Politikerin über EU-Verteidigungspolitik: „Wir müssen klar reagieren“

Die deutsch-französische Politikerin Sabine Thillaye sieht eine verstärkte militärische Zusammenarbeit in der EU zukünftig als unvermeidlich an.

Soldaten hängen an olivgrünen Fallschirmen

Französische Fallschirmjäger bei der Nato-Übung „Frühlingssturm“ im Mai 2023 in der Nähe von Viitna, Estland Foto: Laurent Cipriani/ap/dpa

taz: Frau Thillaye, der französische Präsident Emmanuel Macron möchte, dass Europa mit Blick auf die Verteidigung selbstständiger wird. In Deutschland hat man auf seine Vorschläge eher zurückhaltend reagiert. Stockt der europäische Motor, also das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich?

Zitat

Sabine Thillaye: Die deutsch-französischen Beziehungen waren nie einfach, Differenzen gab es immer. Es gibt jedoch neue und größere Herausforderungen zu bewältigen, gerade im Verteidigungsbereich. Es geht auch nicht nur darum, den anderen überzeugen zu wollen. Wichtig ist es, dass wir uns ergänzen.

Sabine Thillaye

ist deutsch-französische Unternehmerin und Politikerin und sitzt seit 2017 als Abgeordnete für die Macron-Liste in der französischen Nationalversammlung, Mitglied der Verteidigungskommission und des Ausschusses für EU-Fragen.

Russlands Krieg gegen die U­kraine ist ein Wendepunkt. Stoßen jetzt die unterschiedlichen Haltungen in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik zusammen?

Die Bundeswehr war lange vorwiegend im Inneren tätig, während die französische Armee oft im Ausland eingesetzt wurde. Das sind sehr unterschiedliche Voraussetzungen. Als Macron in seiner ersten Grundsatzrede an der Sorbonne 2017 eine stärkere gemeinsame Verteidigungspolitik forderte und von „europäischer Souveränität“ und „strategischer Autonomie“ sprach, stieß er damit außerhalb Frankreichs zunächst auf Unverständnis. Heute sind seine Formulierungen in den Sprachgebrauch eingegangen.

Mit einer drohenden Wiederwahl Donald Trumps müsste Deutschland stärker auf eine europäische Sicherheitsstrategie setzen. Frankreich wiederum hat als eigenständige Atommacht immer eine gewisse Distanz zur Nato gewahrt, sucht aufgrund der Bedrohung durch Russland nun eine größere Nähe.

Frankreich braucht die Nato und möchte den europäische Pfeiler dieser Allianz gestärkt sehen. Das bedeutet mehr Zusammenarbeit: Wir können es uns nicht leisten, 172 verschiedene Waffensysteme, 17 verschiedene Hubschrauber und 20 verschiedene Flugzeugmodelle oder Fregatten zu haben. Das kostet auch unheimlich viel Geld, da könnte man viel einsparen. Unsere Industrien müssen nicht nur konkurrenzfähig sein, sondern unseren Bedürfnissen entsprechen. Es hat mich deshalb gefreut, dass die deutschen und französischen Verteidigungsminister, Pistorius und Lecornu, angekündigt haben, die Entwicklung des Kampfpanzers MGCS voranzutreiben. Der Vertrag soll bis Ende des Jahres unterschrieben werden. Da wird zum ersten Mal gesagt: Wir richten uns nicht nach der Industrie, sondern nach den Bedürfnissen unserer Armee. Die Inspekteure der beiden Heere hatten sich zusammengesetzt und gefragt: Was brauchen wir eigentlich? Das ist ein riesiger Fortschritt.

Ist die militärische Aufrüstung die einzige Antwort auf neue Bedrohungsszenarien?

Wir müssen insgesamt mehr zusammenarbeiten. Wenn man die Truppenbestände der 27 EU-Staaten zusammenrechnet, verfügen wir ja über fast so viele Soldaten wie die USA. Nur sind wir nicht so effizient, weil es bisher zu wenig Zusammenarbeit gab. Wir brauchen gemeinsame Standards, Kommunikations- und Informationssysteme. Da braucht es viele ganz konkrete Schritte.

Nach Frankreich und den USA will nun auch die deutsche Regierung der Ukraine erlauben, gelieferte Raketen gegen Ziele auf russischem Territorium einzusetzen. Begrüßen Sie das?

Im Fall von Putin haben wir es mit jemandem zu tun, der keine internationale Regeln mehr respektiert. Das stellt uns vor riesige Herausforderungen. Unser Europa gründet auf dem Recht, wir müssen die Diplomatie ernst nehmen. Aber dafür braucht sie eine gewisse Stärke im Rücken. Wir müssen klar reagieren, um ernst genommen zu werden. Aber einfach ist das nicht. Ich glaube, wir wünschten uns alle etwas anderes.

Seit 1989 gibt es eine Deutsch-Französische Brigade. Bisher war sie mehr ein Symbol, nun soll sie vermehrt in die Nato-Einsatzpläne integriert werden. Könnte sie an der Grenze zur Ukraine eingesetzt werden?

Die Brigade hat bereits gezeigt, dass sie einsatzfähig ist. In beiden Ländern gibt es je eine Arbeitsgruppe, die ihre Einsatzpläne anpasst. Ich weiß aber bisher nicht, ob vorgesehen ist, sie im Osten Europas einzusetzen.

Präsident Macron hat einmal erklärt, im Zweifel sogar Bodentruppen in die Ukraine zu entsenden. Könnte er da an diese Brigade gedacht haben?

Nein, so habe ich das nicht verstanden. Diese Interpretation halte ich für übertrieben. Ich kann dazu nur als Abgeordnete sprechen, ich bin kein Mitglied der Regierung. Aber Macron geht es primär um eine Zusammenarbeit bei der Ausbildung, um den Austausch von Expertise.

Wo soll das Geld für die militärische Aufrüstung herkommen? In Deutschland gibt es dafür das Sondervermögen. Geht das in Frankreich über eine Umverteilung im Staatshaushalt?

Wir haben ja in Frankreich einen mehrjährigen gesetzlichen Finanzrahmen für Militärausgaben, die Loi de programmation militaire“. Über mehrere Jahre sind dafür 433 Milliarden Euro vorgesehen. Aber in der Europäischen Union muss sich mehr tun. Wir haben bereits einen Verteidigungsfonds, aber der müsste wohl aufgestockt werden. Die EU braucht mehr Mittel und müsste sich mehr engagieren. Und wir müssen auch schauen, ob unsere Industrien bevorzugt werden können. Hier bleibt noch viel zu tun. Wir müssen uns stärker ergänzen, statt jeder für sich zu handeln. Das ist etwas Neues, weil die Verteidigung bisher zu den Kernaufgaben eines jeden Mitgliedstaates gehört.

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