Eine Ode an den Bioladen: Schnuckelig und natürlich bio

Natürlich kann man den Besuch eines Bioladens auch als Distinktionsgewinn sehen. Aber man kann sich da, weiß unser Kolumnist, auch einfach wohlfühlen.

Äpfel unterschiedlicher Sorten und Birnen werden in Körbchen zum Kauf angeboten

Auch Obst, besser halt doch bio Foto: Jens Wolf/picture alliance/dpa

Ich habe mich verliebt. In einen Bioladen. Nee, nicht in einem Bioladen. Das Objekt meiner Begierde ist der Laden selbst. Wer hätte das gedacht! Zwanzig Jahre schon lebe ich in meinem Kiez, erst seit wenigen Monaten jedoch bin ich so etwas wie ein Stammkunde im benachbarten Biokleinod, mit Bäckerei, Mittagstisch und einer schlichten, aber einladenden Sitzecke aus Holz. Jobbedingt treibe ich mich nun öfter auf dieser Seite Kreuzbergs herum, und auf dem Weg dorthin liegt der Laden. So kam eins zum anderen.

In dieser schnuckeligen Ecke sitze ich nun ständig und beobachte die Leute. Zu oft wandert mein Blick dann über meinen Rechner, die Zeitung oder das Buch hinweg in Richtung des Verkaufsbereichs vor mir. Bioprokrastination. Ich kann nicht anders, zu groß ist das Kino: Rechts von der Theke befindet sich der Eingang, mit dem ersten Schritt über die Türschwelle treten die Kun­d:in­nen direkt an die Vitrine heran und begutachten, leicht gebeugt mit ausgefahrenem Hals, aufmerksam die Backwaren. Wie Jurymitglieder eines Wettbewerbs mit einem, sagen wir mal, nicht gerade unterkomplexen Auswahlverfahren.

Beim Hineinkommen liegt den meisten ein Lächeln auf den Lippen

Was mir jedes Mal auffällt und manchmal ein wenig gruselig-entrückt anmutet: Beim Hineinkommen liegt den meisten ein Lächeln auf den Lippen.

Ob sie das bereits tun, bevor sie den Laden betreten oder das Lächeln erst mit dem ersten Schritt in dieses gute Stück Dinkeldeutschland aufkommt? Ich weiß es nicht. Bislang ließ sich nicht herausfinden, ob es echt oder aufgesetzt ist. Aber warum sollte man einen Bioladen mit einem aufgesetzten Lächeln betreten?

Für viele ist es die pure Freude auf (einigermaßen) gesundes Essen. Bei vielleicht gar nicht mal so wenigen aber wird es womöglich das Lächeln des Distinktionsmerkmals sein. Bio als habitueller Booster für das eigene Selbstwertgefühl: Ich lebe bewusst. Ich ernähre mich gesund. Ich kann es mir leisten, andere nicht. Hihihi. Und sobald man hineinkommt, wähnt man sich unter Gleichgesinnten.

Zu Schulzeiten hatte ich einen Kumpel, dessen Eltern einen Bioladen besaßen. Das war, als Bioprodukte noch mit Goldbarren bezahlt wurden und reguläre Supermärkte sie nicht als Massenware feilboten. Konventionelle Backwaren wurden nicht so massiv wie heute mit chemischen Triebmitteln, Enzymen und sonst was vollgepumpt. Der Teig bekam noch Zeit, Gluten war für die meisten ein Fremdwort und Laktose­intoleranz ein Zungenbrecher.

Wir belächelten unseren Kumpel gern mal. Zu zwanghaft wirkte sein Drang, um jeden Preis ein gesundes Leben führen zu wollen. Manchmal so sehr, dass man sich fragte, ob das überhaupt noch gesund sein kann. Solche Personen begegnen einem heute an jeder Ecke. Trotzdem: Für mich dominieren inzwischen weder die (unbewussten) Verfechter eines Bioklassismus noch die Leute vom obsessiven Schlage meines alten Freundes.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

In meinem recht heterogenen Umfeld steigt Jahr für Jahr die Anzahl der Biokonsumenten. Aus einem einfachen Grund: Weil ihnen bestimmte konventionell produzierte Lebensmittel nicht mehr bekommen, chronische Leiden entstehen und sie nach Linderung lechzen.

Seit meinen frühen Teenagertagen plagt mich eine launische, inzwischen medizinisch erwiesene Laktoseintoleranz, mal stärker ausgeprägt, mal weniger drastisch. Seit einigen Jahren wird sie durch eine ähnlich launische Fruktoseintoleranz flankiert. Ich konnte oder wollte mir nicht immer Bio leisten. Ich weiß aber, dass ich es mir nun öfter leisten muss, so weit möglich, weil der Körper sonst weiter streikt.

Wahrscheinlich betrete auch ich meinen Bäcker längst mit einem entrückten Lächeln – allerdings ohne jede Distinktion. So hoffe ich.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Jahrgang 1976, Südhang Hindukusch. Berliner Junge. Schon als Kind im Widerstand gegen Exoten-Bonus und Kanaken-Malus. Heute als Autor und Producer zu unterschiedlichen Themenfeldern journalistisch tätig. Für TV, Print, Online und Bühne. Und fast immer politisch.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.