, damit die Zuständigkeiten klar sind, damit alle eingebunden werden: Welche Stände wird es beim Marzahn Pride geben, wo kommen die nötigen Finanzen her und wer kennt einen tollen Musikact, den man für das Bühnenprogramm anfragen könnte? Aus der Runde wirft jemand den Namen der Newcomerin Cloudy June in die Runde, weitere Tipps folgen …
Kleine Überraschung: Der Marzahn Pride wird eine neue Route nehmen, es geht die lange Allee der Kosmonauten entlang „an einer Jugendeinrichtung und an einer russisch-orthodoxen Kirche vorbei. Das wird spannend“, sagt Christine Shneydin vom Verein Quarteera, der den Marzahn Pride organisiert.
Auch Nora Heim ist Teil des Queer-Beirats. Die Aktivistin hat die „Queere Begegnung“ erfunden, ein niedrigschwelliges Angebot für einen lockeren Austausch, und Unternehmungen aller Art in Marzahn-Hellersdorf – auf ehrenamtlicher Basis. „Ich will einen sicheren Raum bieten“, erklärt Heim. „Hier können sich queere Personen treffen, sei es zum Vernetzen, zum Probleme besprechen oder auch, um ihr eigenes Ding zu machen.“ Mal werden Filme geschaut, mal eine Veranstaltung besucht, einmal im Monat, immer an einem Samstag. Im Moment kommen im Schnitt zehn Leute, manchmal weniger, manchmal auch zwanzig, sagt Heim, die an der Alice-Salomon-Hochschule (ASH) Soziale Arbeit studiert und im Bezirk wohnt.
Zur ASH gibt es gute Kontakte, sagt die Queerbeauftragte Krah. Aus dem Frauen- und Gleichstellungsbüro ist jemand beim Queer-Beirat dabei. Und es gibt das Queer-Referat, mit dem sie in Kontakt sind. „Ein Problem ist, dass die meisten Studierenden nicht in Marzahn-Hellersdorf wohnen“, sagt Krah. Sie hat aber das Gefühl, dass sich das ändert: „Immer mehr Studierende siedeln sich im Bezirk an, weil die Mieten im Innenstadtring immer höher werden.“
Bezirk lädt nicht zum Verweilen ein
Nora Heim sieht noch ein weiteres Problem des Bezirks: „Es gibt keine entspannte Atmosphäre durch nette Cafés und dergleichen. Der Bezirk lädt nicht zum Verweilen ein.“ Ein weiteres Dilemma kommt hinzu: „Wie offen und frei können wir uns hier zeigen?“, fragt Heim und nennt ein simples Beispiel: Eine Regenbogenfahne aufhängen.
„Macht man das mit einer kleinen oder einer großen Fahne? Je größer du das machst, um so mehr Angriffsfläche bietest du, um so verletzlicher machst du dich.“ Queere Treffpunkte sollen geschützte Räume sein. „Deshalb muss man überlegen, wie offen man so einen Treff in den Kiez hineinkommuniziert und zugleich, wie man sich schützt.“
Nora Heim, queere Aktivistin
Was die Angreifbarkeit betrifft, blickt Bezirksstadtrat Gordon Lemm besorgt auf die Wahlen im kommenden Jahr. „Wir haben im Bezirk politische Kräfte, insbesondere die AfD, die die Arbeit der Queerbeauftragten fundamental kritisch begleitet“, sagt Lemm. „Die AfD ist sehr stark in Marzahn-Hellersdorf und es gibt Befürchtungen, dass sie bei den nächsten Wahlen zur stärksten Kraft werden könnte.“
Nicht unbegründet: Bei der Europawahl holte die AfD hier 25,3 Prozent. „Es gibt immer mal wieder Anfeindungen, wo die Arbeit der Queerbeauftragten als Verschwendung von Steuergeldern oder als links-grün-versiffter Quatsch diskreditiert wird.“ Das müsse man im Blick haben, um die Akteur:innen zu schützen. „Das ist leider auch Teil der Wahrheit bei uns im Bezirk.“
Mehr Geld für Öffentlichkeitsarbeit
Der Queer-Beirat Marzahn-Hellersdorf will öffentlich mehr in Erscheinung treten. In ein bis zwei Monaten soll es ein Fallblatt geben, das das Gremium und seine Anliegen vorstellt. Auch eine Onlinepräsenz mit den Namen und Fotos aller Beiratsmitglieder:innen ist angedacht.
Gefragt, was sich die Queerbeauftragte für die Zukunft wünschen würde, antwortete sie: „Einerseits mehr Finanzen für eine bessere Infrastruktur, andererseits fände ich es toll, mehr Geld für Öffentlichkeitsarbeit zu haben, denn dieser Aspekt fällt schnell hinten runter.“ Krah hat jährlich lediglich 1.000 Euro für Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung.
Dabei würde sie gerne eine Plakatkampagne im Bezirk machen, mit der sie Menschen für das Thema sensibilisieren möchte. „Menschen, die nicht in meinem Einflussbereich leben, die ich nicht auf den queeren Veranstaltungen treffe, die jenseits meiner Blase leben.“ Und so eine Kampagne könnte ja theoretisch auch eine berlinweite Kampagne sein. „Ohne Moralkeule, dafür mit Witz.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!