Verfassungsschutzbericht im Norden: Rechtsextremismus nimmt stark zu

Der Verfassungsschutzbericht für Schleswig-Holstein zeigt einen starken Zuwachs rechter Taten. Zudem gelingt es den Rechten, an die Mitte anzudocken.

Kurt Kleinschmidt, AfD-Landesvorsitzender in Schleswig-Holstein, gibt ein Interview:

Mit dem Eisernen Kreuz am Revers: Schleswig-Holsteins AfD-Vorsitzender Kurt Kleinschmidt im Mai 2023 Foto: dpa | Frank Molter

RENDSBURG taz | Deutlich zugenommen hat die Zahl rechtsextremer Gewalt- und Straftaten in Schleswig-Holstein: 975 Vorfälle, 40 Prozent mehr als im Vorjahr, vermerkt der Verfassungsschutzbericht für 2023, den Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) gemeinsam mit den Vertretern von Verfassungs- und Staatsschutz in Kiel vorstellte. Damit liegen die Vorfälle aus dem rechten Milieu weit vor linken oder islamistischen Taten.

Beim Rechtsrock-Konzert „Der Norden rockt“ in Neumünster im März 2023 wurden 19 Polizeikräfte verletzt. Vor allem aber wurden in 56 Fällen nicht deutsch gelesene Menschen Opfer rechter Gewalt. Auch zwei Brandstiftungen gelten als rechte Taten. Die Mehrzahl aller Fälle sind sogenannte Propagandadelikte, zu denen verfassungsfeindliche Symbole oder rassistische Beleidigungen gehören. Rund 1.200 Personen zählen die Behörden zur rechtsextremen Szene im Land.

„Das sind beunruhigende Zahlen“, sagt Henrik Greve, stellvertretender Leiter der Abteilung Staatsschutz im Landeskriminalamt. Ein Grund für den starken Anstieg könne sein, dass mehr Taten angezeigt würden. „Aber je länger ich die Lage betrachte, muss ich sagen, es ist auch wirklich mehr geworden.“

Neben der rechten Szene, die Sütterlin-Waack als „größte Bedrohung“ für das Land bezeichnete, beobachten die Behörden auch linke und islamistische Gruppen sowie die Szene der „Reichsbürger und Selbstverwalter“, wie Verfassungschef Torsten Holleck sagte. Alle diese Gruppen sind mit je 700 bis etwa 750 Personen etwa gleich stark. Dabei bleibe die Bedrohung durch die islamistische Szene „weiterhin abstrakt hoch“, so Sütterlin-Waack. Daher seien Sicherheitsmaßnahmen gerade bei Großereignissen wie Fußball-EM oder Kieler Woche wichtig.

Wie gut die Diskurs­verschiebung von rechts gelungen ist, zeigt sich sogar in der Pressekonferenz

Die linksextremistische Szene agiere in der Regel „reaktiv“, sprich: Die meisten linken Straftaten – insgesamt zählen die Behörden 137 – passieren bei Demos gegen rechte Gruppen. Zu einer „festen Größe“ in der linken Szene sei inzwischen die Kieler Turboklimakampfgruppe (TKKG) geworden, die der Bericht als „aktivste Gruppe im Bereich der Klimabewegung“ in Schleswig-Holstein bezeichnet. Allerdings sei es „der linksextremistischen Szene über alle Spektren hinweg nicht gelungen, eine intensivierte Vernetzung und Zusammenarbeit mit dem zivilgesellschaftlichen Spektrum aufzubauen“, stellt der Bericht fest. Die „Scharnierfunktion zum bürgerlichen Spektrum“ schwinde, die Linke verliere an Bedeutung.

Anders sieht das mit den Ideen der rechten und rechtsextremen Gruppen aus. „Wir alle spüren, dass unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung unter massiven Druck gerät“, so der Sprecher der SPD-Fraktion für Innere Sicherheit, Niclas Dürbrook. „Besorgniserregend“ nannte er die Versuche der rechtsextremen Szene, „nationalistisches und völkisches Gedankengut in die Mitte der Gesellschaft zu tragen“. Über Plattformen wie Tiktok oder Youtube würden vor allem Jugendliche angesprochen.

Das sah Holleck ähnlich, er sprach bei der Pressekonferenz von Versuchen, das „nicht Sagbare sagbar zu machen“. Dazu würden Begriffe besetzt, um die Deutungshoheit zu ändern. Das beginne mit rassistischen Sprüchen nach dem Motto „Das wird man ja wohl sagen dürfen“ und ende mit Begriffen wie „Remigration“ oder dem Narrativ des „Großen Austausches“.

Wie gut es gelingt, die Grenzen zu verschieben, ließ sich sogar bei der Pressekonferenz erkennen, in der die Ministerin den Verfassungsschutzbericht vorstellte. Denn neben den Bilanzen des Vorjahres ging es um die aktuelle Frage, wie Menschen mit ausländischem Pass, die als „Straftäter und Gefährder“ eingeschätzt werden, leichter abgeschoben werden können – auch in Länder wie Afghanistan oder Syrien, für die bislang ein Abschiebestopp gilt.

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