Attentat auf Premierminister Fico: Nicht mehr still und heimlich

Nach dem Attentat auf Robert Fico beschuldigt die slowakische Po­li­ti­k die Medien. Die Strategie gefährdet die Pressefreiheit und hat Vorgeschichte.

Ein Mann mit Anzug und Brille im Fernsehen

Vielleicht wird es zu diesem Bild nie wieder kommen: Michal Kovačič bei „Na Telo“ Foto: Markiza TV

BRATISLAVA/BERLIN taz | Der slowakische Moderator Michal Kovačič wagt am 26. Mai in seiner Polit-Show „Na Telo“ eine Kritik, die ihm den Job kostet. Er sagt am Ende der Sendung: „Wir stehen unter Druck von Po­li­ti­ke­r*in­nen und der Leitung der Mediengruppe Markiza.“

Markiza wollte die Show verfrüht in die Sommerpause schicken, um über eine Neuausrichtung des Programms nachzudenken. Das hatte der Sender zwei Tage vorher bekannt gegeben. Und Kovačič forderte nun also öffentlich, dass sie weitergeführt werde, und warnte vor einer „Orbánifizierung“ der slowakischen Medienlandschaft. Einen Tag später, am 27. Mai, ist „Na Telo“ abgesetzt und Kovačič entlassen.

Markiza erklärte, Kovačič habe die Sendezeit missbraucht, um persönliche Meinungen zu äußern, was gegen medienethische Standards verstoße. Zensurvorwürfe wies der Sender als „unfair und unbegründet“ zurück. Der Fall Kovačič ist ein prominentes Beispiel für den Umgang von Politik und Wirtschaft mit Jour­na­lis­t*in­nen in der Slowakei.

Seit dem Amtsantritt der linksnationalen Regierungskoalition unter Premierminister Robert Fico im Herbst 2023 wird der Staat im Schnellverfahren umgebaut: Korruptions­bekämpfung wird erschwert, Ukrainehilfen eingestellt. Schon immer ist das Land gespalten zwischen prorussischen und antieuropäischen Kräften.

Verbannung „feindlicher“ Medien

Die Regierung unter Fico treibt diese Polarisierung weiter voran. Und sie strebt eine staatliche Kon­trolle der Medien an. Po­li­ti­ke­r*in­nen ignorieren Talkshoweinladungen und Fragen von unliebsamen Re­por­te­r*in­nen.

Eines der ersten Gesetze, das Fico nach seiner Wiederwahl umsetzen wollte, war die Verbannung „feindlicher“ Medien, darunter auch Markiza. Der Privatsender ist der größte und meist gesehene Sender des Landes. Vor allem seine politischen Sonntagsshows sind beliebt, auch die von Kovačič. Fico scheiterte mit seinem Gesetz. Aber es verdeutlicht seinen persönlichen Krieg gegen die Medien.

Mitte Mai wurde Premierminister Fico bei einem Attentat lebensbedrohlich verletzt; Po­li­ti­ke­r*in­nen fanden schnell einen Sündenbock für die aufgeheizte Stimmung im Land, die ein solches Attentat erst ermöglicht habe: die Medien. Mitglieder der Regierungskoalition bereiteten innerhalb weniger Tage ein Gesetz vor, das die „Medienrhetorik“ regulieren, also Presse und NGOs in die Schranken weisen soll. Die Zeitung Slovak Spectator berichtet, dass die „Kon­trolle des Onlineraums“ und ein Recht auf Gegendarstellung in den Entwürfen enthalten seien, ebenso hohe Geldstrafen bei Falschberichterstattung. Mehr ist nicht bekannt.

Journalist durch Auftragsmord getötet

Kri­ti­ke­r*in­nen befürchten, dass die Regierung mit diesem Gesetz nicht den Hass in der Gesellschaft kontrollieren will, sondern die Medien selbst. Das sei naheliegend, weil der Ton der Regierung seit jeher sehr rau gegenüber Jour­na­lis­t*in­nen sei, meint Peter Hanak von der Onlinezeitung Aktuality. „Sie nennen uns Ratten und Prostituierte.“

„Heute herrscht Zensur“, sagte der Vorsitzende der Partei Progressive Slowakei, Michal Šimečka, der Zeitung Sme. Diese Zensur hat eine lange Geschichte. Schon 2008, in Ficos erster Amtszeit, ging er verschärft gegen Medien vor. 2017 verließen angesehene Jour­na­lis­t*in­nen den öffentlich-rechtlichen Sender RTVS, da Manager eingesetzt wurden, die vorher in den Ministerien saßen. Hanak ist einer, der ging. „Schon damals wurden etwa 60 Leute entlassen“, sagt er.

Hanak wechselte zu Aktuality, der Onlinezeitung, für die Journalist Ján Kuciak arbeitete. Kuciak deckte Korruption von Unternehmen und bei hohen Beamten der Regierung auf, kurz darauf, im Jahr 2018, wurde er durch einen Auftragsmord getötet. Auf seinen Tod folgten nie dagewesenen Massenproteste. „Viele verstanden damals, wie wichtig die freie Presse ist und dass das Land die Jour­na­lis­t*in­nen wirklich schützen muss, meint Matúš Kostolný, Chefredakteur der slowakischen Investigativ-Zeitung Denník N. Einige Politiker*innen, darunter auch Robert Fico, mussten zurücktreten.

Misstrauen in etablierte Medien

Heute aber sind viele von damals wieder an der Macht. Inzwischen hat die Kulturministerin Martina Šimkovičová eine Reform des öffentlich-rechtlichen Senders RTVS vorgeschlagen. Statt RTVS soll es ein staatliches Unternehmen mit neuem Namen geben, das von einem neuen CEO kontrolliert wird, der von einem neuen Rat bestimmt wird, der nominiert wird von: der Regierung.

Die EU-Kommission kritisiert die Pläne, und Tausende demonstrieren seit Jahresbeginn in der Slowakei. Dennoch stimmte die Regierung, die dem Sender „politische Voreingenommenheit“ vorwirft, dem Vorschlag Anfang Mai zu. Nur noch das Parlament muss zustimmen.

Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Focus und des Demokratiezen­trums Globsec bleibt Fernsehen die wichtigste Informationsquelle in der Slowakei, besonders für ältere Wähler*innen. Daher der Regierungsgriff nach den TV-Sendern. Viele Po­li­ti­ke­r*in­nen fördern zudem das Misstrauen in etablierte Medien und wenden sich verschwörungsideologischen Medien zu.

Wahlkampf auf Desinformationsseiten

Kulturministerin Šimkovičová hat eigene Desinformationssendungen auf Youtube und Premierminister Fico führte seinen Wahlkampf auf Desinformationsseiten. Einige Po­li­ti­ke­r*in­nen nehmen an Livestreams von verschwörungsideologischen You­tube­r*in­nen teil, wie vom verurteilten Extremisten Daniel Bombic, der antisemitische und neofaschistische Botschaften verbreitet.

Im März 2024 waren Slo­wa­k*in­nen laut einem Bericht der unabhängigen Organisation Cedmo Trends mehr Fake News als Qualitätsnachrichten ausgesetzt. Dominika Hajdu, Direktorin des Thinktanks Globsec, bezeichnet das als „riesiges Problem, denn die Bevölkerung ist sehr viel anfälliger für Verschwörungsideologien als andere Gesellschaften in Mittel-Osteuropa “.

Viele unabhängige Jour­na­lis­t*in­nen kritisieren, Po­li­ti­ke­r*in­nen würden ignorieren, wie ihr eigenes Verhalten und Hass in der Gesellschaft in Zusammenhang stünden. Ob die Regierung auch auf ihren eigenen Beitrag zur feindlichen Rhetorik im Land schaut? Auf diese Frage einer Reporterin von Denník N bot Ficos Stellvertreter Robert Kalinak an, ihr einen Spiegel zu kaufen.

Ein riesiger Druck

Der Druck zeigt Wirkung. Vor einigen Wochen wurde Zuzana Kovačič Hanzelová, die Ehefrau von Moderator Kovačič, Ziel einer Hetzkampagne des Youtubers Bombic und legte deshalb eine Pause von ihrer Interviewreihe bei der Tageszeitung Sme ein. Viele Mo­de­ra­to­r*in­nen und Hosts politischer Debattenshows verließen in den letzten Monaten ihre Programme.

„Noch haben wir extrem gute und unabhängige Jour­na­lis­t*in­nen im Land“, sagt Kostolny von Denník N. Fast 100 Markiza-Angestellte fordern die Wiedereinstellung Kovačičs. Auch von anderen Medienhäusern gebe es viel Solidarität für Markiza, sagt Matúš Kostolný. Trotzdem sagt Hanak von Aktuality: „Auf uns Journalisten lastet ein riesiger Druck. Ich glaube, niemand kann gerade über sich selbst sagen, dass er sich sicher fühlt.“

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Bilder zur Pressefreiheit 2024 Illustration von Lucia Žatkuliaková 6976051 6008040 g6008040

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