Klimakatastrophe in Brasilien: Flut trifft vor allem Arme

Bedürftige leiden besonders unter den Überschwemmungen. Auch die Klimapolitik des „grünen“ Präsidenten Lula steht auf dem Prüfstand.

Ein Mann schaut auf seine überflutete Hütte außerhalb von Porto Alegre

Die Flut ist eine Folge des Klimawandels, darüber sind sich die meisten Ex­per­t*in­nen einig Foto: Diego Vara/reuters

BERLIN taz | Als in Porto Alegre das Wasser stieg, ging alles ganz schnell. „Schon am zweiten Tag der Katastrophe bauten wir unsere Strukturen aus“, erzählt Fernando Campos Costa der taz. Er ist Aktivist der Wohnungslosenbewegung MTST und leitet eine sogenannte Solidaritätsküche. „Mittlerweile kochen wir dort 4.000 Mahlzeiten pro Tag. Viele Menschen bekommen nun zumindest einmal am Tag eine warme Mahlzeit.“

Heftige Regenfälle und Überschwemmungen haben im Süden Brasiliens zu einer der größten Klimakatastrophen in der Geschichte des Landes geführt. Mehr als 160 Menschen starben, große Teile der Infrastruktur wurden zerstört. Über 500.000 Menschen mussten ihre Häuser verlassen, viele harren weiter in Notunterkünften aus.

Insgesamt sind 400 Gemeinden und Städte betroffen, große Teile der Millionenstadt Porto Alegre stehen immer noch unter Wasser. Die Behörden schätzen, dass es noch einige Wochen dauern wird, bis das Wasser zurückgeht. Und Me­teo­ro­lo­g*in­nen befürchten weitere Regenfälle in den kommenden Tagen – die Angst vor einem weiteren Anstieg der Pegel ist groß.

Flut als Folge des Klimawandels

Besonders die ärmeren Bevölkerungsgruppen leiden unter den Folgen der Flut. „Die Auswirkungen der Klimakatastrophe treffen einige stärker als die anderen“, sagt Costa von der MTST. Viele wohnen in einfachen Hütten, die den Wassermassen nicht standhielten. Die Lebensbedingungen waren schon vor der Katastrophe extrem prekär.

Die linke Basisbewegung MTST ist in den Peripherien der großen Städte aktiv. Dort versucht sie, mit Besetzungen urbanen Leerstand für arme Familien nutzbar zu machen. Seit einigen Jahren baut sie aber auch Notfallstrukturen für Krisen aller Art aus. Bereits während der Pandemie versorgten sie mit ihren Solidaritätsküchen zehntausende Menschen. „Mittlerweile sind wir so aufgebaut, dass wir schnell auf Katastrophen reagieren können“, erklärt Costa.

Die Flut ist eine Folge des Klimawandels, darüber sind sich die meisten Ex­per­t*in­nen einig. Wetterphänomene wie El Niño, die durch die Erderwärmung verstärkt werden, treffen die Region immer härter. Während einige Regionen unter Dürreperioden ächzen, kommt es in anderen Gebieten zu Starkregen.

Die jüngste Katastrophe ist teilweise aber auch hausgemacht: Porto Alegre besitzt wegen der Lage an mehreren Flüssen zwar ein Hochwasserschutzsystem, aber viele Sperren und Schleusen versagten. Das System war schlecht gewartet und konnte den Wassermassen nicht standhalten. Ex­per­t*in­nen prognostizieren, dass es bis zu 15 Jahre dauern könnte, bis die betroffenen Gebiete wieder den vorherigen Lebensstandard erreichen. Und bald könnte das Trinkwasser knapp werden.

Lula verspricht neun Milliarden Euro

Die Regierung unter Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, der die Region dreimal besuchte, hat umfangreiche Hilfsmaßnahmen angekündigt. Umgerechnet knapp neun Milliarden Euro sollen zur Verfügung gestellt werden, um den Wiederaufbau zu finanzieren und den Betroffenen zu helfen. Dazu gehört auch der Kauf von Häusern auf dem privaten Immobilienmarkt und die Nutzung von zwangsversteigerten Grundstücken für Flutopfer. Der sozialdemokratische Präsident erinnerte daran, dass es nötig sei, sich an das veränderte Klima anzupassen und präventive Maßnahmen zu ergreifen.

Dennoch steht auch seine Klimapolitik auf dem Prüfstand: Einerseits lässt sich Lula – vor allem im Ausland – als grüner Präsident feiern. Und tatsächlich ist die Abholzung in Amazonien stark zurückgegangen, staatliche Naturschutzbehörden wurden wieder aufgerüstet.

Andererseits hält das Land an der Förderung von Erdöl fest, plant umstrittene Großprojekte in Amazonien und exportiert Rekordmengen an Soja und Rindfleisch ins Ausland. Ein weiteres Problem: Viele Landesregierungen ziehen bei der Umweltpolitik der Bundesregierung nicht mit. Gerade der Süden des Landes, wo derzeit das Wasser steht, ist eine Hochburg des rechtsradikalen Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro. Deshalb dürfte gerade dort nicht mit allzu großen Sprüngen bei der Umwelt- und Klimapolitik zu rechnen sein.

Inmitten der Umweltkrise zeigt sich eine große Solidarität der Bevölkerung. In sozialen Medien werden Spenden gesammelt, Freiwillige aus dem ganzen Land sind nach Porto Alegre gereist, um zu helfen. Und auch in den Vorstädten tut sich einiges. „Durch ihre alltägliche Verelendung sind die Bewohner der Peripherien viel stärker aufeinander angewiesen als im Rest der Stadt“, sagt der MTST-Aktivist Costa. „In der Peripherie kennen sich die Menschen gut, organisieren sich schon lange in Bewegungen und kämpfen für ihre Rechte. Die Solidarität wird hier im Alltag gelebt.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.