Deutschrap von Jace&Dexter: Absteigende Mittelschicht

Das Deutschrapduo Jace&Dexter kehrt mit dem Album „9Leben“ zurück zum klassischen Storytelling. Retro klingen sie deshalb nicht.

Ein mann hält sich die Augen mit den Zeigefingern zu, ein anderer steht hinter Glas

Jay & Dexter Foto: privat

Stimmen, die beim Rappen so klingen, als würde ein Alien weinen. Beats, die jedes erdenkliche Fiepen und Dröhnen integrieren. Technisch ist alles möglich. Weil dem so ist, wurde Rapmusik in den letzten Jahren auch hierzulande immer stärker zum Wettbewerb um das interessanteste Sounddesign.

Geschichten erzählen zeitgenössische Rap­pe­r*in­nen wie Ufo361 und Pashanim in ihren Reimen keine mehr. Eher geht es um ästhetisches Vernuscheln von Vokalen und die postmoderne Aneinanderreihung von Codes.

Wie lässt sich also adäquat auf die unendlichen Möglichkeiten von verzerrten Stimmen und textlicher Verknappung reagieren? Eine Antwort darauf liefert der Hamburger Rapper Jace (Jacob Jüngst). Er verfolgt auf seinem neuen Album „9 Leben“, das er zusammen mit dem schwäbischen Produzenten Dexter (bürgerlich Felix Göppel, ein bis 2020 praktizierender Kinderarzt) aufgenommen hat, eine simple, aber wirkmächtige Formel: Die Rückbesinnung auf gerappte Storys plus Samplebeats. Klingt retro, ist es aber nicht.

Wortketten sind nicht cringe

Denn Jace ist in den Zwanzigern, wurde von Trap aus Atlanta und Drill aus Chicago geprägt, hat Aufstieg und Fall von Cloudrap und Internet-Memekultur verinnerlicht. All das Wissen findet sich auf seinem Album genauso wieder wie die Erkenntnis, dass in Wortketten und ausgefeilte Reime verpackte Selbstreflexionen immer noch eine gute Erzählform sein können. Und damit auch ja niemand falsch versteht, dass es sich hier nicht um einen hohlen Aufguss handelt, setzt Jace die Abgrenzungsmarker klug.

Jace&Dexter: „9 Leben“ (prodbyDexter/HHV)

Im Track „Ghislane & Jeffrey“ etwa heißt es am Anfang noch halb ernst auf Nas und seinen US-HipHop-Klassiker von 1994 referierend „The World is yours – und so weiter und so fort“. Im Songfinale lassen Jace und Dexter den umstrittenen Wiener Memelord und Trap-Aficionado Money Boy etwas über Hotels und KFC lallen. Zwischen Nas und Money Boy, zwischen 1994 und 2024 liegen 30 Jahre (sub)kulturelle Weiterentwicklung im HipHop und Jace schafft es, diese weit voneinander entfernten Welten miteinander zu verbinden.

Während in den USA mit Rappern wie Mike und Earl Sweatshirt längst eine neue Generation von Liebhabern des ausufernden assozia­tiven Storytelling etabliert ist, passiert das hierzulande eher in Nischen. Jace knüpft auf „9 Leben“ an diese Strömung an. Seine Reime verzichten auf Slogans und kompetitive Posen, in ihnen manifestiert sich nur die Erzähl­instanz Jace durch unterhaltsame Introspektionen und Beobachtungen.

Mal psychedelisch, mal proggy

Das passende Soundkorsett von Dexter setzt sich aus Schnipseln von mal psychedelisch, mal proggy anmutenden Songs zusammen. Die Samples scheinen aus vergessenen Library-Music-Sammlungen zu entstammen. Manchmal reicht dabei die Reduktion auf geloopte Klavierfragmente ganz ohne taktgebende Drums – wie in „Einstein“ und „Youngins“ – aus.

Sie geben der Stimme von Jace Raum und erzeugen dank der Kraft der Wiederholung ein angenehmes Grundrauschen. „Wurde groß / Weit weg von ’nem Brennpunkt / Ja, sie droh’n Mama mit Pfändung / Fernseher mit nur vier Sendung’n / Hoffen immer noch auf eine Wendung“, rappt Jace am Anfang des Albums und spricht so über das Aufwachsen in einer bitteren Realität: Darin sind Menschen, die früher zum Mittelstand gehörten und dessen Gestus noch bedienen, schon längst in Armut abgerutscht.

Es geht von oben nach unten, Erfolg ist in Jace’ Erzählungen ohnehin weniger an Materielles als viel mehr an Selbsterkenntnis geknüpft. Ihm dabei zuzuhören, wie er sich schwelgend und humorvoll um sich selbst windet, hat etwas Belebendes. Und das Album „9 Leben“ offenbart so auch, wie erzählfaul die deutsche Rapkonkurrenz im Vergleich zu Jace & Dexter mittlerweile klingt.

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