Musikschulen in der Krise: Zapfenstreich für Scheinanstellung

Immer mehr deutet darauf hin, dass Berlin rechtswidrig Lehrkräfte auf Honorarbasis beschäftigt. Doch für Festanstellungen ist kein Geld da.

Panikorchester: Mu­sik­schul­lehr:in­nen demonstrieren im Mai für den Erhalt ihrer Stellen Foto: Stefan Röhl/LMR

BERLIN taz | Musikschullehrerin Anna-Katharina Schau ist verzweifelt: „Ich weiß nicht, wie es nach den Ferien weitergehen soll.“ Die 29-Jährige unterrichtet Akkordeonspiel an der Neuköllner Musikschule Paul Hindemith – noch. Denn die Berliner Musikschulen stehen vor einer potenziell existenzbedrohenden Krise. Die Honorarverträge, mit denen derzeit rund drei Viertel der Lehrkräfte angestellt sind, sind womöglich rechtswidrig. Die Bezirke drängen auf die Klärung der Rechtslage, bis dahin haben nach Angaben der Lehrervertretung der Musikschulen bereits fünf Bezirke die Ausstellung von Honorarverträgen gestoppt. Die Zeit drängt – denn viele Honorarverträge müssen zu Beginn des Schuljahres erneuert werden.

„Wenn der Senat nicht zu Potte kommt, gibt es ein echtes Problem“, sagt Gewerkschaftssekretär Andreas Köhn von Verdi. Auslöser ist das sogenannte Herrenberg-Urteil des Bundessozialgerichts aus dem Jahr 2022. In der gleichnamigen Stadt klagte eine auf Honorarbasis beschäftigte Musikschullehrerin auf Festanstellung. Sie bekam recht, und obwohl ein Einzelfall, galt das Urteil bundesweit als richtungsweisend für die oft prekäre Beschäftigungspraxis an Musikschulen.

Im Juli vergangenen Jahres legten die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung nach und stellten einen detaillierten Kriterienkatalog auf, was eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ausmacht. Demnach „dürfen Honorarlehrkräfte nicht in die Musikschule eingegliedert sein“. Unterrichtet eine Lehrerin nach einem von der Musikschule festgelegten Lehrplan, handele es sich schon um eine Eingliederung.

Werden die Lehrkräfte trotzdem auf Honorarbasis beschäftigt, drohen empfindliche Strafen: Bis zu fünf Jahre Gefängnis winken Mu­sik­schulei­te­r:in­nen bei Sozialversicherungsbetrug, auf die Bezirke kämen rückwirkende Beitragsnachzahlungen von vier Jahren zu.

Verwirrung bei den Bezirken

Betroffen sind dabei nicht nur Musikschulen, sondern auch Volkshochschulen und Jugendkunstschulen, die ebenfalls viele Honorarkräfte beschäftigen. So berichtet der Tagesspiegel am Donnerstag, dass der Bezirk Reinickendorf auch einen Einstellungsstopp für die Volkshochschule verhängt hat. „Der Senat ist eindeutig rechtlich verantwortlich“, sagt die Pankower Bürgermeisterin Cordelia Koch (Grüne) der taz. „Die Risiken tragen jedoch im Moment die Bezirke, deren Beschäftigten und die Lehrkräfte.“

Eine Umfrage der taz ergab, dass sieben Bezirke weiterhin Honorarverträge ausstellen, in der Hoffnung, der Senat werde bald die rechtlichen Voraussetzungen klären. Dabei sehen nicht alle Bezirke das Herrenberg-Urteil so problematisch.

„Das angesprochene Urteil bezieht sich auf eine konkrete Musikschul­kraft in einem anderen Bundesland“, begründet Tym Styrie, Pressesprecher von Friedrichshain Kreuzberg, gegenüber der taz die Entscheidung des Bezirks, weiterhin Honorarverträge abzuschließen, „Es gab im selben Zeitraum andere Urteile in ähnlich gelagerten Fällen, die zur gegenteiligen Einschätzung gelangten.“

Aus der Kultursenatsverwaltung heißt es, man prüfe derzeit, unter welchen Voraussetzungen Honorarverträge weiterhin möglich sind. Dazu habe man für Ende Juni ein Treffen mit der Deutschen Rentenversicherung anberaumt. Dass das Urteil aber ein Ende des bisherigen Beschäftigungsmodells bedeute, sieht auch die Senatsverwaltung. „Wir gehen davon aus, dass in Zukunft nur noch ein kleiner Teil des Unterrichts von Honorarlehrkräften erteilt werden kann“, sagt ein Sprecher der taz.

Senat will nicht ausfinanzieren

Eine Schlussfolgerung, die für Gewerkschafter Andreas Köhn längst überfällig ist. Schon seit Jahren kämpft Verdi für Festanstellungen der Honorarkräfte, denen aufgrund der fehlenden Sozialversicherungsbeiträge häufig die Altersarmut droht. Köhn ärgert das lange Zögern des Senats. „Wir reden von einem Urteil das 2022 gefallen ist. Viele Städte sind bereits dazu übergegangen, entsprechende Regelungen zu finden.“

Doch im bundesweiten Vergleich ist Berlin mit seinem außergewöhnlich hohen Anteil an Honorarkräften ein Sonderfall. Der aktuelle Anteil von 25 Prozent galt schon als Erfolg des Vorgängersenats, davor waren es lediglich 7 Prozent. Das Ziel, den Anteil an Festanstellungen zu erhöhen, ist auch im aktuellen Koalitionsvertrag festgeschrieben.

Warum also nicht einfach alle Honorarkräfte fest anstellen? „Eine sogenannte ‚Umwandlung‘ ist nicht möglich“, erklärt Friedrichshains-Kreuzbergs Pressesprecher Styrie mit Verweis auf das Gleichstellungsgebot im öffentlichen Dienst. Demnach müssten alle Stellen neu geschaffen und ausgeschrieben werden. Die Mittel dafür müssten vom Senat bereitgestellt werden, das sei noch nicht geschehen.

Angesichts der angespannten Haushaltslage gilt das als unwahrscheinlich. Die Kulturverwaltung spricht allein für die Musikschulen von einem Mehrbedarf von 13,5 Millionen Euro. Mittes Bezirksbürgermeisterin Stefanie Remlinger (Grüne) berichtet, der Senat habe diesbezüglich bereits eine Absage erteilt. Der Mehraufwand müsse innerhalb des zugewiesenen Budgets bewältigt werden. Die Folgen wären „eine erhebliche Reduzierung unseres Bildungsangebots“, so Remlinger. „Die Institutionen wären danach nie mehr dieselben.“

Für die Lehrkräfte bedeutet die Situation vor allem Ungewissheit. „Ich gucke mich schon nach Stellen abseits vom Unterrichten um“, sagt Musikschullehrerin Anna-Katharina Schau. Sie frustriere es, so lange hingehalten zu werden, „Wie kompliziert kann es sein, die Lehrkräfte sind doch da?“

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